„Mit Worten gegen die Katastrophe“ – so lautet die Rede von Najem Wali, Initiator und Kurator der „Westfälischen Friedensgespräche“. Er stammt aus dem Irak, wo er im Rahmen seines Militärdienstes verhaftet und gefoltert wurde und schließlich ins Exil fliehen musste. Er hat Literatur in Madrid studiert und lebt jetzt in Berlin. Mit der Umsetzung seiner Projektidee werde ein Lebenstraum für ihn wahr, erklärte er in der Pressekonferenz am Donnerstagabend. Mit ChrisTine Urspruch und Kai Schumann saßen bei der Lesung gleich zwei prominente Gesichter aus dem TV auf der Bühne.
Die „Westfälischen Friedensgespräche“ werden gefördert durch die Kunststiftung NRW, die Stiftung Westfalen-Initiative, das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes NRW und die LWL-Kulturstiftung. Schirmherrin ist Svenja Schulze, Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. In ihrem digitalen Grußwort skizziert sie die Basis für einen friedensstiftenden Dialog: Man muss bereit sein, aufeinander zuzugehen, zuzuhören und gleichberechtigt an einem Tisch zu sitzen. So sei es auch im Jahr 1648 gewesen, als in eben diesen geschichtsträchtigen Räumlichkeiten des Rathauses zum ersten Mal Frieden durch Dialog entstanden ist. „Die heutige Veranstaltung passt deswegen besonders gut hier hin.“ erklärt die Bürgermeisterin Angela Stähler. Sich auseinanderzusetzen mit unterschiedlichen Meinungen sei ihrer Ansicht nach nicht nur richtig, sondern auch bereichernd.
Die Moderatorin Catalina Rojas Hauser (Geschäftsführerin des Kulturrats NRW) führt durch den literarischen und politischen Abend. Doch was hat Literatur nun genau mit Politik zu tun? Najem bedient sich für diese Antwort einem Ausdruck des Schriftstellers Peter Weiß: „Alle Kulturschaffenden kreieren eine Ästhetik des Widerstandes, können mit Worten gegen Konflikte wirken.“ Und dies sei der Ausgangspunkt der „Westfälischen Friedensgespräche“. Man könne beim Blick in die Bücher deutliche Warnungen erkennen, denn Literatur beschreibe Geschehenes. „Dichter wissen mehr als Staatsmänner.“ so Najem. Doch bediene man sich dieser Weisheit, die ganze Bibliotheken füllt, nicht – oder zu selten. „Und plötzlich verwandelt sich eine Welt von morgen in eine Welt von gestern.“ Man müsse nicht nach Waffen, sondern Worten greifen, um gemeinsam Lösungen zu finden. Nur durch ehrliche Selbstreflexion könne man „bei aller Diversität nach Gemeinsamkeiten suchen“, erklärt Najem.
Und darum geht es in seinem Projekt „Westfälische Friedensgespräche“: Zwei Autoren aus zwei Welten treten in den Dialog, um die Konfliktsituation aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten und den eigenen Standpunkt zu relativieren. Beleuchtet werden hier u.a. ökonomische, politische, geographische, religiöse und kulturelle Aspekte.
Den Anfang einer laut Najem „hoffentlich langen Projektreihe“ machten am Donnerstag José Ovejero aus Madrid und Jordi Puntí aus Barcelona. Wie man den beiden Städten vielleicht schon entnehmen kann, wird hier der jahrhundertealte Konflikt zwischen der spanischen Region Katalonien und der Zentralregierung in Madrid thematisiert. Ein kurzer Exkurs: Die spanische Verfassung sieht die Abspaltung eines Autonomiegebiets nicht vor, was entweder eine Verfassungsänderung durch das spanische Parlament oder ein Referendum im ganzen Land erforderlich macht. Wie sich dieses scheinbar unüberbrückbare Dilemma auf das Volk auswirkt, haben die Autoren eindrucksvoll auf Papier gebracht. Zuerst habe man überlegt, jeweils einen Text zu verfassen und diesen dann im Podium vorzutragen, so José, aber dann sei ihnen klargeworden, dass man so nicht in die Tiefe gehen und auf einander eingehen könne. Sie haben sich daher für einen monatelangen Briefwechsel entschieden.
Um sich vorab ein Bild von seinem Dialogpartner Jordi zu machen, habe José ihn vor Beginn des Projekts gegoogelt, gab er im Podiumsgespräch zu. Dabei sei es ihm zunächst gar nicht um dessen Meinung, sondern viel mehr darum gegangen, auf welche Art und Weise er diese zum Ausdruck bringe. Jordi beschreibt die von ihm gewählte Kommunikation so: „Es geht nicht um Angreifen und Verteidigen, sondern das Miteinander.“
Und wie dieses Miteinander klingt, durfte man am Donnerstagabend bei einer Lesung im Rathaus hören. Präsentiert wurde das Ganze von dem „Westfälischen Literaturbüro Unna e.V.“. Um den Gedanken von José und Jordi eine deutsche Stimme zu verleihen, wurden die Schauspielerin ChrisTine Urspruch (u.a. „Tatort Münster“) und der Schauspieler Kai Schumann (u.a. „Heldt“) eingeladen. Das Publikum wurde Zeuge, wie Frieden durch Dialog funktionieren kann. Urspruch übernahm hierbei den Part von José, welcher in einem seiner Briefe schreibt, dass „Konflikte ebenso wie Vorstöße ins Unbekannte auch die Chance bieten, an ihnen zu wachsen. Vorausgesetzt, sie werden demokratisch gelöst.“ Obgleich die Worte über das zwiegespaltene Land offen und unverblümt sind, spürt man dennoch freundschaftliche Sanftmut und Respekt zwischen den Zeilen.
Das „Duo Loco“ untermalte den Abend mit spanischen und katalonischen Klängen: Ein gefühlvolles Wechselspiel aus sanften, melancholischen Tönen und freudig-temperamentvollen Passagen. Nach der Lesung fand ein Podiumsgespräch statt, in dem sich Najem, José, Jordi und die spanische Schriftstellerin Laura Casielles austauschen konnten. „Literatur kann helfen, die Fantasie zu erweitern“, so Laura, „neue Frage zu stellen und Politik aus einer neuen Perspektive zu denken.“ José beschreibt die Parallelen zwischen Literatur und Politik so: „Jeder Schriftsteller muss als Werkzeug seine Empathie benutzen, um interessante Charaktere zu schaffen. Er muss sich mit verschiedenen Sichtweisen der Realität befassen.“ Er selbst befinde sich in eben diesem Prozess, habe durch das Projekt sogar begonnen, auf katalanisch zu lesen, weil er glaube, dort etwas zu finden, was er im Spanischen nicht finde. Und es sei ihm ein Bedürfnis, nach diesem Treffen noch einen letzten Brief zu schreiben. Was darin stehen wird, bleibt wohl sein Geheimnis.
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