„Glamour erwarte man nicht von der Kommunalpolitik: Aber wir haben versucht, ihr Glamour zu verleihen“, sagt der Veranstalter von „BADDABÄM!“ nach der Premiere gegenüber ALLES MÜNSTER. Unter dem Titel „Abenteuer Kommunalpolitik“ verbinden die Macher von Reset e.V. unter der künstlerischen Leitung von Ruth Messing und Jonas Riemer Kultur und Wissenschaft mit Politik. An dem Abend wollten sie das Publikum für mehr ehrenamtliches Engagement in der Stadtgesellschaft begeistern.
Schwere Kost soll leicht verdaulich präsentiert werden. Daher vereint die Show verschiedene künstlerische Nummern, Sketche, kabarettistische Solonummern, Publikumsaktionen und ernsthafte Interviews miteinander, die sich einander abwechseln und durchdringen. Als roter Faden dient wie bei „Wetten, dass…?“ eine Saalwette. Die beiden Moderatoren sind davon überzeugt, fünf Zuschauer durch die Show zu animieren, sich zu verpflichten, für zwanzig Stunden eine ehrenamtliche Tätigkeit zu übernehmen.
Erst am Nachmittag vor der Aufführung haben sich alle Beteiligten erstmalig getroffen, so dass die Show ohne vorbereitende Proben auskommen muss. Dadurch entstehen Situationen, die erfrischend spontan und authentisch wirken. Die Umbauten erfolgen mangels Vorhang sichtbar auf der Bühne. Tatsächlich scheint der Ablauf an vielen Stellen offen zu sein. Bereits in der ersten Veranstaltung war kreative Entwicklung zu entdecken und es wurden wiedererkennbare Elemente in die Show etabliert. Live ist die etwas zufällige Entwicklung eines Gesamtkonzeptes erkennbar.
Die Moderatorin Sophie Czichon führt nach einem vorsichtigen Beginn auch dank ihrer mehrjährigen Erfahrung in einem Improvisationstheater souverän durch den Abend. Mit dabei ist Co-Moderator Jonas Riemer. Ob als Interviewer, Conférencier, Außenreporter oder stichwortgebender Souffleur: Auf der Bühne ist er als Springinsfeld allgegenwärtig.
Schnell wird deutlich, wie sehr sich die in Ritualen erstarrende Ratspolitik von der Projektarbeit unterscheidet. Einerseits ruft Ehrenamtsforscher Prof. Matthias Freise dazu auf, sich für einzelne Themen zu engagieren. Andererseits ist er der Meinung, eine Initiative wie die zur Rettung des von der Schließung bedrohten Jugendzentrums im Paul-Gerhardt-Haus müsse mehrere tausend Unterschriften sammeln, um das notwendige Gehör bei den Ratspolitikern zu erhalten. Dieser Anspruch formuliert eine hohe Hürde und verlangt schon viel Erfahrung von den Ehrenamtlern.
Das Publikum taut lachend auf, als mit einer Videoumfrage unter Ratsmitgliedern und mit einer Kabarettnummer aufgegriffen wird, von welcher Begriffsblase mit Baumschutzsatzungen und schlimmeren Wortungetümen schon die Kommunalpolitiker gefangen sind. Die Kluft wird an dem Abend weit geöffnet bleiben. Stimmung kommt besonders dann auf, wenn Defizite satirisch behandelt werden.
Jörg Berens, Vorsitzender der FDP-Ratsfraktion, sagt hinterher im Gespräch mit ALLES MÜNSTER, zwar sei es ein guter Abend für die Kommunalpolitik gewesen, aber er hätte sich eine positivere Darstellung gewünscht. Lokalpolitik sei wegen der Nähe zu den Menschen die Königsdisziplin. Sie stellt viele Fragen, ihr Leben werde unmittelbar mitgestaltet und es sei zu erklären, welche Entscheidungen der Stadtrat trifft und was sie für die Menschen bedeuten.
Auf der Bühne beschreibt Andrea Blome, gleichstellungspolitische Sprecherin der Grünen Ratsfraktion, warum sie Kommunalpolitikerin geworden ist. Für sie habe Kommunalpolitik keinen Glamourfaktor. Sie sei schon mit scheinbar kleinen, aber erlebbaren Veränderungen zufrieden. Dazu gehört das Fahrverbot in den Rieselfeldern oder die verkleinerten Parkbuchten in der Melchersstraße. Leider erliegt sie später der Versuchung, ihre Erfolge vor dem Hintergrund der Ziele ihrer Fraktion zu beschreiben, weswegen Jonas Riemer sie ermahnen muss, auf der Bühne nicht zu sehr auf parteipolitische Inhalte einzugehen.
Mit der Lokalität „SpecOps“ wurde ein geeigneter Veranstaltungort gefunden. Aus den Gesellschaftszimmern drangen die kneipenübliche Geräusche von weiteren Besuchern auch während der Vorstellung. Dies lenkte besonders in den ruhigeren Phasen ab. Insgesamt wertet der Umzug in den Aegidiimarkt das „SpecOps“ auf und es wirkte im Gegensatz zum alten Standort ungewohnt aufgeräumt. Die neue Gestaltung und die zentrale Lage sind anziehender für Besucher. Die Bühne hat jetzt einen exponierteren und zuschauerfreundlicheren Platz, der den Blick auch aus den hinteren Reihen deutlich erleichtert.
Es war eingangs schon sehr gewagt zu erwarten, dass sich fünf Zuschauer für eine ehrenamtliche Tätigkeit verpflichten würden. Nur mit Mühe wird diese Zahl erreicht. Das war vor allem bedauerlich für das anschließende Speeddating, in dem die Freiwilligen in Kontakt mit Initiativen wie den Quartiersentwicklern der B-Side, örtlichen Bürgerinitiativen oder den Münsteraner Grünen und Freidemokraten kamen. Leider konnte „BADDABÄM!“ nach eigener Darstellung die anderen Ratsfraktionen nicht zur Teilnahme bewegen.
Zum Konzept der Reihe gehört auch, dass zahlreiche weitere Aktivitäten gleichzeitig stattfinden und auch die sozialen Medien routiniert bespielt werden. Vor Ort malt Adnan Al Orbeni ein Symbolbild des Abends, während Mitglieder des Netzwerks „illustre Runde“ verschieden Elemente in zahlreichen Skizzen festhalten.
Die Auftaktshow war informativ, unterhaltsam, motivierend und inspirierend. Die Reihe hat eine Menge Potential. Sie gewinnt ihren Charme aus der (behaupteten) Improvisation, dem lokalen Bezug, dem professionellen Ablauf und der zunehmenden Souveränität der Moderation. Dabei nimmt sich die Abendveranstaltung zu viel vor, verheddert sich dabei leider in den vielen Handlungsfäden, weswegen für die erste Veranstaltung ein weniger komplexes Thema geeigneter gewesen wäre.
Die Macher verfehlen ihren vorab kommunizierten selbst gewählten und sehr hohen Anspruch zumindest teilweise. Aus Sicht des Rezensenten genügt es, wenn die Menschen erreicht werden, die einen großen Gesprächsbedarf hätten, sich dann aber nicht trauten selbst aktiv zu werden, wie es auch Sophie Czichon nach der Premiere gegenüber ALLES MÜNSTER erklärt. Die Angehörigen dieser Gruppe lassen sich sicherlich durch ein Format wie „BADDABÄM!“ motivieren.
Applausometer: Man merkt, dass nicht nur bühnenerfahrene Schauspieler den Abend gestaltet haben. Der starke Beifall hätte deutlich länger getragen, wenn sich die Protagonisten noch viel häufiger verbeugt hätten – wie es in Theatern üblich ist.
Am 9.12.23, 20 Uhr, findet das nächste „BADDABÄM!“ im SpecOps zum Thema „(Keine) Grenzen“ statt. Karten gibt es bei www.localticketing.de. Weitere Shows sind geplant für den 20.1., 2.3. und 13.4.2024. Mehr zum Projekt „BADDABÄM!“ könnt ihr auf der Homepage finden, auf Instagram und Facebook.
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