Urteil: 50 Tagessätze für OP-Maske bei Demo Bei der Urteilsverkündung im Verfahren wegen des Tragens eines Mund-Nasenschutzes beim Protest zum Neujahrsempfang der AfD 2024 kam es zu einem Eklat

Im Amtsgericht Münster wurde wegen des Tragens eines Mund-Nasenschutzes geurteilt. (Foto: Isaak Rose)

Der Gerichtssaal war bis auf den letzten Platz belegt. Auch am zweiten Verhandlungstag ließ das Interesse der Öffentlichkeit an dem Verfahren wegen des Tragens eines Mund-Nasenschutzes beim Protest zum Neujahrsempfang der AfD im Jahr 2024 nicht nach. Bei der Urteilsverkündung kam es dann zu einem Eklat. 

Ordnung muss sein, dachte sich die Richterin wohl zu Prozessbeginn und bat die Staatsanwältin und die angeklagte Person, die Plätze zu tauschen – beide saßen auf der falschen Seite des Raumes.

Drei Polizeibeamte aus Bochum als Zeugen

Dann ging alles ganz schnell: Nachdem der Richterin die Aussage des ersten Beamten am vorherigen Verhandlungstag nicht ausreichte, um ein Urteil zu fällen (wir berichteten), wurden dieses Mal gleich drei Polizeibeamte der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit aus Bochum als Zeugen geladen. Die Aussagen der Beamten waren weitgehend deckungsgleich und zeichneten das Bild einer Person mit Mütze und Mund-Nasenschutz auf der Versammlung. Ein Schal soll ebenfalls getragen worden sein, allerdings nicht über dem Gesicht. Darin waren sich offenbar alle einig.

Unüblich für Zeugenbefragungen: Zwei uniformierte Beamte stellten sich unmittelbar nach ihrer Zeugenaussage vor die Saaltür, einer sogar hinter die Anklagebank – ohne Beachtung der Richterin. Im Zuschauerbereich sorgte das für Verwunderung. Nach der letzten Aussage verließen die drei Zeugen gemeinsam den Raum.

Abgelehnte Beweisanträge

Zwei Beweisanträge der angeklagten Person, die sich selbst verteidigte, wurden kurzerhand abgelehnt. Beide Anträge bezogen sich auf das Infektionsrisiko und die Schutzfunktion eines Mund-Nasenschutzes. Die Richterin lehnte die Anträge mit der Begründung ab, sie seien für die Entscheidung unerheblich. Hätte die angeklagte Person sich schützen wollen, hätte sie dies vorab bei der Behörde anmelden müssen.

Staatsanwältin: Wer Angst hat, sich auf Demonstrationen anzustecken, soll Zuhause bleiben

Im bewusst knapp gehaltenen Plädoyer der Staatsanwaltschaft ging es dann richtig zur Sache: Statt der ursprünglich geforderten 50 Tagessätze forderte die Staatsanwältin 70 Tagessätze – mit der Begründung, es fehle an Einsicht. Rechtlich sei es nun mal so, dass man „sich an gewisse Grenzen“ zu halten habe. Außerdem sei die angeklagte Person bereits anderweitig strafrechtlich wegen Vermummung aufgefallen. Auch sie betonte, dass man sich wegen eines erhöhten Infektionsrisikos eine „Sondergenehmigung“ holen könne. Sie fügte hinzu: „Man müsse sich sonst die Frage stellen, ob man an dem Tag nicht vielleicht einfach zu Hause bleibe.“ Diese Aussage löste bei den zahlreichen Unterstützer*innen im Publikum lautstarke Empörung aus.

Beschuldigte Person: Es wird zwischen „guten” und „schlechten” Demonstrant*innen unterschieden

Die angeklagte Person hatte offenbar vorab ein Schlussplädoyer vorbereitet und kramte ein paar Seiten heraus. Darin geht es zuerst um die AfD als „riesige Gefahr für die Demokratie” und dann um die Großdemo gegen den AfD-Neujahrsempfang als größte Demonstration „in der gesamten Geschichte der Stadt Münster”. Vom Staat werde dabei zwischen „guten und schlechten Demonstrant*innen” unterschieden. Als Träger*in eines Mund-Nasenschutzes sei die Person offenbar auf der „schlechten” Seite und werde deshalb von den Behörden kriminalisiert.

Zwischenzeitlich unterbrach die Richterin das Plädoyer. Danach wurde es juristisch: Die angeklagte Person verwies auf die Gesetzesbegründung des Versammlungsgesetzes, wonach „die Vermummung den Umständen nach darauf gerichtet sein muss, die Identitätsfeststellung zur Verfolgung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu verhindern“. Dies sei hier nicht der Fall. Das Plädoyer endet ebenso kämpferisch wie es begann mit den Worten „Antifaschistischer Protest ist und bleibt kein Verbrechen, sondern eine Pflicht!”. Im Publikum folgt daraufhin lauter Applaus.

Urteil: 50 Tagessätze

Unklar blieb, ob das Plädoyer auch als „letztes Wort“ der angeklagten Person verstanden wurde. Jedenfalls wurde der Person im Durcheinander keine weitere Gelegenheit dafür gegeben.

Zur Urteilsverkündung stehen üblicherweise alle Anwesenden auf. Die angeklagte Person weigerte sich jedoch, trotz mehrfacher Aufforderungen durch die Richterin. Noch während der Urteilsbegründung packte die nun verurteilte Person ihre Sachen zusammen und verließ den Saal. Auch im Publikum begann das Stühlerücken. Ein Großteil schloss sich an, sodass draußen weitere Personen den Saal betraten, die offenbar dachten, die Verhandlung sei vorbei.

Die Richterin unterbrach ihre Urteilsbegründung nicht und schloss sich inhaltlich fast vollständig dem Plädoyer der Staatsanwältin an. Nur der Erhöhung auf 70 Tagessätze folgte sie nicht. Es blieb bei den 50 Tagessätzen.

Polizei Münster zum Umgang mit Mund-Nasenschutz auf Protesten

Auf Anfrage der Redaktion, ob medizinische Masken in Kombination mit einer Mütze als Vermummung gewertet würden, gab die Pressestelle der Polizei Münster an, die Polizei prüfe Vermummungen „immer im Einzelfall im konkreten Einsatz“. Eine vorherige Anzeige von Versammlungsteilnehmer*innen, dass sie wegen Ansteckungsgefahr eine Maske tragen werden, sei nicht möglich. In den letzten fünf Jahren habe es auch keine entsprechenden Anmeldungen gegeben. Eine Anmeldung, wie von Richterin und Staatsanwältin behauptet, sei bei der Polizei Münster also nicht möglich.

Die angeklagte Person kündigte Berufung an.

*****

Kommentar

Abseits des Für und Wider des Vermummungsverbots wirft der Fall die Frage auf, ob medizinische Masken auf Versammlungen nun überhaupt noch getragen werden dürfen. Für die Öffentlichkeit war die Verhandlung jedenfalls wenig erhellend und hat wohl vor allem Unsicherheit geschaffen. Eine Staatsanwältin, die 70 statt der ursprünglichen 50 Tagessätze fordert, weil sich die angeklagte Person gegen den Strafbefehl wehrt, und nicht nachvollziehbare Erklärungen über vermeintliche Anmeldepflichten tun ihr Übriges. Der Verweis, man solle bei der mutmaßlich größten Demo in Münster zu Hause bleiben, wenn man Angst habe, sich anzustecken, hilft auch nicht weiter.

Der Protest im Publikum ist sicherlich als Solidaritätserklärung zu werten. Die Irritationen bei den Zuschauer*innen gehen jedoch über bloße Parteiergreifung hinaus. Schließlich erwartet man nach solch einem Verfahren mehr Klarheit darüber, was gerecht ist und was nicht. Das Gefühl, „Gerechtigkeit“ miterlebt zu haben, hatte wohl niemand. Stattdessen ging es um eine harte Hand des Rechtsstaates. Oder, um es in den Worten der Staatsanwältin zu sagen: „Rechtlich ist es nun mal so.“ Wenn das Landgericht im Berufungsverfahren zustimmt, wird sie recht behalten.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert