We are lost in music MTV und VIVA Urgestein Markus Kavka über eine verrückte Zeit, die nicht nur ihn prägte

Markus Kavka (li.) und Elmar Giglinger kommen im Rahmen ihrer Lesereise ins Atlantic Hotel. (Foto: Marco Justus Schöler)
Markus Kavka (li.) und Elmar Giglinger kommen im Rahmen ihrer Lesereise ins Atlantic Hotel. (Foto: Marco Justus Schöler)

„MTViva liebt dich!“ heißt das Buch, das Markus Kavka zusammen mit Elmar Giglinger geschrieben hat und das beide zusammen am kommenden Dienstag im Atlantic Hotel in Münster vorstellen werden. Wir sprachen vorab mit Markus Kavka im Interview.

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Markus, du bist zusammen mit Elmar Giglinger auf Lesereise. Worauf dürfen wir gespannt sein?

Das wird hoffentlich eine launige Zeitreise! Wir haben ja die komplette Geschichte des deutschen Musikfernsehens in unserem Buch erzählt. Sicherlich waren die für uns persönlich prägendsten Jahre die, in denen wir da selbst in Amt und Würden waren, also sprich Elmar von Ende 1993 bis 2008, ich von 1995 bis 2008. Aus der Zeit gibt es natürlich eine Menge Geschichten, Anekdoten, Erlebnisse von uns, aber auch von den Leuten, die wir fürs Buch interviewt haben, garniert mit Videos, Ausschnitten aus Interviews, aus Moderationen und Konzerten.

Am 01. Dezember 1993 ging VIVA on air, quasi als Pendant zu MTV. Im Gegensatz zu den VJs (VJ = Musikvideo-Clip-Ansager, Anm. d. Red.) der ersten Stunde von VIVA, bist du erst später zum Sender gestoßen und hast vor allem auch schon Erfahrung aus der Musikbranche mitgebracht durch deine Arbeit beim Magazin „Headbangers Ball“. Ehrlich gesagt warst du mit Ende 20 auch schon recht alt, als du zu VIVA kamst. Wie war das für dich, plötzlich in einem so jungen Sender mit extrem lauten und quirligen Kollegen zusammenzuarbeiten?

Korrekt, mit 28 Jahren war ich damals der Älteste im Team. Ich habe mich von Anfang an eher so als moderierenden Redakteur anstatt als VJ verstanden, ich hatte ja auch keinen Autor, der mir die Moderationstexte geschrieben hat. Ich hatte aber schon Erfahrungen als Radiomoderator, die kamen mir bestimmt zugute.

„Metalla“ war das Format, mit dem man dein Gesicht auf VIVA unweigerlich in Verbindung brachte. Dennoch war die Moderation für dich vor der Kamera auch Neuland. War dieser ich nenne es mal mediale Kaltstart im Nachhinein genau der richtige Weg, um als Moderator wie auch Musikjournalist die richtigen Techniken zu erlernen?

VIVA hatte mit der Sendung „Metalla“ eine Kooperation mit dem Magazin „Metal Hammer“, bei dem ich damals Redakteur war und da wurde ich dann wirklich gefragt, ob ich nicht das, was ich da schreibe, einfach mal von der Kamera erzählen möchte. Da habe ich erst gesagt, „Ne weiß jetzt nicht, ich finde es ganz gut, dass die Leute mein Gesicht nicht kennen“ und dann hat es mir aber sofort Spaß gemacht. Es gab dann auch gar kein großes Casting, eher so „Ja also mach einfach mal und wenn es cool ist, dann kriegst du den Job auch“ im Prinzip. Eigentlich hatte ich auch gar keine Ambitionen, ins Fernsehen zu gehen.

Im Gegensatz zu MTV war VIVA sehr liberal, auch was den Jugendschutz on air betraf. Es liefen dort zum Beispiel Musikvideos wie „Bitte bitte“ von den Ärzten, „Be thankful for what you’ve got“ von Massive Attack oder „Erotica“ von Madonna unzensiert im Nachmittagsprogramm. Auf MTV wäre das undenkbar gewesen. Hat man sich in der Redaktionssitzung einfach gesagt, „Lass mal senden und gucken was passiert“ und das ganze als künstlerische Freiheit eines Musiksenders betrachtet?

Für MTV, die ja damals noch von England aus gesendet haben, galten andere rechtliche Bestimmungen – für MTV in den USA sowieso. Bei VIVA war das eine Gratwanderung, dass wir Dinge unzensiert auch im Nachmittag und nicht nur im Abend- oder Nachtprogramm gespielt haben. Von daher haben wir es als künstlerische Freiheit betrachtet und die ist erfreulich selten beschnitten worden.

MTV hatte bereits bekannte Gesichter wie Ray Cokes, Steve Blame, Kurt Loder, Kristiane Backer oder Simone Angel. Auch Award Shows gab es auf MTV bereits seit Anfang der 80er. VIVA war dagegen sehr früh mit vollständigen Live-Übertragungen deutscher Großveranstaltungen wie zum Beispiel der „Mayday“ und der „Loveparade“ dabei. Dennoch hatte man manchmal immer noch das Gefühl, VIVA wird nicht ganz für voll genommen. Wie siehst du das? Hat man sich die mediale Seriosität beispielsweise auch mit dem Start von VIVA II erarbeitet?

Am Anfang war es tatsächlich so, dass VIVA nicht so für ganz voll genommen wurde, vom „Dilettanten Stadel“ die Rede war. „Zu laut, zu bunt, zu schrill, zu blöd“ und eine Zeitung hat geschrieben, „Sesamstraße auf Speed“, das fanden wir noch am charmantesten. Beginnend mit dem Song „Mädchen“ von Lucilectric haben alle erkannt, dass VIVA in der Lage war, Hits zu machen. Es war ja vorher so, dass kaum deutsche Sachen bei MTV liefen und entsprechend waren auch wenige deutsche Sachen in den Charts vertreten.

Dann kam VIVA und hat eben bewusst viele Sachen aus deutscher Produktion gespielt oder mit deutschen Texten. Dann hat man sehr schnell festgestellt, dass eine hohe Rotation bei VIVA gleichbedeutend damit ist, dass Sachen in den Charts landen und dann auch auf den vorderen Plätzen. Was dann noch dazu kam war, dass man auch sehr schnell gemerkt hat, wie gut VIVA da draußen ankommt, weil das eben nicht so weit weg und distanziert wie MTV war. Die Moderatoren haben auf Augenhöhe gesendet. Quotenmäßig hat VIVA dann MTV sehr schnell überholt, was auch das Feuilleton anerkennen musste. Die redaktionellen Inhalte waren bei VIVA schon auf einem sehr hohen Niveau.

Es gab auf VIVA Momente, die in Erinnerung geblieben sind – lustige wie traurige. Ein Ferris MC, der live in der Sendung ausrastete, Hape Kerkeling der verkleidet als Mitglied der fiktiven Band „R.I.P. Uli“ deine Kollegin Milka verarschte und auch den Moment, als Nilz Bokelberg den Tod von Nirvana-Frontmann Kurt Cobain on air verkündete. Was waren für dich außergewöhnliche Momente, an die du dich heute noch erinnerst?

Also zunächst mal fand ich es halt toll, dass man bei VIVA man selbst sein konnte. Mich hat in der ganzen Zeit weder bei VIVA noch bei MTV irgendjemand dazu gezwungen, mich zu verstellen, Dinge zu sagen, die ich nicht sagen wollte. Man konnte sich da auf eine Art und Weise entwickeln, die vielleicht heute in der Form vor allem im Fernsehen gar nicht mehr möglich ist. Man hatte alle Freiheiten aber diese nicht missbraucht. Sondern man hat versucht, ebenso seine Persönlichkeit zu formen und man durfte Fehler machen. Und vielleicht sollte man sogar Fehler machen. Alle haben Fehler gemacht.

Ansonsten werde ich auch nie die Interviews vergessen, die ich mit meinen Helden führen durfte. Allen voran Depeche Mode, Nick Cave, Robert Smith, New Order und viele, viele andere, deren Musik ich schon so seit Teenager-Tagen verehrte und die ich dann endlich mal treffen durfte. Ebenso unvergesslich waren auch die MTV Europe Music Awards oder die MTV Video Music Awards in den USA. Das war halt dann schon so richtig großes Besteck.

Giglinger (li.) und Kavka haben den Spiegel-Bestseller "MTViva liebt dich!" geschrieben. (Foto: Marco Justus Schöler)
Giglinger (li.) und Kavka haben den Spiegel-Bestseller „MTViva liebt dich!“ geschrieben. (Foto: Marco Justus Schöler)

Du warst früher als Goth, also als Anhänger der Gothic Szene, unterwegs und berichtest aufgrund deines Looks rechte Gewalt am eigenen Körper erfahren zu haben. Nicht nur deshalb hast du dich immer klar gegen Rechts positioniert. Heute sind es vorwiegend Campino von den Toten Hosen, Herbert Grönemeyer und Udo Lindenberg, die immer wieder gegen Nazis ihre Stimme erheben. Junge Künstler sind da oft relativ still. Was glaubst du woran es liegt, dass sich junge Künstler meistens nur im Kollektiv trauen, klare Kante gegen Rechts zu zeigen? Stecken da Managements oder Plattenfirmen hinter, die ihren Künstlern so nach dem Motto sagen „Wir finden Nazis zwar auch scheiße, aber sag das besser nicht auf der Bühne, das polarisiert zu sehr“?

Junge Künstler sind da relativ still. In der Tat aber nicht alle. Es gibt immer noch Leute, die klare Kante zeigen. Gerade in diesen Zeiten ist es sehr, sehr wichtig, gegen Rechts aufzustehen und da auch keinen Meter nachzugeben. Ansonsten kann ich nicht sagen, ob da Management und Plattenfirmen dahinterstecken, die den Künstlern sagen „Hey, haltet mal besser die Klappe, das polarisiert zu sehr“. Ich habe das Gefühl, dass das schon den meisten Leuten selbst überlassen ist und dass einem da Management und Plattenfirma nicht hineinreden. Aber wir reden halt jetzt auch über die Zeiten von Social Media und wenn ich mich gegen Rechts engagiert habe, dann war es natürlich so, dass es rein zahlenmäßig nicht so viele Leute mitbekommen haben, wie sie das heute tun.

Wenn ich mich jetzt gegen Rechts positioniere, was gegen Rechts sage und das auf meinen Socials mache, dann habe ich massenweise Trolls am Start, rechte Trolls. Da kriege ich auch Morddrohungen in meinen Direct Messages und da überlege ich natürlich jetzt auch, soll ich mich dem Ganzen noch in der Form aussetzen und meine Antwort an mich selber ist klar. Ich muss es sogar, weil es eben wichtiger denn je ist, aber ich kann auf der anderen Seite nicht von allen Leuten verlangen, dass sie das genauso machen. Also wenn jemand sich dem nicht aussetzen möchte, da habe ich total das Verständnis und auch Respekt vor dieser Entscheidung. Von daher muss jeder für sich selber entscheiden, aber ich begrüße es natürlich, wenn Leute sich öffentlich gegen Rechts positionieren.

Du bist bekennender Robert Smith Fan, dem Frontmann der Band The Cure. Da du auch als DJ unterwegs bist: Was hast du gedacht, als Blank & Jones Anfang der 2000er plötzlich den The Cure Song „A forest“ von 1980 geremixt haben? Sind das so die Momente, in denen man sich als Fan denkt, „Da zerstört gerade wer den heiligen Gral“ oder sagt man sich eher „Okay, nun wird ein Klassiker im neuen Gewand halt einem jüngeren Publikum zugänglich gemacht“?

Wie immer in solchen Fällen zuckt man im ersten Moment ein bisschen zusammen und denkt sich so: Darf man das? Aber dann ist es in der Tat so, wie du sagst, dass man es gut findet, wenn auf diesem Weg jüngere Leute auf die Musik aufmerksam gemacht werden. Die in aktuellen Pop-Produktionen verwendeten Samples aus den 80ern, 90ern oder Nuller Jahren lassen die alten Helden dann nochmal zu neuen Ehren kommen.

Natürlich darf man nicht vergessen, dass damit auch Geld verdient wird. Durch TikTok-Challenges oder Choreos tauchen lang in der Versenkung geglaubte Songs plötzlich wieder auf, was eigentlich immer begrüßenswert ist, wenn junge Leute – auf welchem Weg auch immer – durch einen Remix oder eine Coverversion auf gute Musik aus früheren Jahrzehnten aufmerksam werden.

Bleiben wir noch kurz beim Thema DJ. Dein Track „Mean Machine“ zum Beispiel überrascht sehr. In eurem Buch erwähnst du auch DJ Urgestein Tom Novy. Wäre das nicht mal ein Partner für eine Produktion? Legst du aktuell eigentlich noch auf und was ist musikalisch bei dir geplant?

Ja, ich lege schon noch auf, nicht mehr so viel wie früher. Die Szene hat sich auch ein bisschen geändert, es gibt lang nicht mehr so viele Clubs und naja, ich bin natürlich auch ein paar Jahre älter geworden. Mit 57 muss ich jetzt nicht mehr jedes Wochenende zur Primetime in irgendwelchen Clubs herumspringen. Aber ich habe dieses Jahr relativ viel bei Open-Air-Festivals gespielt und das hat mir großen Spaß gemacht.

Produziert habe ich schon länger nichts mehr, weil mir jetzt auch die Zeit gefehlt hat, mit dem Buch und diversen Podcast-Projekten. Aber klar, wenn es die Zeit erlaubt, dann gehe ich mal wieder ins Studio. Ob ich das ausgerechnet mit Tom Novy mache, weiß ich jetzt nicht. Super Typ, keine Frage, super DJ auch. Wir haben uns super gut verstanden, als wir MTV-Kollegen waren und haben auch viel zusammen unternommen.

Mit niemand geringerem als Madonna hast du 1998 ein großartiges Interview geführt. Sie saß quasi bei dir auf dem Schoß und hatte unglaublich gute Laune. Man merkte sofort, die Chemie stimmt auf beiden Seiten. Du hattest interessante Fragen im Gepäck, Madonna mit „Ray of Light“ ein unglaubliches Album dabei. Wie ist eigentlich der Vorlauf bei einem Interview mit so einem Weltstar wie Madonna? Ruft da die Plattenfirma bei VIVA Gründer Dieter Gorny an und sagt: Wir wollen unbedingt Markus Kavka für das Interview? Gibt es strikte Vorgaben, was man zum Beispiel alles nicht fragen darf? Wie viele Leute sind da überhaupt mit im Raum neben Madonnas Managerin Liz Rosenberg, der „Dicken Liz“, um dich zu zitieren, die einem die Arbeit als Journalist vor Ort unnötig erschweren?

Das Interview war speziell, weil es ganz lange hieß, dass Madonna bei ihrem kurzen Aufenthalt in Deutschland, sie war ja Gast bei „Wetten, dass..?“ in Düsseldorf, keine Interviews gibt. Am Tag vorher hat sie sich dann entschieden, VIVA doch ein Interview zu geben und dafür wurde dann ich auserkoren. Das hat die Redaktionsleitung so beschlossen und für mich war es krass. Es gab zwar schon Internet, aber ich hatte im Prinzip nur einen Abend, um mich auf das Interview vorzubereiten. Das war zu wenig, um jetzt so ihre komplette Biografie durchzuarbeiten und alles mir drauf zu schaffen, was man über Madonna wissen muss.

Ich wusste schon viel über sie, sie war ja auch für mich eine Ikone, aber ich habe jetzt nicht mehr so akribisch ihr musikalisches Schaffen verfolgt. Aber ich fand aber dann „Ray of light“ ein sehr gelungenes Album und habe mir dann gedacht: Warum mit Madonna einfach nicht mal eine Stunde über Musik reden? Das klingt jetzt erstmal komisch, war aber damals gar nicht mehr so verbreitet. Viele Leute, die mit Madonna Interviews geführt haben, haben dann mit ihr über Mode, über Klatsch und Tratsch und alles Mögliche gesprochen, aber wirklich kaum über Musik und das hat sie dann total genossen. Wir haben dann wirklich so über Kraftwerk geredet, über Björk, überhaupt über aktuelle Musik, warum sie da genau diesen und jenen Produzenten hatte, was sie cool findet. Da hat sie sich wirklich nach dem Gespräch nochmal ausdrücklich dafür bedankt und sie hat sich seit langer Zeit mal wieder, kurioserweise, als Künstlerin wertgeschätzt und respektiert gefühlt.

Das Interview mit Madonna war für mich definitiv eins meiner Highlights, das ich auch nie vergessen werde. Wir sind uns danach noch ein paar Mal begegnet uns sie wusste immer noch wie ich heiße, auch keine Selbstverständlichkeit. Das ist bis heute für mich ein absolutes Highlight.

Kavka im Interview mit Madonna. (Foto: Screenshot / VIVA)
Kavka im Interview mit Madonna. (Foto: Screenshot / VIVA)

Um noch kurz bei den größten Künstlern unserer Zeit zu bleiben, du hast sogar Michael Jackson getroffen, der vor 15 Jahren starb. Würdigt man die Musik nach dem Ableben eines Künstlers eigentlich umso mehr? Ich meine, wenn man sich mal die Zeit nimmt und seine Alben „Bad“ und auch „Dangerous“ über gute Kopfhörer anhört, muss man kein Fan sein, um zu sagen „Was für ein Ausnahmetalent, was für eine klangliche Meisterleistung“. Siehst du das ähnlich?

Michael Jackson habe ich auch getroffen, wenn auch nur kurz. Also ich habe kein richtiges Interview mit ihm gemacht. Kurt Loder, mein MTV US Kollege, hat uns bei den MTV Video Music Awards in New York vorgestellt. Sein musikalisches Erbe ist unbestritten, aber ich habe trotzdem natürlich so ein ambivalentes Verhältnis zu Michael Jackson. Ich bin zwar grundsätzlich auch jemand, der in der Lage ist, das künstlerische Schaffen von einer Privatperson zu trennen, aber trotzdem geht bei ihm halt das eine ohne das andere nicht mehr. Das muss dann jeder so für sich verhandeln, wie er die Musik dann hört und wie er alles andere beurteilt. Für mich ist Michael Jackson musikalisch natürlich einer der größten, den es gibt, aber wie gesagt, ich kann die Musik nicht mehr so ganz unbelastet genießen.

Inzwischen hat KI auch Einzug in die Musikbranche gehalten. Was DJs früher als Mashup kreiert haben, übernimmt heute die Künstliche Intelligenz. Als Partygag taugt das wohl, wenn zum Beispiel Britney Spears „Losing My Religion“ von R.E.M. singt. Wie beurteilst du diese Entwicklung?

Zum Thema „KI in der Musik“ könnten wir ein mehrstündiges Interview machen. Wie ich die Entwicklung beurteile? Wir reden vielleicht in einem Jahr über Sachen, die jetzt noch undenkbar sind und das ist alles so im Fluss, dass das, was ich jetzt als Beurteilung abgebe, morgen schon komplett Schnee von gestern sein kann. Ich bin immer ein Freund von technologischen Entwicklungen gewesen und bin generell ein Freund von morgen. Ich finde morgen tendenziell immer geiler als gestern, insofern habe ich ein genaues Auge drauf, wie sich da alles entwickelt und würde mich freuen, wenn technologische Entwicklungen, wie soll ich sagen, mit Augenmaß eingesetzt werden. Besonders in Bezug auf künstliche Intelligenz finde ich es natürlich schön, wenn, oder wie formuliere ich es jetzt, wenn es unterstützend eingesetzt wird und dadurch neues kreatives Tolles entsteht. In dem Moment bin ich ein großer Freund davon. Wenn es dann aber irgendwann an einem Punkt ist, an dem alles nur noch sehr schablonenhaft ist und einen nichts mehr berührt, dann glaube ich, dass künstliche Intelligenz nicht das Richtige in der Kunst und in der Musik ist.

In der „30 Jahre VIVA“ Doku berichten neben dir auch viele weitere ehemalige VJs von dieser verrückten Zeit. Bestehen da heute eigentlich noch Freundschaften, trifft man sich noch regelmäßig?

Also ich bin immer noch sehr gut mit Charlotte Roche befreundet, auch mit Sarah Kuttner, ich freue mich auch jedes Mal, wenn ich Christian Ulmen treffe oder Patrice in Berlin. Durch das Buch hat man auf jeden Fall ein paar alte Kontakte wieder aufgefrischt und festgestellt, dass es Zeit wird, sich mal wiederzusehen.

Rückblickend auf deine Arbeit in der Musikbranche, gab es Künstler, die du nach einem Treffen komplett anders bewertet hast – positiv wie negativ?

In erster Linie positiv! Gerade so Leute, deren Musik mir entweder gar nichts bedeutet hat oder die ich sogar irgendwie scheiße fand, ich würde da jetzt mal spontan Phil Collins nennen. In den 80ern waren er und seine Musik der Satan für mich und als ich ihn dann später getroffen habe, war er einer der lustigsten und coolsten Typen. Daraufhin habe ich mir den kompletten Phil Collins und Genesis Backkatalog (musikalisches Gesamtwerk eines Künstlers, Anm. d. Red.) zugelegt. Sting, Rod Stewart, Elton John, die Bee Gees und generell Superstars, die jetzt musikalisch nie so mein Ding waren, sind menschlich super Typen gewesen.

Bon Jovi war dann allerdings so, wie ich es mir ungefähr vorgestellt habe, also nicht so nett und auch nicht so spannend. Bei Depeche Mode hingegen war es genau umgekehrt, die waren noch cooler, als ich sie mir vorgestellt habe, was auch für Robert Smith von The Cure, New Order und Nick Cave gilt. Die einzige negative Erfahrung, die ich überhaupt jemals gemacht habe, war ein Interview mit Blur. Aber da hatten die einfach einen beschissenen Tag, das war zu deren Koksphase. Da waren sie halt wirklich so auf Krawall gebürstet. Da hat sich Damon Albarn (Frontmann und Sänger der Band, Anm. d. Red.) dann auch im Nachhinein bei mir entschuldigt, als wir uns ein Jahr später wieder begegnet sind. Von daher alles cool, no bad feelings.

Wenn du der Generation von heute drei Musikalben vorschlagen müsstest, die für dich persönlich musikalische Meilensteine sind, welche wären das?

Das ist eine ganz schwierige Frage. Da könnte jetzt auch mühelos nicht nur drei, sondern 30 oder 50 oder 100 aufzählen. Wenn ich mich auf drei Alben beschränken müsste, dann würde ich jetzt mal sagen „Pornography“ (1982) von The Cure, „Songs of faith and devotion“ (1993) von Depeche Mode und dann nehmen wir noch „Nevermind (1991) von Nirvana dazu.

Gibt es etwas, das du unseren Lesern gerne noch als Botschaft mitgeben möchtest?

Ja, es ist so generell mein Wahlspruch, den ich gerade jungen Menschen immer mit auf den Weg geben möchte: Lasst euch nicht ins Herz oder ins Hirn scheißen.

In diesem Sinne haben wir wieder was gelernt.

Recht herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit auf Wiederhören.

Vielen Dank Markus für das sehr nette und vor allem wirklich interessante Gespräch.

"MTViva liebt dich" mit Markus Kavka & Elmar Giglinger | 22.10.2024 | 20:00 Uhr | Atlantic Hotel Münster | Tickets

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