8,55 Millionen Zuschauer können vermutlich nicht irren: Als unser Georg Wilsberg alias Leonard Lansink Anfang 2018 im Inselparadies Norderney zu ermitteln hatte, sorgte das für einen Quotenrekord. Ein klitzekleines bisschen blieb’s zwar hinter den Münster-Tatort-Zahlen zurück, aber bitteschön – erstmals eine 8 vor dem Komma, dazu über 25 Prozent Marktanteil, ja selbst im so benannten „jungen“ ZDF-Publikum! Das ließ sich doch hervorragend an. Übrigens nicht nur fürs Öffentlich-Rechtliche Fernsehen. Auch besagte Nordsee-Insel hatte offenbar viel Freude an ihrem Interims-Botschafter: Ein Streifzug über die Insel, ein Jahr nach „Morderney“.
Naja, eigentlich müsse man den Film ja nur ein paar Mal vor- und zurückspielen, sagt er. Dann könnte man durchaus – ganz sicher ohne Frage und überhaupt – schon ein Stück von seinem so markanten Haupte erkennen. „Ich bin überzeugt, dabei zu sein“, sagt Wolfgang Lübben mit glühendem Herzen. Der gute Mann ist stellvertretender Leiter in Sachen Marketing und Vertrieb auf Norderney, würde seinen Job möglicherweise für weitere derartige Charakterrollen auch mal ruhen lassen. Doch trotz des beachtlichen Auftritts („So minimal – im Fernsehen hätte ich das verpasst“) habe er bislang noch keinen Anruf aus Hollywood erhalten: „Unverständlicherweise!“
Es ist Inselzeit auf Norderney. Heißt: Alles ist etwas ruhiger, alles ist etwas kälter, alles ist etwas weißer. Das gilt insbesondere für das berühmte Strandrestaurant „Weiße Düne“, das seinem Namen nun dank Schnee und Frost besonders gerecht zu werden scheint. Dass vor etwas mehr als einem Jahr ausgerechnet Leonard Lansink reichlich Wärme über die Insel gebracht hatte, mag man heuer kaum glauben. Es fehlt schließlich an entsprechendem Merchandise, an kleinen münsterschen Werbeträgern im Touri-„Ney“. Wilsberg-Glühwein gibt es hier nicht zu erwerben, auch die „Currywurscht“ trägt nicht den Namen Georgs, sondern Jörgs.
Marketing mit Promi-Faktor? Nein, damit können sie hier kaum etwas anfangen. Schließlich kommen die rund 550.000 Gäste alljährlich nur wegen Brise, Meer und Leuten, nur wegen Norderney im Allgemeinen und Speziellen. Und trotzdem hat der TV-Privatdetektiv ein paar Spuren im Inselsand hinterlassen, nachdem vor etwas mehr als einem Jahr die Wilsberg-Folge „Morderney“ zur besten Sendezeit via ZDF ausgestrahlt worden war.
Münsteraner gehören auf die Insel
„Die Nachwirkungen der vielen Morderney-Zuschauer haben wir natürlich gespürt“, so Wolfgang Lübben nun etwas ernsthafter, „direkt im Anschluss an die Ausstrahlung waren dies deutlich mehr Telefonanfragen und Katalogbestellungen wie auch Website-Aufrufe.“ Wie viele Münsteraner aber tatsächlich darunter sein mögen, erst dank Wilsberg den Weg nach Norderney gefunden haben, ist natürlich nicht messbar. Und angesichts der großen Verbundenheit zwischen westfälischer Großstadt und Nordsee-Insel auch gar nicht nötig.
„Das geht weit über eine normale Städtepartnerschaft oder auch eine Beziehung zwischen Herkunftsort und Urlaubsort hinaus – und geht weit in die Familien- und Geschäftsbeziehungen hinein“, sagt Lübben mit dem Brustton der Zufriedenheit, „so gesehen ist das Gefühl vieler Münsteraner, dass der Norderney-Urlaub einfach sein muss, genauso richtig wie das umgekehrte Gefühl, dass die Münsteraner auf der Insel einfach mit dazu gehören.“
Wilsbergs offenes Geheimnis
Und eben Wilsberg. Irgendwie. Einen „Legendenpfad“ gibt es auf der Insel nicht, sehr wohl mache man sich in der Tourismusabteilung aber Gedanken über eine Stadtführung, die die Drehorte von Wilsberg und anderen Produktionen aufgreift. „Zukunftsmusik“, nennt Lübben das. „Aktuell werden diese Informationen eher in die bestehenden Stadtführungen eingebaut.“ „Aktuell.“ Das heißt so viel wie: „Noch.“ Oder auch: „Man weiß ja nie, was kommt.“ Oder eben wer kommt.
Nun ja… wo wir gerade beim Thema sind: „Ich verrate wahrscheinlich kein Geheimnis, wenn ich sage, dass wir in diesem Sommer wieder einen ,Wilsberg‘ auf und in Norderney drehen…“ Das sagt Leonard Lansink. Und ja, vielleicht hat er’s damit nun doch verraten.
Lübben dürfte das wenig ärgern. Im Gegenteil: „Wir hätten überhaupt nichts dagegen, wenn sich Wilsberg, Springer & Co zu Stammgästen der Insel entwickeln würden. Paule Klink und Oliver Korittke waren ja beim 2017er-Dreh nicht mit auf der Insel, die haben sicher Insel-Sehnsucht. Wir sind guter Dinge, wieder sehr gute Gastgeber sein zu können…“, formuliert der Marketingmann es sensibel genug, aber doch auch bestimmt: „Wilsberg selber sprach ja 2017 von Norderney als nördlichsten Stadtteil von Münster. Da ist durchaus auch etwas dran, wenn man die engen Bande sieht.“
Was man auf der Insel gesehen und gemacht haben muss
Wenn Leonard mal nicht als Georg auf der Insel unterwegs ist, macht er’s aber auch mal als Marc – seine Figur im Stück „Kunst“: Im folgenden Winter hatte er im Norderneyer Kurtheater gespielt, gemeinsam mit Heinrich Schafmeister und Luc Feit. Wie’s war? „Prima.“ Na bitte. Doch gemach, gemach. Lansink hatte auch abseits seiner Diensttätigkeiten – man sagt ja, Schauspieler hätten niemals Zeit – noch Muße für weitere positive Norderney-Erinnerungen gefunden. „Das Insel-eigene Bier, sehr süffig“, sagt er, schiebt dann aber auch sogleich noch „die täglichen Sonnenuntergänge an der Milchbar“ hinterher. Und das hier: „Für unseren Hund das Riesenfreilaufgelände in Hafennähe, einschließlich der Kaninchen-Mumien.“
In seiner ganz persönlichen Liste der „WasmanaufNorderneyunbedingtgesehenundgemachthabenmuss“-Vorschläge findet sich letzteres dann auch gleich zuoberst. „Aber wenn jemand gar keinen Hund hat, wäre das ja blöd“, sagt er – und vervollständigt die Aufzählung dann etwas allgemeinplatziger mit „Sonnenuntergängen, das Theater von Innen, Esszimmer, Seesteg, Weststrandbar, Frieseneis…“
Marketing ist unbezahlbar
Und ja, diese Art von Werbung ist durchaus erlaubt, 250 Kilometer nördlich von Münster vielmehr erwünscht. Kein Wunder, dass Lübben im Namen ganz Norderneys – ach was, eher aller Nordseeinseln – seine Einladung ausgesprochen und Lansink die Hand gereicht hat. Dass ein solches Spiel über Bande nicht ganz uneigennützig ist, gibt er aber auch gerne zu: „TV-Sendungen wie Wilsberg sind ein nicht zu unterschätzendes Marketinginstrument – der Wert von ,Morderney‘ übersteigt unser Jahresbudget für das Marketing um ein Vielfaches, somit ist es im mehrfachen Sinne unbezahlbar. Wir erreichten auf dem Top-Sendeplatz bundesweit eine Aufmerksamkeit, die grandios ist.“
Was die Insulaner dafür im Gegenzug zu leisten hatten, scheint im Rückblick einigermaßen überschaubar: Unterstützung bei der Logistik, bei der Unterkunftssuche, bei der Stellung des Platzes für das Basislager, bei der Drehortsuche, bei temporären Absperrungen sowie bei der Komparsensuche – darunter viele Norderneyer, die üblicherweise auf der Bühne des Insel-Laientheaters stehen, „oder einfach mal Lust hatten, beim Wilsberg mitzuspielen“. Wie man es halt so macht. Doch bitteschön: „Da fühlt sich nun keiner als Star – aber jeder erzählt gerne noch von den Erlebnissen am Set.“ Und wenn man dann die Wilsberg-DVD immer wieder vor- und zurückspielen und so möglicherweise einzelne Körperpartien von sich auf dem Bildschirm entdecken kann …
Lansink macht das im Übrigen so gar nicht: „Da fällt mir Marlene Dietrich ein – auf die Frage von Maximilian Schell, ob sie denn ihre Filme anschauen, sagte sie: Was für´n Quatsch, ich war doch beim Drehen dabei.“ (Wer doch Interesse am Film haben mag: Es ist die Wilsberg-DVD 28: „Alle Jahre wieder“/“Morderney“)
Leiche am Strand
Business as usual – für beide Seiten, könnte man meinen. Nun hatte aber nur eine Seite im Frühjahr 2017 auch einen Plan von dem, was da im Sommer beim Dreh so passieren mag. „Ich wusste, dass wir der Insel nicht wehtun würden“, sagt Lansink, „ich fand’s eher großartig mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem ‚Friesland-Krimi‘ zusammen zu spielen. Das Drehbuch habe ich gern gelesen, daran war nix zu verbessern, an Norderney auch nicht.“
Klar, auch Lübben hätte vorher sicherlich gern gewusst, was ihn und seine Inselleute da erwarten mag. Tatsächlich gab es nur Einblicke in die Handlung über die Anforderungen bezüglich der jeweiligen Drehorte. Für Cineasten ist das arg wenig. „Aber ich frage gar nicht nach dem Drehbuch, das würde ich wahrscheinlich eh nicht bekommen.“ Und so hat man’s dann halt gemacht wie immer: Ansprechpartner sein, Brücken zwischen Insulanern und Filmschaffenden bauen, Möglichkeiten schaffen, Vorschläge bezüglich der Drehorte machen. Zumindest im gegebenen Rahmen. „Da gibt es Regularien von verschiedenen Seiten, die man einhalten muss, insbesondere vom Naturschutz, Landkreis, Ordnungsamt und Küstenschutz. Das stellt je nach Drehplan schon die eine oder andere Herausforderung dar, aber bislang mussten wir nur ganz wenig unterbinden.“
Und so eine Leiche am Strand, na. Da kann doch wohl niemand meckern… Oder?
Rückenwind und Gegenwind
Immerhin konnte sich die Kurverwaltung schon frühzeitig ihre Gedanken machen – „die Wilsberg-Anfrage erreichte uns ca. ein Dreivierteljahr vor Drehbeginn“, erinnert sich Lübben noch gut. „Da meldete sich das Produktionsteam bei uns mit dem ,Location Scout‘, wir haben dies positiv aufgenommen, da uns Wilsberg natürlich ein Begriff ist und sich die komplette Produktion auch sehr freundlich und kooperativ verhalten hat.“
Letztlich war’s wohl doch irgendwie ein Geben und ein Nehmen, mit Gewinnern auf beiden Seiten. Laut Lübben waren „unsere Erwartungen und Überlegungen die, dass wir ein gutes Arbeitsumfeld bieten wollten, damit sich das komplette Team auf die Insel einlassen kann und sich somit auch Urlaubs-Feeling in den Film überträgt“. In den Worten Lansinks klingt das dann vielmehr so: „Norderney und die Norderneyer waren sehr gut zu uns, wir freuen uns sehr auf die Fortsetzung.“
Dann garantiert wieder mit reichlich Rückenwind aus der Kurverwaltung – und diesmal hoffentlich etwas weniger Gegenwind von der launigen Mama Natur. Bei den Dreharbeiten vor eineinhalb Jahren gab’s zwischenzeitlich nämlich Sturm (im Norden sagt man: „büschen schnelle Luft“), der die Beleuchtungsspezialisten teils an ihre Grenzen brachte, wie Lansink noch weiß. Im Film sieht man davon aber so gut wie nichts. Auch von weiteren kleinen „Problemchen“ hat sich nichts in der Endfassung wiedergefunden. Wie auch! „Heikler war mal ein Nachtdreh in der Innenstadt, da die Gäste im Nachbarhotel von den großen Scheinwerfern etwas beeinträchtigt waren. Außerdem musste ein Drehort im Inselosten verlegt werden, da dort die Fauna gestört gewesen wäre. Das war zwar vorher schon genehmigt worden, aber Norderney bietet ja viele schöne Drehplätze, sodass wir ausweichen konnten“, heißt’s – natürlich – im Marketing-Sprech.
Kleine Fehler statt Schleichwerbung
Apropos Marketing… in Sachen Insel ist fast alles erlaubt, Insulares aber weniger. Um Schleichwerbung zu vermeiden, hatten im „Wilsberg“ alle Betriebe andere Namen. Die sogenannte „Nordstrandbar“ steht natürlich am Weststrand, „das Bier ist dort aber genauso lecker wie im Film“, sagt Lübben. Und ergänzt: „Das Restaurant ist eigentlich ein Hotel“ – angeblich wollen Touristen noch immer dort einen Tisch reservieren, heißt’s. Die Polizei war das evangelische Gemeindehaus, Telefonzellen standen mitten im Felde. „Aber insgesamt wurde ganz viel von Norderney gezeigt und vor allem die Strandaufnahmen haben wir sehr genossen.“
Zumindest die Außenszenen. Zahlreiche Innenaufnahmen sind dann doch in Köln gedreht worden. „Ansonsten sind die allermeisten Ferienwohnungen auf Norderney natürlich deutlich schöner als die im Film gezeigte. Aber das war halt Teil der Geschichte.“ Und wer will schon meckern, wenn sonst so viel Liebe ins Detail gelegt wird? Darauf hatte Lübben – neben seinem Hinterkopf – nämlich auch besonderes Augenmerk gelegt: „Schön war, dass der Inselrat zwar in Köln tagte, aber dort stolz die Inselflagge auch auf dem Tisch stand!“ Vieles bleibe aber auch in Erinnerung, was im Film nicht zu sehen ist: „Wie der Insulaner, der gefühlt den halben Tag mit dem Fahrrad die gleichen 300 Meter abfuhr, um im Film im Hintergrund einmal kurz zu sehen zu sein oder auch der kleine Notruf, als ein Komparse vom Festland nicht eintraf und dann eine Rolle ganz kurzfristig neu besetzt werden musste. Da konnte aber binnen weniger Minuten ein Norderneyer aushelfen und hat das auch sehr gut gemacht.“
„Ich mach einfach – und fertig“
Für eine Krimi-Folge, die 58. im Wilsberg-Kosmos, wurde Norderney also zu „Morderney“. Auch wenn das eher abschreckend klingen mag: Geschadet hat’s der Insel keinesfalls. Erst recht nicht in der westfälischen Dependance. „Der permanente Austausch zwischen Münster und Norderney scheint beiden Seiten zu gefallen und zu beflügeln. So darf das gerne weiter gehen“, sagt Lübben.
Vielleicht ja schon in diesem Sommer, wenn der münstersche „Botschafter“ wieder mal bei ihm zu Besuch ist? Für Georg Wilsberg alias Leonard Lansink ist das dann allerdings keine allzu große Sache – so sehr ihn die Norderneyer für seine positive Werbewirkung auch schätzen mögen. „Generell fällt es mir eher schwer, auf meine Arbeit stolz zu sein“, sagt der 63-Jährige da, „ich mach die einfach – und fertig.“
Unsere große Norderney-Fotostrecke gibt es hier.
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