Keine Frage – die Einschränkungen, die dazu dienen sollen, die Ausbreitung des Corona-Virus zu verlangsamen, treffen uns alle. So ziemlich als erste und mit voller Wucht traf es diejenigen, die davon leben, dass möglichst viele Menschen ausgehen und feiern. Wir haben darüber – natürlich aus der aktuell geforderten Distanz – mit einigen Club-Betreibern und Gastronomen gesprochen: Mit Dominik Becker, der nicht nur den Club Gazelle führt, mit Ulrich Horstmeier vom Cuba Nova und Erkan Ular von der Idéal Café & Weinbar sowie mit Axel Bröker, der neben Lokalen wie Spatzl oder Früh bis Spät vor allem bei Großveranstaltungen wie Oktoberfest oder Münster mittendrin aktiv ist und auch das Catering beim SC Preußen Münster betreibt.
Wir haben sie alle zunächst gefragt, ob sie ihre Geschäftstätigkeit jetzt komplett einstellen mussten oder ob es noch Bereiche gibt, in denen sie weiter arbeiten können. „Nein, ich habe meine beiden Läden, die Weinbar Ideal und das Smells Like geschlossen und war auch tatsächlich der erste, der das schon vor der Anweisung der Stadt getan hat“, sagt Erkan Ular. „Weil ich zum einen nicht wollte, dass meine Mitarbeiter dieser Gefahr ausgesetzt sind, und zum anderen auch meine Gäste, die es sicherlich gut meinen und mir noch schnell Umsatz bescheren wollten, schützen möchte.“ Axel Bröker hält dagegen die Küche vom Früh bis Spät zur Zeit in dem neuen Zusammenschluss mit anderen Gastro-Betrieben als Lieferdienst am Laufen (erreichbar unter www.hungrig.ms). „Wir müssen jetzt jeden Strohhalm greifen, um irgendwie noch Umsatz machen zu können“, so Bröker. „Ob es sich tatsächlich lohnt, täglich die Küche mit mindestens einem Koch hochzufahren, wird sich in der nächsten Zeit zeigen.“
Für die Club-Betreiber gibt es diese Möglichkeit naturgemäß nicht: „Unsere Geschäfte liegen komplett auf Eis. Aufgrund der behördlichen Anordnung mussten wir von jetzt auf gleich schließen“, sagt Dominik Becker, der neben der Gazelle auch das Walk of Fame betreibt. Genau so sieht es auch beim Cub Nova aus: „Wir sind bei Null. Alle festangestellten Mitarbeiter – das sind etwa die Hälfte – befinden sich in Kurzarbeit. Es gibt für sie keine Arbeit, sie sind alle zuhause“, so Uli Horstmeier, der den anderen, den geringfügig Beschäftigten, gekündigt hat. „Fristgerecht“, wie er betont, und mit der Zusage, dass alle wieder eingestellt werden, sobald es wirtschaftlich wieder möglich ist. Ein naturgemäß unklarer Zeitpunkt. Dominik Becker ist da verhalten zuversichtlich: „Wir haben die Arbeitsverhältnisse erstmal ruhen lassen, in der Hoffnung, dass es in absehbarer Zeit weitergeht und Lösungen gibt. Wann dieser Zeitpunkt sein wird, dass weiß niemand von uns. Die aktuelle Allgemeinverfügung ist erstmal bis zum 19. April befristet, Stand jetzt.“
Aushilfskräfte entlassen, Vollzeitkräfte in Kurzarbeit
Axel Bröker hofft inständig, dass die Agentur für Arbeit sehr schnell reagiert und die Zahlungen an die Angestellten zügig übernimmt: „Ohne Einnahmen ist es für uns nicht möglich, für zwei oder drei Monate in Vorleistung zu gehen.“ Bei ihm sind nun 14 fest angestellte Vollzeitkräfte in Kurzarbeit mit 0 Stunden, er hat in der gesamten Firmengruppe etwa 100 Aushilfskräften kündigen müssen. Bröker geht davon aus, dass er einen Großteil der Aushilfskräfte nach der Krise wieder zurückgewinnen kann, da sie momentan ohnehin kaum eine Chance haben, andere Tätigkeiten zu bekommen. Denn im Bereich der Gastronomie sei der Markt zur Zeit tot. „Entgegen aller Empfehlungen habe ich meine Minijobber nicht gekündigt“, so Erkan Ular. „Ich habe ganz normal noch alle Löhne überwiesen kürzlich und jetzt alle in die Kurzarbeit geschickt. Das Geld müssen wir natürlich bezahlen, wir bekommen es hoffentlich vom Arbeitsamt zurück.“
Ein paar Rücklagen haben alle von uns befragten Gastronomen. Aber all zu lange werden die nicht reichen, um den Shut Down unbeschadet zu überstehen. „Ich denke, dass viele Betriebe so wie auch wir es zwei Monate lang aushalten könnten, danach wird es schwierig“, meint Dominik Becker. „Wenn ich heute meine Betriebe zulassen muss, heißt es ja nicht, dass in vier Wochen doppelt soviel Leute kommen. Das muss man immer bedenken. Wir brauchen keine Kredite und Neuverschuldungen mit weiteren zukünftigen Tilgungs- und Zinslasten, wir brauchen sofortige Finanzspritzen, um den hohen Kostenapparat während der Schliessung unser Läden zu decken“, fügt Becker eine Forderung nach staatlicher Hilfe hinzu, die wohl alle in der Branche so unterschreiben können.
Erkan Ular ist davon überzeugt, dass der Staat viel auffangen wird, nicht nur in der Gastronomie, sondern in allen anderen Bereichen. Und er betrachtet die Corona-Krise nicht nur auf Münster bezogen, sondern deutschlandweit: „Ich glaube, dass viele die eh schon immer sehr am Knabbern waren und am Existenzminimum sind, den Zeitpunkt nutzen werden um zu sagen ‚Pass auf, wir melden Insolvenz an‘. Sich Gedanken machen, lohnt es sich, noch Kredite aufzunehmen, um nochmal einige Jahre durchzuhalten, hohe Zinsen zu zahlen, oder am Ende dann wirklich zu sagen: ‚Ich geb’s einfach auf!'“
Axel Bröker hat bereits bei seinen Vermietern angefragt, um die Mieten stunden. „Aber eine Stundung ist keine Lösung, wenn wir keine staatlichen Unterstützungen erhalten“, sagt er. „Auch diese Gelder müssen irgendwann bezahlt werden. Nach der Krise werden die Leute schließlich nicht das doppelte oder dreifache pro Besuch verzehren.“
„Ohne externe Hilfe wird mehr als 40 % der Münsteraner Gastronomie verschwinden.“
Wir haben auch gefragt, was unsere Interviewpartner schätzen, wie vielen Restaurants, Clubs und Lokalen in Münster der Shut Down zur Eindämmung der Corona-Pandämie das Genick brechen wird. „Puh, keine Ahnung“, gibt Axel Bröker zu. „Da kann ich nur mutmaßen. Sollte es keine ausreichenden externen Hilfen geben, gehe ich davon aus, dass mehr als 40 % der Münsteraner Gastronomie verschwinden wird. So eine Situation hatten wir noch nie. Daher kann man das eigentlich gar nicht schätzen.“ Er vermutet, dass alteingesessene Unternehmen wie Stuhlmacher, Kiepenkerl oder Lewe es vielleicht eher schaffen könnten.
„Alles über zwei Monate ohne jeglichen Umsatz wird für alle verdammt schwierig,“ meint Dominik Becker. Auch Axel Bröker kann da keine Unterschiede sehen, da alle keine Umsätze mehr machen können: „Da kommt es einzig und alleine auf die Länge der Krise und die finanzielle Situation der einzelnen Betriebe an.“ Und Cuba Nova-Betreiber Ulrich Horstmeier fügt hinzu: „Es gibt ja in Münster nicht mehr ganz so viele Clubs. Ich wünsche uns, dass alle überleben!“ – wobei er „alle“ ganz besonders stark betont.
Wir haben die vier Gastronomen schließlich gefragt, was ihre größten Befürchtungen bei der ganzen Sache sind. „Die Dauer der Krise und wie lange die Läden geschlossen bleiben müssen, macht mir Sorgen“, sagt Horstmeier, „und den Neustart stelle ich mir mühselig vor. Ich hoffe, dass die Leute den Spaß am Feiern nicht zu lange verlieren. Ansonsten hoffe ich, dass wir alle gesund bleiben.“
„Meine grösste Angst ist, dass uns die Politik und die Stadt Münster jetzt im Stich lässt“, setzt Dominik Becker einen anderen Fokus. „Wir hier in Münster sind sehr stolz auf unser kulturelles Angebot und genau jetzt ist es an der Zeit, dieses bunte und vielfältige Angebot für die Zeit nach dem Virus zu schützen. Das liegt jetzt in der Hand der Stadt, des Landes und des Bundes.“
Erkan Ular sorgt sich zunächst um seine Familie und seine Mitarbeiter: „Es ist zu schauen, wie deren und meine eigene Familie in der nächsten Zeit Geld verdienen, oder besser bekommen, denn verdient wird in unserer Branche ja erst einmal nicht mehr.“
„Meine größte Sorge ist die Zukunft meiner Mitarbeiter“, hebt auch Axel Bröker hervor. „Die haben Familien, die haben Kinder. Der Rest ist mir eigentlich scheißegal. Es geht jetzt um viel mehr, als dass ich vielleicht mein Auto abgeben muss. Das bereitet mir wirklich schlaflose Nächte. Wahnsinn, totaler Wahnsinn.“
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