Wo Turmfalken fliegen lernen – Teil 2 Die Fortsetzung des Interviews mit Martje Thalmann, der Türmerin von Münster

Martje Thalmann hat nach 10 Jahren viel zu erzählen. (Foto: Thomas Hölscher)

Martje Thalmann ist die erste Frau, die auf St. Lamberti den Überblick über Münster behält und bei Gefahr Alarm schlägt. Meistens tutet sie jedoch – zum Glück – das Friedenssignal. Zu ihrem 10-jährigen Dienstjubiläum durfte ALLES MÜNSTER mit nach oben steigen und ihr nicht nur über die Schultern, sondern gleich über die gesamte Stadt gucken. Den ersten Teil des Interviews mit Martje haben wir am Mittwoch veröffentlicht, hier folgt nun der zweite Teil.

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AM: Der Ausblick von hier oben ist schon beeindruckend. Gibt es Jahreszeiten oder Events, die Du aus dieser Perspektive besonders magst?

Martje: Natürlich gibt es Highlights, wie Roland Kaiser auf dem Domplatz oder den Umzug am Rosenmontag, den man sich von hier bestens ansehen kann. Jede Witterung hat was Spezielles und Schönes. Manchmal ist totaler Nebel, dann verschwindet sogar der Paulusdom hinter einer dicken Nebelwand. Auch das ist spektakulär. Ein bisschen beängstigend, aber dann klingt das Horn wie ein Nebelhorn. Im Sommer sind die Sonnenuntergänge wahnsinnig berührend, dann gibt’s manchmal Sternschnuppen oder Baukräne, die durch die Nacht funkeln… irgendwas ist immer schön.

Die Käfige an der St. Lamberti-Kirche. (Foto: Thomas Hölscher)

Du hattest 2021 im letzten Interview mit ALLES MÜNSTER von einer Mystik gesprochen, die Dich beglückt… und alleine Dein strahlendes Gesicht beantwortet die Frage schon, ob sich daran etwas geändert hat?

Es ist einfach so cool. Ich bin mir der Privilegiertheit dieses Arbeitsplatzes so bewusst. Dieses Lebendig halten der alten Tradition und sie trotzdem mit neuem Wind füllen… ich meine, ich habe hier WLAN, hallo? Es gibt diesen Job seit 1383 und jetzt mit WLAN, also das ist typisch Münster. Tradition und Moderne gehen Hand in Hand und irgendjemanden gibt es immer, der das mit Feuer und Flamme auslebt. Ich bin ja nur ein Rädchen von ganz vielen in der Stadt. Überall gibt es diese Begeisterung für Dinge.

Wenn Du über die Straße gehst, wirst Du manchmal erkannt?

Seit kurzer Zeit sitzt ein Korkmännchen über der Eingangstüre. (Foto: Thomas Hölscher)

Ja. Auf dem Wochenmarkt zum Beispiel. „Sind Sie das? Und darf ich Sie mal was fragen? Ist das kalt da oben?“ Oder meine Lieblingsfrage „Gibt’s ein Klo?“

Wenn Du auf dem Prinzipalmarkt beobachtest, wie Menschen Fotos von der Lamberti-Kirche machen, gehst Du dann mit stolz geschwellter Brust weiter?

Total! MEINE Kirche! Vor allem jetzt mit der Himmelsleiter. So ein wunderbares Symbol leuchtet uns durch die Nacht.

Das ist ein gutes Stichwort. Die Himmelsleiter von Billi Thanner ist ja gerade in aller Munde. Ganz Münster redet darüber, dass die Leiter uns bald verlassen wird. Viele trauern. Wie siehst du das? Es ist ja ein Kunstwerk, was quasi an Dein Büro getackert wurde. Wie ist das für Dich, dass sie bald weg sein wird?

Na ja, es ist ein weinendes und ein lachendes Auge. Es ist so ein wunderschönes Symbol und auch toll, dass das so funktioniert hat hier. Es ist wirklich so passend. Die Himmelsleiter könnte meinetwegen auch bleiben, andererseits macht vielleicht auch gerade das Vergängliche den Zauber aus. Dass es temporär sein wird, war von Anfang an klar. Ein Teil bleibt ja auch, der innere Teil bei der Orgel – sehr schön. Jetzt zieht es eben erst einmal weiter und dann haben wir mal einen Grund, nach Paris zu fahren. Und wer weiß, vielleicht kommt die Leiter irgendwann wieder. Das ist ja wohl auch nicht ausgeschlossen. Jetzt wird’s im Stadtmuseum erst einmal eine Billi Thanner-Ausstellung geben – darauf freue ich mich auch. Dass Münster so etwas erleben durfte, so ein wunderbares Kunstwerk, sei es auch temporär, ist eine große Auszeichnung.

Billi Thanners Himmelsleiter erleuchtet (noch) den abendlichen Kontrollrundgang. (Foto: Thomas Hölscher)

Du sagst, der Zauber liegt in der Vergänglichkeit. Bleibst Du uns denn noch erhalten – sagen wir, für weitere zehn Jahre?

Absolut! Die nächsten 20, die nächsten 30…. also bis zur Rente darf ich machen. Und dann dürfte man sogar noch verlängern. Ich weiß, dass mein Vorgänger das gemacht hat. Solange die Hüften das mit den Treppen mitmachen und alles gut ist. Und das habe ich vor. Also da spricht jetzt nichts dafür, dass ich hier bald abhaue. Ich habe mich zwar in Lausanne beworben, als dort eine Türmerin gesucht wurde dieses Jahr…

WIE BITTE ???

(Martje grinst schelmisch) ….nur, um meinen Marktwert zu testen. Wann wird denn schon mal eine Stelle als Türmer frei? Mein Mann ist Schweizer, meine Schwägerin wohnt in der Nähe von Lausanne. Und als jetzt die Ausschreibung lief, habe ich es irgendwie witzig gefunden, mich da zu bewerben, ohne mir großartig Chancen auszumalen. Und eigentlich ist ja der Plan, auch nach wie vor, dass ich in Münster bleibe, aber so eine Gelegenheit ist natürlich schön, um den Marktwert zu testen. Ich bin jetzt 10 Jahre hier, da muss man natürlich auch mal gucken, ob man noch woanders Chancen hätte. Das war aber eher ein Spiel und ein Spaß!

„Türmerin zu werden war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Martje. (Foto: Thomas Hölscher)

Schön, zu hören. Gibt es denn – sicherheitshalber – irgendwas, mit dem Münster Dir eine Freude machen kann?

Ich tausche mich wahnsinnig gerne mit älteren Menschen aus. Wer sich mit mir unterhalten möchte oder etwas zu erzählen hat, vielleicht über meine Vorgänger, Lamberti oder was sie persönlich mit Münster verbindet… mich interessieren auch Geschichten über Münsters Zustand während des Krieges oder der Nachkriegszeit. Noch gibt es Zeitzeugen. Heute habe ich mich mit einem 90-Jährigen unterhalten, der mir ebenfalls sehr viel erzählen konnte. Ich lerne gerne jeden Tag etwas dazu und gerade von älteren Menschen kann man super viel lernen.

Wie darf man Dich denn kontaktieren?

Per E-Mail am liebsten. Ich habe aber auch ein Postfach im Stadthaus I, bei der Münster-Information im Erdgeschoss, wo mich auch ganz analoge Post erreicht. Postkarte, Brieftaube… das kann man dort alles abgeben. Ist für ältere Herrschaften vielleicht praktischer. Die Kollegen und Kolleginnen nehmen dort gerne alles für mich in Empfang. Ich komme dann einmal die Woche, nehme die ganze Post mit auf den Turm und beantworte alles händisch.

Man spürt richtig, wie sehr Du aufgehst, in dem, was Du tust!

Das ist eben genau mein Ding. Münster ist einfach so einzigartig mit den Highlights und den Lowlights. Es so viel passiert in diesen vielen Jahrhunderten Stadtgeschichte. Herrlich, ich liebe es, immer mehr dazu zu lernen, das einzuordnen und verschiedene Blickrichtungen zu bekommen.

…und auch wir sind froh und dankbar, eine neue Blickrichtung bekommen zu haben. Aus der Vogelperspektive sozusagen. Ganz lieben Dank dafür!

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Ihr habt den ersten Teil des Interviews verpasst? Keine Sorge, hier ist der direkte Link dorthin:

Wo Turmfalken fliegen lernen – Teil I

 

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