Seit einem Jahr gewährt uns die Autorin Iris Brandewiede immer wieder einen Blick in ihren Alltag und auch die besonderen Erlebnisse als „Hausfrau & Mutter, berufstätig“. Kürzlich stieß sie auf die Krimi-Autorin Helga Streffing und schlug uns ein Interview mit ihr vor. Und so ist sie heute so etwas wie ein Ehrengast beim Jubiläum dieser Kolumne.
Was zuvor geschah:
An einem ganz gewöhnlichen Corona-Freitag Anfang Januar findet Iris Brandewiede im Literaturmagazin der Westfälischen Nachrichten einen Hinweis auf ihr jüngstes Werk – in Zeiten ohne öffentliche Literaturveranstaltungen Balsam für die Seele der Schreiberin. Über der Werbung fürs eigene Büchsken springt ihr der neueste Fall einer im Münsterland ermittelnden Schulpsychologin ins Auge, von einer Autorin namens Helga Streffing. Peinlicherweise sind ihr weder die Kollegin noch die bisherigen sechs Fälle der Ermittlerin Hannah Schmielink geläufig. Um ihren Lapsus gut zu machen, tippt die passionierte Krimileserin dem Chef vom Dienst auf die Schulter: „Ein Doppel-Interview mit zwei Schriftstellerinnen, die dem Münsterland eine Bühne geben, das wär‘ doch was für Alles Münster, oder?“ Beinahe ebenso begeistert antwortet der Chef-Redakteur: „Super Idee. Wie wäre es, wenn ihr euch gegenseitig interviewen würdet? Ihr seid doch beide vom Fach!“ So ist das, nicht nur in dieser Branche: Hast du eine gute Idee, hast du einen neuen Nebenjob. Frisch von der Kolumnistin zur Redakteurin befördert, startet Münsters unbekannteste Prominente ihre Recherche. Die Kollegin lässt sich nicht lange bitten.
Wenig später:
IB: Herzlich Willkommen zum Doppelinterview, Helga Streffing! Sag mal, seit wann kennen wir uns eigentlich?
HS: Hallo Iris, danke für die Einladung! Leider kennen wir uns noch gar nicht!
IB: Da sind wir schon beim ersten frappierenden Zufall – wieso eigentlich nicht?!
HS: Wenn du damals als Schülerin die richtige Schule gewählt hättest, wäre ich dir vielleicht bereits als nette Referendarin am Coesfelder Nepomucenum aufgefallen.
IB: Tja – deine Wirkungsstätte war leider erst ab der Oberstufe für Mädchen offen. Nur an der bischöflichen Schule konnten damals Jungs und Mädchen gemeinsam starten. „Koedukation“ hieß das, damit waren die Katholiken sehr fortschrittlich!
HS: Tatsächlich! Später hätten wir uns in Rheine treffen können: Du warst Referendarin an einer Förderschule, in der ich ständig Praktikanten und Praktikantinnen meines Berufskollegs betreut habe.
IB: Wieder verpasst! Hätte ich vielleicht vorher schon die Studentin Helga auf dem Flohmarkt in Münster treffen können?
HS: Na klar, bis 1981 bin ich dort regelmäßig auf Schnäppchenjagd gewesen!
IB: Da war ich eher bei Oma und Opa zu Besuch. Zum Flohmarkt bin ich erst ab Mitte der 80er getrampt – um Opahemden einzukaufen, passend zur Batik-Latzhose.
HS: Uns scheinen wohl einige Lebensjährchen zu trennen. Deswegen sind wir uns auch nicht im ökumenischen Kloster Taizé in Frankreich begegnet, obwohl ich sogar dreimal da war!
IB: Schade, dass noch keine Zeitreisen erfunden waren! Wir hätten die Gesänge bestimmt wunderbar zweistimmig gesungen. Genug der Beinahe-Zufallsbegegnungen.
Spannender erscheint mir diese Frage: Wie kam es eigentlich, dass du von der pädagogischen Laufbahn auf die Kunst des Mordens umgeschwenkt bist.
HS: Nach 25 Jahren an verschiedenen Berufskollegs hatte ich im Jahr 2008 einfach genug „Stoff“ für die mörderischen Verwicklungen meines Erstlings „Tod im Kollegium“ zusammen. Deshalb habe ich beschlossen, einen etwas anderen Krimi zu schreiben: unblutig, aber trotzdem möglichst spannend. Lehrerin bin ich trotzdem gerne geblieben. Dass aus Band 1 mal eine Reihe wurde, war gar nicht vorgesehen, aber nun schreibe ich schon an Band 8.
Und du? Von vielen Autorinnen hört man, dass sie schon Geschichten in Heftchen gekritzelt haben, als sie gerade das Alphabet gelernt hatten. Seit wann fühlst du dich zur Schriftstellerei berufen? Gab es einen Auslöser, oder hat sich das allmählich entwickelt?
IB: Bereits im Alter von drei Jahren prophezeite mir ein weiser Nachbar im Treppenhaus: „Die schreibt mal ein Buch!“ Frühe Gedichte, spätere Songtexte und zuletzt die Geschichten-Bände bei agenda zeigen: Die Weissagung des Herrn Pöpping bewahrheitet sich.
Zurück zu deinen Morden: Die Krimis sind nach klassischer Art des „Whodunnit“ aufgebaut, sodass wir die ganze Zeit rätseln, wer´s war. Dabei traust du dich ganz schön was, deine Ermittlerin etwa einen „Tod im Kloster-Internat“ aufklären zu lassen. Wie kommt nach deiner Erfahrung diese Form der Publicity bei Geistlichen und bekennenden Katholiken im Münsterland an?
HS: Die Rollen in meinen Krimis sind immer mit Menschen besetzt, die Stärken und Schwächen haben – egal ob Ordensschwester, Pastor, Rentnerin, Banker, Lehrerin, Milchbauer, Schulpsychologin oder Kripobeamter. Viele katholische Büchereien im Münsterland leihen meine Krimis aus und laden mich zu Lesungen ein. Daraus schließe ich, dass auch Katholiken meine Krimis schätzen. Und nicht zuletzt hat der Dialogverlag des Bistums Münster die gesamte Reihe verlegt und bewirbt sie intensiv.
Iris, deine Geschichten spielen rund um deine Rollen als Hausfrau, Mutter und Lehrerin. Leben die Menschen, die du dabei triffst, eigentlich die ganze Zeit mit dem Gefühl, in deinem nächsten Buch auftauchen zu können?
IB: Diejenigen, die völlig zufällige Ähnlichkeiten mit meinen rein fiktiven Charakteren aufweisen, beziehe ich tatsächlich in den Schaffensprozess ein. Fast alle Betroffenen gehen westfälisch-stoisch mit ihrem Ruhm um oder bewerben sogar stolz meine Bücher. Wer Angst hat, bekommt eine eidesstattliche Unterlassungs-Erklärung. Manche LeserInnen geben mir übrigens Gratis-Tipps für neue Geschichten.
Es gibt viele Mythen über den Schreibprozess. Was inspiriert dich? Wie entwickelst du einen Roman? Weißt du schon zu Beginn „Wer‘s war?“ Schreibst du von vorn nach hinten durch oder verteilst du wirre Notizen in der Wohnung…?
HS: Am Anfang habe ich eine Schlüssel-Szene im Kopf – wie der Mord geschieht oder der Showdown abläuft. Dann mache ich mir Notizen zu Personen und Szenenplanung direkt in der Schreibdatei und lege los. Aber ehrlich gesagt überrascht es mich beinahe jedes Mal, wer am Ende die Mörderin oder der Mörder ist. Der Plot verselbständigt sich nämlich öfters. Und mehrmals wurde mir beim Schreiben klar, dass ich eine bestimmte Person den LeserInnen nicht als TäterIn zumuten kann.
Deine „Abenteuer“ leben ja von deiner ungeheuren Beobachtungsgabe, Iris. Ich stelle mir vor, dass du dir geistig ständig Notizen machst. Bist du etwa diejenige, die überall in der Wohnung oder am Arbeitsplatz wirre Stichwortzettel verteilt, damit du nichts vergisst?
IB: Die besten Ideen kommen mir beim Laufen in der Natur oder im Urlaub, meist in völliger Stille. Wenn ich mit diesen Bildern im Kopf gleich mit dem Schreiben loslegen kann, ist es der größte Luxus. Es gibt einen kleinen verschwiegenen Ordner, in den notfalls Notizen wandern. Wenn ich die später in meiner kleinen Schriftstellerinnen-Einsiedelei anschaue, verstehe ich leider manchmal selbst nur noch Bahnhof.
Helga, wir haben beide den größten Teil unseres Lebens im Münsterland verbracht. Für wie prägend hältst du das? Könnten deine Geschichten überall spielen oder gehören sie genau hierher?
HS: Wie sehr ich meine Heimat schätze, ist mir erst so richtig bewusst geworden, seit ich wegen meiner Lesungen überall im Münsterland herumkomme und viele neue Orte kennengelernt habe. Nicht zuletzt kann man nirgendwo sonst so klasse und abwechslungsreich Fahrradfahren wie hier. Deswegen bin ich dazu übergegangen, meine Lieblingsplätze in den Krimis auftauchen zu lassen – quasi als Tipp für die LeserInnen. Allerdings sind die Fälle nicht so exklusiv auf „Münsterländische Charaktere“ zugeschnitten, dass sie nicht auch woanders spielen könnten. Und wie ist es bei dir?
IB: Ausgangspunkt meiner Geschichten ist meist ein berührender Moment im Hier und Jetzt, den ich bewahren oder verarbeiten möchte. Mein „Hier“ ist jetzt das Münsterland. So bald ich aber meine Scholle verlasse, reisen die Geschichten mit und die Schauplätze verschieben sich. Mein Alter Ego, die „Hausfrau“, hat immerhin bereits das Emsland, Italien und Frankreich erkundet! Mein nächstes Buch wird aber vorwiegend einer Kleinstadt im Münsterland gewidmet sein – so viel steht schon fest.
Du sagtest vorhin, dass Hannahs nächster Fall bereits in Arbeit ist. Bekommen wir einen kleinen Hinweis, was uns in Band 8 erwartet?
HS: Das Thema ist so brisant, dass ich den Schauplatz zum ersten Mal in einen fiktiven Ort verlegt habe, der aber recht genau östlich von Münster lokalisiert ist. Bin gespannt, was der Verlag dazu sagen wird. Hannah ist in einer sommerlichen Hitzewelle ermittelnd unterwegs, was ihr überhaupt nicht behagt. Und natürlich liegt sie mit ihrem Ehemann Jan im Clinch, der wieder einmal um sie bangen muss.
Schön, dass wir uns kennen gelernt haben. Wenn wir uns in Zukunft endlich zufällig auf dem Markt in Münster treffen, werden wir uns jedenfalls auf Anhieb erkennen! Oder wir machen doch lieber einen Termin aus – vielleicht auf dem wunderschönen Marktplatz in Rheine?
IB: Da freue ich mich schon drauf! Vielen Dank für das mörderische Interview – und dass du dich auf die Doppelrolle eingelassen hast!
HS: Gerne. Du bist jetzt zur Redakteurin befördert! Gratulation! Mal sehen, was auf mich als Nächstes wartet.
Helga Streffing veröffentlicht ihre Hannah Schmielink-Krimis im Dialogverlag Münster. Mehr dazu unter www.dialogverlag.de und auf Facebook.
Iris Brandewiede veröffentlicht ihre Geschichten-Bände im agenda-Verlag Münster. Mehr dazu auf https://agenda.de und auf der Seite der Autorin https://irisbrandewie.de.
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Hallo Iris, war schön, wieder einmal von dir zu lesen. Den Artikel fand ich spannend und informativ. Da ich eher eine Einzelgängerin bin kenne ich viele deiner Infos noch nicht. Bemühe mich jetzt einige der genannten Bücher zu lesen.
Viele liebe Grüße. Monika