
Am vergangenen Mittwoch begann ein Prozess wegen Brandstiftung im Landgericht Münster. Der Vorwurf: Eine Gruppe von mindestens drei Personen soll einen Polizeiwagen direkt vor der Wache auf der Moltkestraße angezündet haben. Der Vorfall ist bald zehn Jahre her, doch die Staatsanwaltschaft will ihn nicht ruhen lassen.
Nach und nach füllen Unterstützer*innen den Gerichtssaal. Um 10 Uhr soll es losgehen. Fünf Minuten später betritt die Richterin den Saal. Getrennt wird die Verhandlung von der Öffentlichkeit durch dicke Glaswände. Ob die Räumlichkeit bewusst wegen der Trennwände gewählt wurde, ist unklar. Das Publikum jedenfalls bleibt während der gesamten Verhandlung gelassen. Ebenso die angeklagte Person, die nach der Angabe der eigenen Personalien mit einem ruhigen Lächeln alles Übrige ihrer Anwältin überlässt und gelegentlich wohlwollend zu ihren Stützen ins Publikum schaut.
Doch erst einmal zurück zum Tatvorwurf: Es handelt sich um ein Berufungsverfahren. Die beschuldigte Person wurde vor dem Amtsgericht Münster wegen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung haben gegen das Urteil Berufung eingelegt. Letztere will einen Freispruch, während der Staatsanwaltschaft das Urteil nicht hart genug war.
“Im Hof brannten mehrere Polizeiwannen”

Im Gerichtssaal klingt es immer wieder so, als habe der ganze Fuhrpark der Polizei lichterloh gebrannt. Auch in einem Aufruf der Unterstützer*innen heißt es, wohl ironisch, dass “mehrere Polizeiwannen” brannten. Tatsächlich, so müssen sich die vielen Beamten, die teilweise aus dem Ruhestand geholt wurden, im Zeugenstand eingestehen: Flammen hat niemand gesehen. Stattdessen wurden kleine weiße Grillanzünder auf den Reifen von zwei Fahrzeugen entdeckt. Ein pensionierter Polizist attestiert dazu im Zeugenstand, dass es “eigentlich eine sehr gute Methode” sei, “um Fahrzeuge anzustecken”. Gleichzeitig muss er allerdings ergänzen, dass er nicht weiß, ob tatsächlich etwas am Wagen beschädigt war oder es nur um “Rußanhaftungen” ging. Trotzdem wird immer wieder von einem Sachschaden von 500 Euro gesprochen.
Sechs Polizisten im Zeugenstand
Um dem Ganzen etwas mehr Substanz zu geben, wurden gleich sechs Beamte, die damals im Dienst waren, als Zeugen geladen. Zwei davon sind längst im Ruhestand. Die Erinnerung an den konkreten Vorfall ist nach neun Jahren verständlicherweise etwas eingeschlafen. Während ein Beamter direkt sagt, dass er sich an nichts erinnere, versuchen andere, das Geschehen aus ihrer Erinnerung abzurufen. Dabei konnten sie, wie sonst üblich, allerdings nicht auf das polizeiinterne System zurückgreifen, um die Aktenlage noch einmal zu überprüfen. Es gab über die vielen Jahre hinweg schlicht eine Systemumstellung, sodass auf alte Daten nicht mehr zugegriffen werden konnte.
Brandstiftung “für Münsteraner Verhältnisse schon spektakulär”
Der Tag damals ist trotzdem etwas Besonderes für die Wache gewesen. Es sei “schon spektakulär” gewesen, zumindest für “Münsteraner Verhältnisse”. An anderer Stelle heißt es, “Wir sind ein Team”, und da stelle sich schon “eine gewisse Betroffenheit” ein. Sowas passiere eben nicht jeden Abend. Einer der Beamten hatte sogar eine Belobigung für das Festnehmen einer tatverdächtigen Person bekommen. Zwei Beamte fuhren Streife und sahen dabei ein paar junge Menschen, die wegrennen, als sie den Wagen erspähten. In dem Moment wussten die Beamten noch nichts von der mutmaßlichen Brandstiftung. Allerdings, und da ist sich ein Beamter sicher: “Ohne Grund flüchtet man nicht vor der Polizei”.
Über ein “fröhliches ‘Fick dich’” und den Grund, warum nach fast zehn Jahren noch verhandelt wird
Die Polizei und Staatsanwaltschaft mutmaßt offenbar, dass es sich bei den Beschuldigten um Linke handelt und die Tat politisch motiviert sei. Die Verdächtigen wurden damals optisch “der linken Szene” zugeordnet. Ein Polizist sagt auf Nachfrage im Zeugenstand aus, was die angeklagte Person ihm denn bei der Festnahme gesagt habe: “In den Kreisen, die mit der Polizei keinen Spaß haben, wird nicht mit uns geredet. Da kommt dann Schweigen, ein stilles Lächeln oder, wenn man Glück hat, ein fröhliches ‘Fick dich’.”
Die politische Dimension des Falls ist jedenfalls nicht zu unterschätzen. Obwohl bereits zwei Beschuldigte rechtskräftig freigesprochen wurden, mahlen die Mühlen der Justiz weiter. Es wirkt so, als sei es für die Polizei und Staatsanwaltschaft etwas Persönliches. Die anwesende Staatsanwältin zum Beispiel schwieg beinahe während des gesamten Verfahrens und stellte nur eine einzige kurze Verständnisfrage. Auf wiederholte Versuche von Verteidigerin und Richterin, das Verfahren einzustellen, reagierte sie kurz angebunden und ablehnend. Wenn auch die Richterin darauf drängt, ist das immer ein Hinweis, dass es mit dem aktuellen Informationsstand wohl zu keinem Schuldspruch kommen wird. Ein solcher Fall wirft kein gutes Licht auf die Justiz. Das Verfahren wurde wegen privater Gründe einer Richterin in der Vergangenheit bereits einmal eingestellt, und zwischenzeitlich konnte der Aufenthaltsort der angeklagten Person nicht ermittelt werden. Zudem ist die Person seit neun Jahren nicht mehr strafrechtlich aufgefallen, was dem Zweck einer “Resozialisierung” im Strafrecht widersprechen würde. Auch gibt es neben dem Aufruhr in der Polizeiwache am besagten Abend keine Geschädigten, die noch ein berechtigtes Interesse an weiterer Aufklärung hätten.
Staatsanwaltschaft weigert sich, das Verfahren einzustellen
Auf das letzte Ablehnen der Einstellung durch die Staatsanwaltschaft reagiert die Anwältin der Verteidigung mit den Worten: “Sie sind ja näher noch als ich an den Kosten der Landeskasse dran” und spielt damit auf die Unsummen an, die der Sachverhalt über die vergangenen neun Jahre gekostet haben muss und weiter kosten wird, wenn zum zweiten Verhandlungstag nun Sachverständige geladen werden sollen. Dann wird voraussichtlich – wie bereits bei den vielen Gelegenheiten vor anderen Richter*innen – festgestellt, dass es sich bei den Grillanzündern tatsächlich und auch von Sachverständigen geprüft, um eben Grillanzünder handelt.
Ausblick auf den zweiten Verhandlungstag
Im Aufruf der Unterstützer*innen zur Prozessbegleitung heißt es “Die Lächerlichkeit des Anlasses wollen wir tiefst ernst nehmen!”. Und so bleibt abzuwarten, ob das Gericht am 22. April wirklich noch einmal alle zusammenruft, um über Grillanzünder zu sprechen. Oder ob vielleicht doch noch etwas Dringendes dazwischenkommt und die Unterstützer*innen ein zehnjähriges Jubiläum der Auseinandersetzung feiern müssen. Eine Verjährung bei Brandstiftung jedenfalls findet üblicherweise nach zehn Jahren statt. Allerdings, so bestätigt es die Pressestelle des Landgerichts, wird diese Frist jedes Mal unterbrochen und beginnt von vorn, sobald eine neue Verhandlung anberaumt wird. Das Gesetz sieht im Paragrafen 78c des Strafgesetzbuches jedoch vor, dass die Verjährungsfrist bei Unterbrechung auf höchstens das Doppelte der gesetzlichen Frist verlängert werden kann – bei einfacher Brandstiftung also auf 20 Jahre. In Münster wird also, wenn nicht am 22. April, spätestens nach 20 Jahren im Jahr 2036 der Fall endgültig in den Akten verschwinden.
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