Es zischt und brummt am Donnerstagmorgen (6. August) um 8.15 Uhr auf dem Domplatz in Münster. Dichter Rauch steigt auf. Vier Personen in weißen Strahlenanzügen schieben schweigend den Nachbau einer V1-Rakete (der erste militärisch eingesetzte Marschflugkörper) über das Kopfsteinpflaster. Mit Geigerzählern gehen sie mit kontrollierten Schritten zielstrebig auf die rund 110 Menschen zu, die sich zu dieser Zeit auf dem Domplatz versammelt haben. Der Maler, Bildhauer und Aktionskünstler Laurenz E. Kirchner aus Münster hatte die Idee, so an den Atombombenabwurf auf Hiroshima vor genau 75 Jahren um 8.15 Uhr zu erinnern und vor neuer Aufrüstung zu warnen. Unter dem Titel „Bodennullpunkt Hiroshima“ veranstaltete er eine 30-minütige Performance und Installation.
Die evangelische Presbyterin Hannah-Theresa Wappler eröffnete um 8 Uhr die Kunstperformance. Sie spielte auf der Oboe das „Titelthema“ aus dem Steven-Spielberg-Film „Schindlers Liste“. Oberbürgermeister Markus Lewe verurteilte in seinem Grußwort als „Major of Peace“ eindringlich jedwedes kriegerischen Verhalten und warb für dauerhaften Frieden. „Heute werden wir ermahnt und daran erinnert, dass die Gefahr nicht vorbei ist. Alle, die auf Atomwaffen bauen, müssen wissen, dass sie immer auch strategisch einsetzbar sind.“ Um 8:15 Uhr schlug der Oberbürgermeister dann drei Mal die 120 Kilogramm schwere Friedensglocke aus Bronze, die Laurenz E. Kirchner extra für das Kunstevent in Gescher hergestellt hat (wir berichteten). Seit 2012 ist Oberbürgermeister Markus Lewe Mitglied des Bündnisses „Mayors for Peace“, das sich seit seiner Gründung 1982 für eine friedliche Welt ohne Atomwaffen einsetzt.
Künstler Laurenz E. Kirchner appellierte an politische Entscheidungsträger, Beeinflusser und an die große Masse der mündigen Bürger, präventiv Krieg und Gewalt zu vermeiden und die vielen tickenden Zeitbomben und Zündschnüre weltweit zu entschärfen und genau hinzuschauen, wenn nicht nur Großmächte, wie die USA und Russland, militärisch aufrüsten, sondern auch vermeintlich kleinere Länder wie Indien und Pakistan. Auch wenn das Thema Corona allgegenwärtig sei, dürfe nicht vergessen werden, dass zum Beispiel auch in Deutschland, konkret im rheinland-pfälzischen Büchel, Atomsprengköpfe vom Typ B61 lagern: „Deren Sprengkraft ist größer als die der Bombe von Hiroshima, an deren Folgen über 136 000 Menschen starben. Im Ernstfall sollen deutsche Tornados die Bomben sogar zum Ziel bringen“, sagt Kirchner, „da gibt es Verträge zu“.
Beim Kunstevent „Bodennullpunkt Hiroshima“ rollten dann vier Menschen in Strahlenanzügen den Nachbau der V1-Rakete erst durch das wandhohe Transparent, auf dem Kirchner Alltagsszenen aus Hiroshima sehr plastisch festhält – wenige Sekunden vor dem Ausklinken der Atombombe „Little Boy“ aus dem US-Bomber „Enola Gay“. Dann überrollen die „Raketen-Menschen“ die Zeichnung, sinnbildlich für das Grauen militärischer Marschflugkörper. Auf meterhohen Holztableaus erscheinen dreidimensionale Zeichnungen von Kirchner, die zeigen sollen, wie der Zweite Weltkrieg Münster und Coventry zerbombte, aber auch wie der tiefe Glaube die Überlebenden von Hiroshima mental durch das Grauen trug. Dafür zeichnete Kirchner sinnbildlich das „Shinto-Tor“. Bei den Besuchern dieser Installation kam besonders das Bild jenes Dreirades an, das ein Vater zusammen mit seinem getöteten Sohn beerdigte, „weil er es so gerne hatte“, berichtete Kirchner bei der anschließenden Führung, bei der er die zahlreichen Fragen der Zuschauer beantwortete.
Am Ende der Veranstaltung übergab Laurenz. E. Kirchner das erste Exemplar seines Buches „BodenNullpunkt“, das Kirchner zusammen mit dem Journalisten Peter Sauer (Texte) im agenda Verlag herausgebracht hat, Oberbürgermeister Markus Lewe. Das handliche Kunstbuch enthält auf 88 Seiten rund 50 Abbildungen, darunter natürlich auch die Exponate von der Installation „Bodennullpunkt Hiroshima“. Das Buch beschäftigt sich auf unterhaltsame Weise und gut recherchiert mit der Frage, „warum sich Menschen so gerne be-KRIEG-en“. Vom Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) bis zu aktuellen Eskalationen – ganz gleich, ob zwischen Trumps USA und dem Iran, oder zwischen dem Mob und der Polizei in Stuttgart in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni.
Der Krieg hat viele Gesichter. Die Lust der Menschen an ihm auch. Mit „Bodennullpunkt Hiroshima“ und dem begleitenden Buch zeigt Kirchner, dass wahrhafter Frieden nicht ein Traum bleiben muss. Gegenüber ALLES MÜNSTER fassst er die künftige Marschrichtung zusammen: „Wenn wir alle in persona die Gesichter des Friedens zeigen, können wir das gemeinsame Ziel wirklich schaffen – nämlich harmonisch, tolerant und weltoffen zusammenzuleben auf dieser einen Welt. Und das sollten wir tun. Wir haben keine andere Welt in Reserve.“
Das Kunstbuch "BodenNullpunkt" von Laurenz E. Kirchner (Zeichnungen/Skupturen) und Peter Sauer (Texte) ist am 6. August im agenda-Verlag erschienen und für 19,90 Euro im Buchhandel erhältlich. Weitere Infos unter https://agenda.de/ ALLES MÜNSTER verlost drei signierte "BodenNullpunkt"-Bücher. Bitte schreibt uns einen Kommentar auf Facebook, unter diesem Artikel oder per E-mail an cvd@allesmuenster.de (Natürlich gilt auch hier unser Kleingedrucktes, das ihr unter https://www.allesmuenster.de/rechtliches-fuer-gewinnspiele/ findet).
Mehr Bilder vom Kunstevent „Bodennullpunkt Hiroshima“ zeigen wir in unserer Fotostrecke:
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