Es schneit. Schon vor Aufführungsbeginn fallen weiße Flocken im Kleinen Haus. Ansonsten ist die Bühne völlig leer. Die wachsende Schneefläche verleiht ihr zusätzliche Tiefe. Dick verpackt im Mumien-Overall kämpfen sich Gitta und Jonas durch diese unwirtliche Umgebung. Sie preisen die Schönheit der Landschaft und ziemlich schnell wird klar: Das kann nur ein Selbsterfahrungstrip sein. „Alltag und Ekstase“ heißt das Stück von Rebekka Kricheldorf, das im Theater Münster in einer Inszenierung von Robert Teufel zu sehen ist.
Vom Himalaya gibt es schnell einen Schwenk ins heimische Deutschland zum 40-jährigen Janne, der zwei Semester Sinologie studiert hat, ein bisschen Wirtschaft, der ein Café betrieben hat und seit zwei Jahren mit einer „Ich-AG“ selbständig ist. Leider gibt es keine Kunden. „Das dauert halt,“ sagt Janne selbst, dessen Augenmerk nur darauf gerichtet ist, endlich erwachsen zu werden. Passend dazu trägt er eine schmuddelige Jogginghose. Dieser Janne jedenfalls pflegt eine sexuelle Beziehung zu seiner Ex-Freundin Katja. Beide haben eine gemeinsame Tochter mit dem Namen „River“, die aber während des gesamten Stückes nie selbst in Erscheinung tritt, dafür aber umso präsenter ist (rosarot und dick).
Katja, die bei Janne übernachtet hat, beklagt sich Sonntag morgens über das Müsli, in dem Rosinen sind, die sie nicht mag. Und da sie schon mal bei „Kritik“ ist, geht es weiter zum „Fick-Tempo“, das nicht kompatibel sei. Ob er, Janne, sich nicht mehr Mühe geben könne? Janne greift zum Asthma-Spray, sein psychologisches Ventil. Katjas eigentliches Problem besteht jedoch darin, dass sie sich für eine schlechte Mutter hält und deswegen in Therapie ist. In diese Stimmung treten Jannes Eltern hinzu, die sich – von Katja einbezogen – ebenfalls zum Fick-Tempo des Sohnes äußern.
Vater Günther ist offensichtlich Wissenschaftler, der die Fähigkeit zur Alltagssprache verloren hat und stets doziert. Mutter Sigrun ist Esoterikerin. Schwierige Voraussetzungen für den 40-jährigen Janne, tatsächlich erwachsen zu werden. In dieses personelle Konglomerat schneit der Japaner Takeshi hinein, den Vater Günther bei einer seiner Auslandsreisen kennen- und lieben gelernt hat. Janne, der ja Zeit hat, soll Takeshi die deutsche Kultur zeigen.
Natürlich ist das Stück witzig angelegt. Es ist Gesellschaftskritik und immer kann man sich auch fragen, wie weltoffen man selbst ist. Die egomanen Figuren auf der Bühne haben so viel mit sich selbst zu tun, dass Weltoffenheit nur ein Lippenbekenntnis ist. Zwischendurch und ganz zum Schluss gibt es noch einen Rückbezug zur Selbsterfahrung im Himalaya. Eine überzeugende schauspielerische Leistung des Ensembles. Bestnoten hat sich Lilly Gropper in der Rolle von Katja verdient. Ihre verzweifelte Ansprache an die imaginäre Tochter „River“, die sich in ihrem Zimmer eingeschlossen hat und der hysterische Anfall, als sie mit Sigrun im Kino einen „Problem-Film“ sieht und sich nicht wiederfindet sind echt und urkomisch. Schade nur, dass – wohl wegen des Achtelfinales der Fußball-EM – das Theater nur zur Hälfte gefüllt ist. Dabei hätte man ja nichts verpasst.
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