Anlässlich des heutigen Welttags des Stotterns spricht Michael Schneider, Lehrlogopäde an der Schule für Logopädie des UKM, im Interview über die Ursachen von Stottern, Behandlungsmöglichkeiten und Herausforderungen für Betroffene im Alltag.
Stottern ist keine Krankheit, sondern eine Symptomatik. Was passiert bei Leuten, die stottern?
Stottern ist erst mal eine Unterbrechung des Sprechflusses, was nichts Besonders ist. Wir alle, die wir spontan sprechen, haben Unterbrechungen, Pausen und Stopps in unseren Sprechaktionen. Der Unterschied zu stotternden Menschen ist nun, dass bei ihnen die Unterbrechungen unwillkürlich sind. Das ist eine Art Kontrollverlust in der Sprechsteuerung, die häufig mit Anspannung verbunden ist.
Sind die Ursachen eher psychisch, neurologisch oder motorisch bedingt?
Es ist ein ganzes Geflecht von Ursachen. Sehr viel weiß man noch nicht. Klar ist, dass genetische Aspekte eine Rolle spielen – Stottern tritt familiär gehäuft auf. Studien haben gezeigt, dass aber auch neurologische Dinge wichtig sind. Die psychosoziale Komponente muss auch berücksichtigt werden, insbesondere dann, wenn sich Stottern chronifiziert. Das bleibt meist nicht ohne Folgen. Sie fangen an zu tricksten, schwierige Wörter zu umgehen, Synonyme einzusetzen. Das kann bis dahin führen, dass Stotternde das Leben um dieses Problem herum aufbauen: Sie suchen sich einen Job, in dem sie nicht sprechen müssen, meiden soziale Kontakte und wählen ihre Hobbies danach aus.
Wie viele Menschen sind betroffen?
Ein Prozent der Bevölkerung ist betroffen, in Deutschland sind es rund 800.000 Menschen. Das ist gesellschafts- und kulturunabhängig: In den USA ist es genauso wie hier. Man weiß auch, dass fünf Prozent der Kinder im Laufe ihrer Sprechentwicklung stottern, aber viele verlieren das Stottern dann schnell wieder, auch ohne therapeutische Unterstützung. Da müssen wir früh ansetzen und dazu beitragen, dass sich das Stottern nicht chronifiziert.
Welche Therapiemöglichkeiten gibt es?
Das ist sehr unterschiedlich – es hängt prinzipiell davon ab, ob wir mit stotternden Kindern, Jugendlichen oder Erwachsenen arbeiten. Bei einem Zweijährigen wählen wir natürlich einen anderen Therapieansatz als bei einem 40-Jährigen. Bei kleinen Kindern haben wir spieltherapeutische Ansätze, da spielt dann auch die Beratung der Eltern eine wesentliche Rolle. In der Erwachsenentherapie arbeiten wir symptomspezifisch, das heißt, dass wir Stotternden für den Moment, in dem sie die Sprechkontrolle verlieren, Werkzeuge an die Hand geben, wieder in flüssiges Sprechen zu kommen. Hierbei ist auch wichtig, dass die Betroffenen lernen, offen mit dem Stottern umzugehen anstatt es ganz zu vermeiden. Wir gehen mit unseren Patienten dafür auch bewusst in die reale Alltagsinteraktion, beispielsweise fragen sie in der Innenstadt nach dem Weg zum Bahnhof. Das Besondere an der logopädischen Behandlung am UKM ist auch, dass wir alle medizinischen Disziplinen unter einem Dach vereinen: Wir kooperieren eng mit den Fachärzten der Phoniatrie und wenn beispielsweise ein neurologisches Problem vorliegt, können wir die Fachexpertise der Kollegen problemlos hinzuziehen.
Wie kann stotternden Menschen im Alltag geholfen werden?
Die meisten Stotternden wünschen sich, dass ihnen mit Geduld begegnet wird. Unsere Welt wird immer schnelllebiger, das gilt natürlich auch für die Kommunikation. Daher hilft man Stotternden schon, indem man ihnen Zeit gibt, ihr Anliegen zu artikulieren. Man sollte ihnen die Worte nicht vorwegnehmen, sondern sie aussprechen lassen – auch wenn es manchmal etwas länger dauert.
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