Die Brüder Wingenfelder hat es mal wieder nach Münster verschlagen, nicht zum ersten Mal in diesem Jahr. Bereits beim Stadtfest „Münster Mittendrin“ begeisterten sie vor Münsters Dom, eine weitere Duftmarke setzten sie unlängst, als sie vor fast genau einem Monat bereits den Club im Jovel besuchten und Max Buskohl bei seiner Konzertreihe „Max + ? = Montag“ unterstützten. Am Donnerstag gehörte ihnen der Jovel-Club dann ganz alleine.
Als Support gab es, wie sollte es bei dieser Münster-Affinität anders sein, einen echten Münsteraner. Jan Löchel, auch bekannt unter dem Projektnamen „Jylland“, unterstützt Wingenfelder auf der aktuellen Tournee und, wie soll man anders sagen, er macht seinen Job ganz fantastisch. Wingenfelder und Jylland, es gibt Dinge, die wesentlich schlechter zusammen passen. Zahlreich erschienen waren die Münsteraner und bereiteten Wiegenfelder einen gebührenden Empfang. Die Stimmung war von Beginn an prächtig und so konnte der zweistündige Konzertabend seinen Lauf nehmen. Die Songs des aktuellen Albums funktionieren auch live wunderbar, was gerade bei den weniger temporeichen Nummern immer ein kleines Wagnis ist und ein Rockalbum hat man mit „Retro“ nun nicht gerade abgeliefert, ist es doch in weiten Teilen eher wehmütig und melancholisch.
Mehr Bilder von der Show findet ihr hier.
Vor dem Konzert standen uns die Brüder Wingenfelder Rede und Antwort:
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Münster ist ja mittlerweile schon fast eure zweite Heimat, kann man das so sagen?
Thorsten: Kann man fast so sagen, ja. Wir waren ja jetzt neulich erst eingeladen, von Max Buskohl, zu „Max + ? = Montag“, dann bei der Neuauflage vom Stadtfest… Uns verbindet halt einiges, wir kennen Steffi (Steffi Stephan, Red.) ewig lange, die Halle Münsterland war die erste richtig große Halle, die wir mit Fury damals bespielt haben und nicht zuletzt, dass Jan (Jan Löchel alias Jylland, Red.) jetzt in unserem Dunstkreis aufgetaucht ist und man sich angefreundet hat. So gesehen ist es eine Erfolgsstory, sagen wir mal so.
Wie seid ihr zu Jan Löchel gekommen?
Thorsten: Jan hat uns unterstützt in der Kooperation mit dem Deutschen Jugendherbergswerk und der Oldenburgischen Landesbank. Da machen wir so eine Reihe in Jugendherbergen, mit Künstlern von Bosse, Bourani, Niedecken bis zu Johannes Oerding oder Torsten Sträter. Mit denen spielen wir in Jugendherbergen Konzerte, die ein bisschen anders sind, man wechselt sich dann quasi innerhalb unseres Sets ab und gibt sich die Klinke in die Hand. Dazu gehören Workshops mit Kids aus der Region, die wir zusammenbringen mit Musikschulen und allem. Lange Rede, kurzer Sinn, das ist so erfolgreich geworden, dass es einen riesengroßen Workshop gab, mit ausgewählten Künstlern und Bands. Da gibt es dann die sogenannten Coaches und einer von denen war Jan. Seit es bei uns jetzt ein bisschen voller wird, fühlen wir uns auch verpflichet, ein wenig zurückzuzahlen, indem wir zum Beispiel einen „Special Guest“ mit auf Tour nehmen und Leuten die Chance geben, ihr Programm zu präsentieren. Jan schwimmt natürlich gerade so ein bisschen auf der Erfolgswelle mit dem Ding (Jylland, Red.), obwohl er gar nicht großartig viel dazutut, das passiert aus sich alleine heraus und wir verstehen uns natürlich ziemlich gut, deshalb ist das ein schönes Gesamtpaket.
„Wir wollen die Musik nicht neu erfinden, aber uns stetig ein Stück weiter entwickeln“ – So steht es in der Pressemeldung zum aktuellen Album „Retro“. Das klingt aber irgendwie wenig vorwärtsgerichtet?
Kai: „Retro“ bedeutet ja nichts anderes, als Dinge aus der Vergangenheit in die Zukunft zu bringen. Das heißt für die Musik, sich coole Geschichten aus der Vergangenheit zu schnappen, Stile, und die mit dem zu vermischen, wo wir jetzt sind. Damit generierst du theoretisch was neues, indem du Vergangenheit und Gegenwart mischt. Genau das ist im Endeffekt was wir eigentlich machen, wir nehmen uns die Geschichten unseres ersten Albums, was eher „Storytelling“ war von den Texten her, und vermischen sie mit der musikalischen Entwicklung des zweiten Albums, wo wir Richtung Populär-Musik gingen. Wir treiben das poppige weiter nach vorne und holen uns die Geschichten wieder zurück.
Das aktuelle Album klingt an vielen Stellen sehr wehmütig und melancholisch, ist das gewollt, passiert das automatisch oder liegt das in der Natur der Songs?
Thorsten: Naja gut, wir sind ja die großen Liebhaber der Akkordfolgen und der leicht „U2“igen Atmosphären, nenne es wie du willst. Songs wie „Beste Band der Welt“ oder „Brüder“, sind ja so eine Mischung aus frohlockend und wehmütig… Du, das ist unsere Heimatinsel, unser Heimatstaat oder besser, unser Heimatkontinent, wo wir viel musikalisch wildern und unsere Sachen schreiben. Das sind Gefühle, da fühlen wir uns zu Hause, die vermischen wir dann immer wieder mit dem ein oder anderen.
Wieder eine große Tour, hat sich die Hallengröße mittlerweile verändert oder bleibt ihr da konstant von den Zuschauerzahlen?
Thorsten: Es verändert sich in einigen Städten schon, wo man in Hamburg an zwei Abenden „Knust“ gespielt hat, sind wir jetzt in der Markthalle zum Beispiel. Ab und an knacken wir jetzt die 1000, haben aber auch noch Ecken, wo wir kämpfen müssen, der Süden zum Beispiel ist schwierig. Das musst du dir erspielen, genau wie wir Mecklenburg-Vorpommern irgendwann für uns erschlossen haben. Wir spielen da jetzt zwei Mal Schwerin hintereinander, Rostock, Stralsund, dann haben wir noch Anfragen für ein Radiokonzert vom NDR in Schwerin. Das ist toll, aber das haben wir uns dann wirklich erdaddelt.
Kai: Münster ist auch besser geworden, letztes mal knapp 250, heute über 300.
Thorsten: Kleine Nachwuchsband halt… (lacht)
Kai: Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen, Freunde.
Thorsten: Es geht stetig aufwärts. Es ist jetzt nicht Helene Fischer mit Weihnachtssongs auf ZDF um 20:15…
Muss man den Erfolg denn haben, den Helene Fischer jetzt hat?
Thorsten: 10% vom Promo-Etat hätte ich gerne (lacht), dann könnten wir Sachen von ungeahntem Ausmaß machen. Wir sind ja im Augenblick quasi das Paradebeispiel für eine wirklich unabhängige Independent-Band, weil wir ja nahezu alles alleine machen. Wir haben zwar eine Plattenfirma, aber selbst die ist so ein Independent-Nerd-Ding. Wir bezahlen auch alles selber, deswegen hätte ich auch gerne 10% von dem Etat, der da rausgehauen wird, um mal irgendwo ein Plakat da aufzuhängen wo es noch nicht hängt.
Das Geld hätte glaube ich fast jede Band gerne, aber die anderen, ich nenne es mal Nebenwirkungen, zum Beispiel dieses „Gehype“, hättet ihr die auch wirklich gerne?
Thorsten: Das Gehype passiert ja bei uns sowieso nicht…
Kai: Ganz davon ab, das ist unser Job irgendwie, den Erfolg sehen wir ja auch ganz gerne, wir ernähren unsere Familien dadurch und um so mehr Erfolg wir haben, um so besser ernähren wir sie.
Thorsten: Wenn uns jetzt jemand vier Koffer hierhin stellt, mit 1,5 Millionen Euro… Es hat Jahre gegeben, da hätte ich gesagt „Jetzt rette ich die Welt!“ und jetzt sage ich, „Da denke ich auch gleich mal dran…“, aber ich würde die Koffer nehmen. Das würde nicht zwingend und dramatisch alles ändern, aber es ist schon so: Geld ist immer am Ende der Kette. Wenn da gar nichts bei rumkommt, klappt das hier aber auch nicht mehr, dann geht das nicht. Ok, pass auf, wir brauchen fürs Ego dieses unfassbare „Wir sind die größten“ und alles, was an negativen Sachen mit daherkommt, einfach nicht mehr – keiner von uns.
Das hattet ihr ja auch schon mal, denke ich…
Thorsten: Wir hatten es auch, ja, da waren wir aber sehr jung, da konnte man das noch nicht so bewerten. Tolle Konzerte zu spielen, hier zu spielen, oder drüben in der großen Halle und es ist ausverkauft, das ist eine Größenordnung, die finde ich super. Die Freiheit zu haben, zum Beispiel einen lustigen Monty-Python-Spielfilm zu machen, weil wir das immer schon mal machen wollten und uns ein halbes Jahr auszuklinken, hätte ich auch gerne. Weißt du was ich meine?
Kai: Wir haben uns einfach mal darauf comitted, wir würden gerne große Clubs bespielen, da würden wir gerne noch mal hin, dafür kämpfen wir. Alles was da drüber kommt, das haben wir eigentlich nicht vor. Ich würde lieber zweimal das Capitol spielen, bevor ich einmal in eine riesige Halle gehe. Der Traum ist es halt, mit dem was man mag, am besten noch seinen Lebensunterhalt verdienen zu können. Das ist so das Ziel.
Hier nochmal der Hinweis: mehr Wingenfelder (und Jylland) gibt’s in unserer Fotostrecke zum Konzert.
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