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Vergangene Woche fand vor dem Amtsgericht Münster der erste Verhandlungstag gegen eine Person statt, der von der Staatsanwaltschaft “Vermummung” vorgeworfen wird. Im Rahmen des Gegenprotestes gegen den AfD-Neujahresempfang im Jahr 2024 wurden die Personalien der angeklagten Person durch die Polizei aufgenommen. Aufgrund des Tragens einer FFP2-Maske und einer Mütze sahen die Beamten vor Ort einen möglichen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Nach § 17 des Versammlungsgesetzes NRW ist es verboten, seine Identität auf Versammlungen zu verschleiern.
Noch vor Prozessbeginn versammelten sich in etwa 50 Aktivist*innen vor dem Gerichtsgebäude zu einer angemeldeten Versammlung. Gewerkschafter Gebhard Hofner fragte im ersten Redebeitrag, ob die angeklagte Person geklaut, den Kaiser beleidigt oder Nazisymbole gezeigt habe und beantwortete die Frage gleich selbst: “Nein.” Und ergänzt, es wurde “gegen reale faschistische Gefahren, gegen die AfD protestiert und dabei ein Mundschutz getragen.” Demonstrativ zieht Hofner dabei Mund-Nasenschutz mit Gewerkschaftslogo über seinen Mund und erklärt, dass sich auf Demonstrationen etliche Menschen so schützen wollen, insbesondere im Winter. Eine Anzeige gegen den Gewerkschafter wurde von den beiden anwesenden Polizisten bei dieser Versammlung nicht erstattet.
Dann kommt die angeklagte Person selbst zu Wort. Im Redebeitrag wird sich allerdings nicht auf die Verhandlung beschränkt, sondern in einem Rundumschlag gegen den Rechtsruck und für das Recht auf Asyl ausgesprochen. An die Parteien adressiert fragt die Person: “Haben die alle vergessen, dass das Recht auf Asyl eine Lehre aus dem dritten Reich war?” und verbindet das mit dem eigenen Prozess: “Doch genau dieser Kampf, dieses Engagement für Menschenrechte statt für Abschottung, für Solidarität statt für Hass und Hetze, dieser Aktivismus wird kriminalisiert.”
Selbstverteidigung vor Gericht
Noch vor dem Verhandlungssaal kommt es zum ersten Problem: Die rund 50 Unterstützer*innen passen nicht in den Raum. Richterin Terhechte ist bemüht, möglichst viele Menschen in den Saal zu lassen, allerdings bleibt am Ende eine große Schlange, die draußen warten muss. So richtig spannend wurde es dann allerdings drinnen: Die angeklagte Person verteidigt sich selbst. Das sorgt in Gerichtssälen häufig für Reibung, weil studierte Jurist*innen auf Aktivismus treffen und die Interessen schnell über Schuld- und Freispruch hinausgehen.
Polizist im Fragenhagel
Zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft, eine FFP2-Maske, eine Mütze und eventuell einen lila Schal getragen zu haben, schweigt die angeklagte Person. Als dann der erste und einzige Zeuge antritt, ändert sich das und der Beamte wird mit Fragen geradezu gelöchert. Dieser konnte sich verständlicherweise an wenig erinnern. Der Vorfall ereignete sich fast genau vor einem Jahr, sodass sich der Beamte immer wieder auf die Schriftsätze berufen musste. Ob zum Beispiel der lila Schal auch vor dem Mund getragen wurde oder nicht, konnte er nicht sagen. Auf den Bildern ist nur die FFP2-Maske zu sehen.
Nach Angaben der Polizei hatte sich am besagten Abend vergangenes Jahr an der Clemensstraße vor 18 Uhr eine größere Personengruppe gebildet, einige darunter mit Mund-Nasenschutz. Es soll dann die Aufforderung gegeben haben, die Masken abzulegen. Als dem nicht nachgekommen worden sei, wurde die angeklagte Person durch Polizist*innen aus der Menge gezogen. Fragen zum konkreten Vorgehen konnten nur wenig beantwortet werden, stattdessen verwies der Polizist immer wieder auf die Akte. Die angeklagte Person hielt das aber nicht davon ab, mit weiteren Fragen nachzubohren. Bis erst die Staatsanwältin und dann auch die Richterin intervenierten und den Beamten vom Zeugenstand befreiten.
Überraschender zweiter Verhandlungstag anberaumt
Die Anspannung im Saal war deutlich spürbar. So schaute im Sitzungssaal zum Beispiel eine Person auf ihr Smartphone, was fast zu einer Unterbrechung der Verhandlung führte, weil die Vermutung im Raum stand, dass ein Audiomitschnitt des Gesagten angefertigt wurde. Erschrocken über den Vorwurf versicherte die Person im Publikum, dass sie nur die Uhrzeit überprüfen wollte und bot der Richterin an, ihr Gerät durchsuchen zu dürfen. Richterin Terhechte blieb gelassen und schien dafür keine Notwendigkeit zu sehen und verwies zeitgleich darauf, dass Audio- und Videoaufnahmen bei einer Gerichtsverhandlung nicht gestattet seien.
Die Aussage des einen Zeugen reichten der Richterin offenbar nicht für einen eindeutigen Schuld- oder Freispruch, sodass sie bestimmte, einen zweiten Verhandlungstag anzuberaumen. Zum Missfallen der Staatsanwältin, die sich kurz zuvor noch einen Schlagabtausch mit der angeklagten Person lieferte, ob es sich denn um eine „Videomappe“ oder um eine „Lichtbildmappe“ handelte und wie viel Grad es an diesem Tag nun wirklich waren. Beim zweiten Verhandlungstermin, der diese Woche Mittwoch stattfinden wird, sollen zwei weitere Polizist*innen als Zeug*innen vorgeladen werden.
Der öffentliche Folgetermin ist am 12. Februar um 10 Uhr im Saal 117B des Amtsgerichts Münster
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Ein Kommentar von Isaak Rose
Hier wurde ein Gerichtsverfahren organisiert, um festzustellen, ob eine FFP2-Maske auf der Clemensstraße gegen das Versammlungsgesetz verstößt oder nicht. Die Überlastung der Justiz lässt sich wohl auch durch Gesetze erklären, die eigentlich wenig mit den Interessen der Gesellschaft zu tun haben. Geschädigte gibt es hier schließlich nicht. Es gab eine friedliche Versammlung und die Polizei konnte offenbar nicht erkennen, wer daran alles teilnimmt. Diese sieht dadurch den Anfangsverdacht einer Vermummung. Es werden Personalien festgestellt und spätestens bei der Staatsanwaltschaft sollte dann zum Wohle aller klar sein: Hier gibt es nichts von Relevanz zu verhandeln und ein Mund-Nasen-Schutz, insbesondere im Winter, kann den Tatbestand nur schwer erfüllen. Spannend wird nun sicherlich der zweite Verhandlungstag und ob dort neue Informationen zu Tage treten werden oder mit dem jetzigen Wissensstand geurteilt werden muss. Bei einem Vorfall vor einem Jahr noch ernsthaft einschätzen zu können, wer an welchem Ort einen Mund-Nasenschutz getragen hat, wird den beiden neuen Zeug*innen vermutlich ähnlich schwer fallen.
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