Die Westfälische Wilhelms-Universität Münster besteht aus sehr vielen, sehr unterschiedlichen und über die ganze Stadt verteilten Einrichtungen, die man auch bei einem langen Studium längst nicht alle kennenlernt. Eines davon ist das ziemlich zentral gelegene Institut für Ägyptologie und Koptologie in der Schlaunstraße. Dort beschäftigen sich die Wissenschaftler nicht nur mit alten Schätzen und Schriften, sie beherbergen auch einen Schatz: das unglaublich große Buch „Description de l’Égypte“ aus dem Jahr 1826. Abgesehen von einem Autokatalog mit extremen Ausmaßen ist es wahrscheinlich das größte Buch der Welt.
Diese „Beschreibung Ägyptens“ misst 165 mal 130 Zentimeter, erstreckt sich also über eine Fläche von mehr als zwei Quadratmetern. So ein Band kann nur zu zweit getragen werden, also haben es die wissenschaftliche Mitarbeiterin Dr. Annik Wüthrich und Prof. Dr. Erhart Graefe in dieser Woche auch zu zweit der versammelten Presse präsentiert. Nicht nur, um das Gewicht zu heben oder beim Tragen nicht an Wänden und Bücherregalen anzuecken, sind zwei Leute notwendig, sondern auch um die großen Seiten schadlos umzublättern. Auf ihnen sind zahlreiche Kupferstiche von altägyptischen Tempelanlagen, Pyramiden und Hieroglyphen, aber auch vom Alltagsleben im Ägypten um 1800 und von der Tier- und Pflanzenwelt zu finden.
Als der damalige französische Kaiser Napoléon Bonaparte 1798 seinen Ägyptenfeldzug gegen die Mamelucken und Osmanen antrat, nahm er nicht nur fast 30.000 Soldaten, sondern auch gut 150 Wissenschaftler, Ingenieure und Zeichner mit, die das Land am Nil erforschen und alles dokumentieren sollten. Ihre Ergebnisse, allen voran tausende von Zeichnungen, sind so schließlich in der „Description de l’Égypte“ gelandet, die ab 1809 veröffentlicht wurde und ebenso den Grundstein für die Ägypotologie als Universitätsfach bildete als auch für das leidenschaftliche Interesse, mit dem sich Laien bis heute von Mumien, Hieroglyphen und Pyramiden faszinieren lassen.
Eigentlich ist es nicht ein Buch, sondern eine mehrbändige Edition, von der allerdings nur zwei Bände dieses übergroße Format haben. Nur gut 150 Exemplare der ersten Auflage kamen in den Verkauf, die meisten wurden von den Franzosen als Staatsgeschenke an ausländische Fürstenhäuser überreicht, erzählt die Hüterin der Institutsbibliothek, Dr. Annik Wüthrich, mit französischem Akzent. Die aus Genf stammende Wissenschaftlerin kennt nur wenige Exemplare in Museen, Akademien und Instituten, und die werden in Paris, London oder Kairo aufbewahrt. Vor sechs Jahren wurde eine Gesamtausgabe mal bei Christie’s „für einen verrückten Preis“ versteigert, wie sie sagt – es war knapp über eine Million Euro. Die Bücher in Münster stammen allerdings nicht aus der ersten, sondern aus der nicht ganz so raren zweiten Auflage, die ab 1821 erschienen ist. Aber auch die hat Dr. Wüthrich noch in keinem der 15 ägyptischen Institute in Deutschland gesehen, weder in Tübingen noch in Berlin, und auch noch nie so vollständig, wie in Münster.
Die vorgestellten Bände hat sein Vorgänger als Leiter des Instituts für Ägyptologie und Koptologie 1963 für den Preis von 17.000 DM erworben, weiß der emeritierte Professor Dr. Erhart Graefe zu berichten. Leider sind alle Unterlagen über den damaligen Kauf beim Jahrhundert-Regen 2014 verloren gegangen, weil sie im überschwemmten Keller lagerten. Gerade hier hatte sich damals besonders viel Wasser angestaut, direkt vorm Gebäude ließ sich bekanntlich der verwegene Wellenreiter auf der Luftmatratze filmen, was dann überall im Netz geteilt wurde. Prof. Graefe würde nun gerne wissen, von welcher adeligen Familie diese wertvollen Bücher stammen. Als einziger Hinweis ist ein Ex Libris mit dem schwarz-weißen Stich eines Familienwappens im Einband erhalten. Die Wissenschaftler am Institut hoffen nun mit Hilfe der Veröffentlichungen in Zeitungen, im Fernsehen und im Internet einen Hinweis darüber zu bekommen, woher das große Buch zu ihnen gekommen ist.
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