Den Medien ist aktuell vermehrt zu entnehmen, dass die Vogelgrippe HPAI (hochpathogene aviäre Influenza) wieder auf dem Vormarsch ist. Entsprechend restriktiv sind die Sicherheitsvorkehrungen von Zuchtbetrieben, Privathaltern oder auch Einrichtungen wie dem Allwetterzoo Münster. Ziel ist es dabei, dass sich die in menschlicher Obhut lebenden Tiere nicht infizieren. Aber was ist eigentlich mit den vielen tausend Wildvögeln?
Auch wenn der Fall in Münster-Albachten ganz aktuell ist, die Problematik der Vogelgrippe ist deutschlandweit schon länger eine echte Herausforderung. Experten sagen auch, dass die Vogelgrippe gar nicht zurückkommen könne, da sie ja nie weg gewesen sei und schon seit Jahren in Europa und dem Rest der Welt kursiere.
Vor allem Seevogelpopulationen hat es in unseren Breiten diesen Sommer regelrecht dahingerafft. So waren im gesamten deutschen Wattenmeer von Niedersachsen bis zur dänischen Grenze erstmals während der Brutzeit Seevogelkolonien stark von der Vogelgrippe betroffen, wie der Verein Jordsand zum Schutz der Seevögel und der Natur e. V. aus Ahrensburg mitteilt. „Bisher trat die Vogelgrippe insbesondere zur Winterzugzeit auf, dann zumeist bei Gänsen und Enten“, sagt Dr. Steffen Gruber, Geschäftsführer des Vereins Jordsand. „Doch dieses Jahr haben wir eine starke Verbreitung während der Brutzeit und es sind zusätzliche Arten betroffen wie Kormoran, Brandseeschwalbe, Lachmöwe und Basstölpel.“ Alle diese Arten brüten in Kolonien und dort kann sich das Geflügelgrippevirus HPAI sehr leicht übertragen. Auf der niederländischen Insel Texel sei beispielsweise eine ganze Brandseeschwalben-Kolonie mit ca. 4.000 Brutpaaren vollständig ausgelöscht worden, auch aus Frankreich und Schottland seien tausende tote Tiere gemeldet worden, erklärt der Verein.
Solche Zahlen zeigen, dass die Sorge vor der Vogelgrippe mehr als berechtigt sind. Aus diesem Grund sind nicht nur landwirtschaftliche Betriebe und Privathalter betroffen. „Wir sind aufgrund des Vogelgrippefalls in Münster, verpflichtet, unsere Vögel aufzustallen“, sagt der Senior-Kurator des Allwetterzoos Münster, Marcel Alaze. „Gerade bei ohnehin schon nach IUCN gefährdeten Tieren wäre ein Ausbruch der Vogelgrippe eine Katastrophe für den Tier- und Artenschutz. Aus diesem Grund sind wir besonders vorsichtig, wenn es einen Vogelgrippevorfall in der Nachbarschaft gibt.“
Das Problem bezüglich HPAI, obwohl es schon seit vielen Jahren bekannt und diagnostizierbar ist, gibt es noch immer keine Behandlungsmöglichkeit. „Aus diesem Grund sind wir immer besonders alarmiert, wenn, wie in dem aktuellen Fall in Albachten, ein Befund positiv ist“, sagt Johanna Steinecker-Quast, Zootierärztin im Allwetterzoo Münster. Was es aber geben würde, währen Impfstoffe. Allerdings sei die Lage da weder eindeutig noch einfach. „Für Tiere gibt es seit langem eine Reihe (wirksamer) Totimpfstoffe gegen Influenzaviren, ferner wurden, unter anderem in China, seit 2005 mehrere Lebendimpfstoffe zur Marktreife entwickelt. Allerdings bieten Impfungen gegen Influenza aufgrund der hohen Variabilität der Viren häufig nur einen unzureichenden Schutz“, erklärt die Tierärztin. In Deutschland sei die Impfung gegen die Geflügelpest allerdings nur in Ausnahmefällen erlaubt. Der Allwetterzoo durfte im Jahr 2006 das letzte Mal seine gefährdeten Vögel impfen. Aus diesem Grund werden in der Regel alle potenziell gefährdeten Tiere umgehend aufgestallt.
Auch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) warnt wiederholt nachdrücklich vor Impfungen, da geimpfte Tiere nicht mehr von virentragenden Tieren unterschieden werden könnten. „Überdies könnten“, so Steinecker-Quast, „geimpfte, infizierte Vögel zu Überträgern der Viren werden, ohne selbst Symptome zu zeigen.“ Auch bestehe die Gefahr, dass die Viren in unerkannt infizierten Tieren mutieren und dass diese Erbgutveränderungen sich leichter ausbreiten könnten als in nicht-geimpften Beständen, da diese ja nach jedem Ausbruch getötet würden. Dies konnte bereits in geimpften Beständen in China und Ägypten beobachten werden.
Die Zootierärztin wundert sich nicht, dass auch für die Experten des Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) die Verbreitung der Vogelgrippe unterdessen keine große Überraschung sei. „Es ist bekannt, dass das derzeit dominierende Geflügelpestvirus H5N1 das Resultat aus Geflügelpestviren, die seit 2020 in Europa auftreten und bleiben, ist. Davor war es eher so, dass die Viren mit dem Herbstvogelzug nach Europa eingetragen worden sind.“ So konnte in der Vergangenheit auch immer eine signifikante Pause in den Sommermonaten registriert werden, in denen keine Geflügelpestviren nachgewiesen wurden.
Deutschland und Europa erlebten, so eine Meldung des FLI, zwischen Oktober 2020 und April 2021 die bisher schwerste Geflügelpest-Epizootie (häufiges Vorkommen einer Krankheit in einer Tierpopulation, Anm. der Red.), und sie sei noch nicht erloschen. Trotz eines deutlichen Rückgangs im Laufe des Frühjahrs 2022 erfolgen nach wie vor Nachweise von HPAI an den Küsten Deutschlands und Europas mit existenziell bedrohlichen Populationseinbrüchen bei koloniebrütenden Seevögeln. Ein weiteres Zirkulieren könnte zu einer enzootischen Situation führen. Dabei handelt es sich um eine lokal begrenzte Infektionskrankheit bei Tieren bzw. eine auf ein bestimmtes Gebiet beschränkte Tierseuche. Der Begriff ist das Pendant zu dem in der Humanmedizin verwendeten Begriff Endemie.
„Der erhebliche Verlust von natürlichen und ungestörten Lebensräumen in den vergangenen Jahrzehnten hat bereits viele Seevogelarten an den Rand des Aussterbens gebracht, sollte das aktuelle Massensterben aufgrund der Vogelgrippe weitergehen, könnten Teilpopulationen bereits stark gefährdeter Arten wie die Brandseeschwalbe in Deutschland für immer verschwinden“, fürchtet Steffen Gruber. Daher fordert der Naturschutzverband die Schaffung sowie Ausweisung und Unterschutzstellung von weiteren Brut- und Rastplätzen für Seevögel in Norddeutschland, damit sich die Bestände der Arten wieder erholen können. Größere und stärker verteilte Population könnten Krankheiten und Seuchen wie die Vogelgrippe zudem besser überstehen.
Dabei denkt der Verein nicht nur an die bedrohten Federträger selbst: „Der drohende Artenverlust durch die Vogelgrippe verursacht auch hohe gesellschaftliche Kosten. Die Politik muss daher dringend gemeinsam mit der Wissenschaft und den Naturschutzverbänden herausfinden, wie das Virus immer wieder von neuem in Wildvogelbestände eingebracht wird“, fordert Gruber.
Inzwischen gibt es auch im schleswig-holsteinischen Bereich der Nordsee immer mehr Totfunde. Die insbesondere auf Sylt angespülten Basstölpel stammen wohl nicht nur von britischen Kolonien, sondern auch von Helgoland. Auf der Hochseeinsel wurden nun ebenfalls mehrere dutzend tote Basstölpel und Brandseeschwalben gefunden. „Eine Laborbestätigung auf Vogelgrippe ist noch offen, aufgrund der Gesamtlage gehen wir jedoch davon aus, dass die Vögel an der Vogelgrippe gestorben sind“, spekuliert auch Dr. Philipp Wagner. Der Kurator für Forschung und Artenschutz ist Mitglied im Verein Jordsand und entsprechend besorgt. „Helgoland ist das einzige deutsche Brutvorkommen dieser besonderen Seevögel. Wenn die Population weg ist, ist die Art damit als Brutvogel auch aus ganz Deutschland verschwunden. Ein schwerer Rückschlag für den Artenschutz.“
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