Es war einmal vor gar nicht langer Zeit, da herrschte in Sachen Reisen wieder Freizügigkeit. Dankbar entfloh ich den ewigen Videokonferenzen und Webinaren an den ländlichen Rückzugsort. Dank jahrelanger Vertrautheit mit dem Gnadenhof kann ich dort jederzeit in die ritualisierten Arbeitsabläufe eintauchen. Dank absoluter Funkstille gelange ich zu geistiger Ruhe.
So der Plan.
Vor der Abreise ein letzter Mailcheck: Der Verlag wünscht, das aktuelle Werk zu erhalten, und zwar pronto. Schockiert protestiere ich innerlich: So war das nicht geplant! Wir wollten zuerst innerlich einkehren und dann das Gemeinschaftswerk aus der Taufe heben! Es folgt eine etwas sanftere Passage: Dies sei zu bedenken, das zu berücksichtigen, eine Abgabe heute besser als morgen. Angesichts der Argumente aus dem sanfteren Teil beugt sich das Autorinnenteam: „Hilft ja nix.“ Während dieser Feststellung klackert die Kollegin bereits los.
„An der Wiege meiner Werke geht die Arbeit bestimmt flott von der Hand“, übe ich mich in positivem Denken, „und Distance-Working ist doch unsere leichteste Übung“.
Hier verfalle ich in Schockstarre: „Wie denn, im Funkloch?“
Seit der Errichtung eines Funkmastes in Klein Dießen erreicht immerhin ein seltenes Signal die Blumenstraße. Dazu muss ich das Handy in einem bestimmten Winkel auf der Sofalehne sehr nahe der Fensterscheibe platzieren. In mir reift ein Plan. Beim morgendlichen Stall-Talk schildere ich Seniorchefin Vera lässig, wie ich mit dem Laptop meine Handyflat anzapfe. Vera fällt ein: Es gebe doch dieses neue Glasfaserkabel… Ich winke ab. Von dem ominösen Glasfaserkabel munkeln die Bewohner seit Jahren. Nie hat sich seine Existenz bestätigt.
Wirklich, da sei etwas ganz neu angestöpselt worden, beharrt Vera. Der Techniker habe dabei die Telefonnummern beider Hausanschlüsse vertauscht. Jetzt bekomme sie immer die Anrufe für ihre Tochter Paula und umgekehrt. Die Esel rufen. Ich ziehe mit der Schubkarre los. Für knapp zwei Stunden gibt es nur die kleine Herde, den Stallkater und mich.
Erschöpft und mit klarem Kopf gehe ich an die Arbeit. Meine Kollegin schickt frisch erzeugte Produkte aus dem Münsterland, ich lese und schreibe. Dateien schwirren zurück. Die Botschaften überschneiden sich ständig. Wir telefonieren, indem ich in eingefrorener Position auf dem Sofa das Handy-Ohr ans Fenster presse. Der Kontakt bricht trotzdem ab.
Es klopft. Seniorchef Anton, mit Achtzig in den besten Jahren, steht in Pantoffeln vor mir. Eben noch widmete er sich in seinem Refugium beim Eselstall seiner neuesten Erfindung aus Eichenholz, defektem Laptop und altem Flachbildschirm. Sein „Opastuhl“ mit integrierter Unterhaltungs-Elektronik stand vor der Vollendung. Anton müsste längst seinen verdienten Mittagsschlaf halten. Stattdessen wedelt er mit einem winzigen Zettel vor meinen Augen herum und strahlt: „Du hast doch diesen eiligen Auftrag. Nutz unser WLAN, wir haben jetzt Glasfaser!“
Anton hält die 16stellige Zahlenkombination so lange vor die Nase, bis ich das Passwort eingetippt habe und juble: „Ich bin drin!“ Während meiner Danksagung biegt Anton um die Ecke. Er wird jetzt den Schlaf des Gerechten schlafen. Ich feiere die neue Zeitrechnung, indem ich mich in die Arbeit stürze. Stabile Datenübertragung heißt stabiler Nachschub fürs Gehirn. Stunden vergehen.
Es klopft. Paula steht vor der Tür. Sie bringt mir alle Fertigkeiten rund ums Pferd bei, die ich jenseits von Füttern und Ausmisten zum Glück brauche. Egal, welche Lektion sie wählt, mich macht alles glücklich. Egal wann sie dafür Zeit findet – ich bin bereit! Heute mache ich zum ersten Mal einen Rückzieher: Die Konzentration für das enge Zusammenspiel mit meinem Traumpferd könne ich heute nicht aufbringen, klage ich mit zitternder Unterlippe. Paula legt den Kopf schief. Beim Anblick meiner glühenden Apfelbäckchen meint sie trocken: „Kennst du Mantrailer-Hunde?“ Die faltigen Schnüffler sehe ich dank einer Reportage über Bluthunde im Polizeidienst genau vor mir und nicke.
Paula meint: „Wenn du Worten auf der Fährte bist, arbeitet dein Kopf wahrscheinlich auf Hochtouren wie bei denen. Die Körpertemperatur kann dabei bis zu zwei Grad ansteigen!“
„Gliederschmerzen hab ich schon,“ antworte ich. „Dann lass uns dein Gehirn mal kurz in Sicherheit bringen“, empfiehlt Paula und pfeift die Hunde ran. Mit fröhlich bellender Begleitung ziehen wir los. Nach der Runde durch die Weiten des Funklochs bin ich wie neu.
„Mach für heute Feierabend!“, mahnt Paula beim Abschied, „Morgen ist auch noch ein Tag mit Glasfaserkabel.“ Zu meinem größten Erstaunen gehorche ich.
Und so geht glücklich und zufrieden der Tag zu Ende.
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