Fältchen sind nicht das einzige Zeichen des Alterns, das uns Sorgen bereiten sollte – viel entscheidender könnte das biologische Alter unseres Gehirns sein. Diese Differenz zwischen dem tatsächlichen und dem biologischen Alter des Gehirns wird als „Brain Age Gap“ (BAG) bezeichnet. Es ist bekannt, dass Umwelteinflüsse oder Erkrankungen die BAG erhöhen können. Dr. Jan Ernsting hat in seiner Doktorarbeit an der Universität Münster ein maschinelles Lernsystem entwickelt, das das Potenzial hat, diese Unterschiede klinisch am einzelnen Patienten zu erkennen. Für diese bahnbrechende Arbeit wurde der gebürtige Rheinenser nun mit dem Promotionspreis der Medizinischen Fakultät der Universität Münster ausgezeichnet.
„Alterungseffekte sind überall im menschlichen Körper zu finden und durch diverse Marker messbar“, erklärt Ernsting. „Besonders gut erforscht ist der Ansatz des Brain Age. Maschinelle Lernverfahren analysieren Daten von MRT-Untersuchungen, um den Zustand eines Gehirns zu ermitteln und daraus das biologische Alter des Menschen zu schätzen. Wenn dieses vom tatsächlichen, also dem chronologischen Alter abweicht, spricht man von einer BAG.“ Das Problem dabei: Obwohl zahlreiche Studien belegen, dass eine erhöhte BAG mit verschiedenen Erkrankungen zusammenhängt, fehlten bisher geeignete Methoden, um individuelle Risiken und Verläufe bei Patienten zu diagnostizieren – bis jetzt.
„In meiner Studie präsentieren wir ein methodisches Grundgerüst auf Basis neuronaler Netze für maschinelles Lernen, das nicht nur eine Schätzung des individuellen Risikos ermöglicht, sondern auch statistische Garantien bietet“, so der Preisträger. Neu an seinem Ansatz ist die Integration von Unsicherheitsschätzungen: Da maschinelle Lernmethoden auf einem spezifischen Satz von Patientendaten trainiert werden, basiert jede BAG-Vorhersage auf diesen Daten. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass bei einer hohen Variabilität innerhalb der Stichprobe oder in speziellen Fällen die Vorhersage des „Hirnalters“ nur ungenau sein kann.
„Im Vergleich zu früheren Ansätzen ist das Modell so gestaltet, dass es mit anderen Wissenschaftlern oder Kliniken geteilt werden kann“, sagt Ernsting. Dies ermöglicht die Entwicklung klinisch nutzbarer Modelle auf Basis seiner Arbeit. Ernsting, der von Haus aus Informatiker ist, arbeitet bereits an Anschlussuntersuchungen zu dieser Methode. Persönlich wird er nach seiner Promotion im InFlame-Kolleg an der Medizinischen Fakultät weiterforschen, wo er sich auf die Schnittstelle zwischen Medizin und Informatik mit dem Fokus auf Entzündungen konzentrieren wird. Betreut wurde seine Doktorarbeit von Prof. Tim Hahn am Institut für Translationale Psychiatrie.
Mit seiner innovativen Forschung hat Dr. Jan Ernsting nicht nur einen wichtigen wissenschaftlichen Beitrag geleistet, sondern auch einen bedeutenden Schritt in Richtung präzisere medizinische Diagnostik gemacht.
Hier der PubMed-Link zur Studie: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34985964/