Das Tennengericht im Paohlbürgerhof ist einer der Höhepunkte in Münsters Karnevalskalender. Kein Wunder: hier werden jedes Jahr echte Prominente unter allerlei haarsträubenden Anschuldigungen vom Wachtmeister vor den Kadi gezerrt. Am Sonntagnachmittag waren es unter anderem Matze Knop, Steffi Stephan und Umweltminister Johannes Remmel, die mit Handschellen gefesselt in den Saal geführt wurden.
Nacheinander bekamen sie alle die Gelegenheit, einen Freispruch zu erwirken, Bewährung oder wenigstens erleichterte Haftbedingungen. Dazu war ihnen wie immer jedes Mittel erlaubt: wortgewandte Reden genauso wie musikalische Beiträge oder das Überreichen von Bestechungsgeschenken. Weil hierfür wenig geprobt, abgesprochen oder auswendig gelernt wird, bleibt viel Raum zum Improvisieren.
Das ist natürlich keine Hürde für den fernsehbekannten Comedian und Stimmen-Imitator Matze Knop, der als erster vor das Tennengericht der Karnevalsgesellschaft Paohlbürger treten durfte. Routiniert rief er alle von ihm abverlangten Parodien ab, darunter natürlich Dieter Bohlen und Franz Beckenbauer, aber auch die Fußballtrainer Jürgen Klopp und Pep Guardiola in den für sie irgendwie fremden Sprachen Englisch und Deutsch. „Das richtige Verbrechen ist mir gar nicht so bewusst,“ meinte Matze Knop achselzuckend als er selbst. Nun ja, der zu Beginn frisch beförderte „Leitende Oberstaatsanwalt“ Armin Halle hatte ihm lediglich vorgeworfen, sich „in die Intimi… Intizi… Persönlichkeiten hineinzuversetzen, ohne zu fragen“ und in seiner Jugend die Fußballvereine rund um Lippstadt allzu häufig gewechselt zu haben („Wie in einem Swingerclub“). Trotzdem verfügte der Richter Bernd Tepe „vorzeitigen Haftantritt“, um mit Johannes Remmel „einen richtigen Kriminellen zu erleben, nämlich einen Politiker.“
Den so angekündigten NRW-Umweltminister nahmen sie dann doch nicht so in die Mangel, wie viele erwartet hatten. Der neue Richter Bernd Tepe („Immigrant aus Vechta“) forderte die anwesenden Jäger im Publikum sogar auf, keine Plakate gegen den grünen Politiker hochzuhalten. Auch bei den Anklagepunkten wäre mehr drin gewesen, als ihm übertriebene Katzenliebe vorzuwerfen oder dass er sich „mit Hilfe von Wahlen im Parlament eingenistet hat, weshalb seine Heimat Siegerland genannt wird“. Johannes Remmel stieg als Angeklagter auf den Kuschelkurs ein und rühmte sich selbst als Vorreiter des Karnevals im protestantischen Siegen. Und legte ein paar Flaschen mit Hochprozentigem als Bestechungsgeschenke dazu. Dafür gab’s einen „Freispruch ohne Bewährung“ und eine Bio-Möhre als Orden.
Auch bei den weiteren Delinquenten war Hermann Beckfeld als Verteidiger kaum gefordert, sie redeten oder sangen sich selbst aus der misslichen Lage. Am überzeugendsten trat dabei WestLotto-Chef Andreas Kötter auf. Er lenkte die Herren der Rechtsprechung mit Rubbellosen ab und gewann das Publikum für sich, als er eine Lostrommel hereinbringen ließ, um zwei Ballonfahrten als Gewinne ziehen zu lassen. Mit Schlagfertigkeit und Bühnenpräsenz schlug er die Medien-Profis, als er die beiden größten Konkurrenten der Lottogesellschaft benannte, die mit wesentlich unhaltbareren Versprechungen locken würden: die Kirche („Verspricht ewiges Leben. Habt ihr da schon mal einen Gewinner gesehen?“) und die Online-Partnervermittlung Parship („Die sagen, alle 11 Minuten verliebt sich ein Single. Bei fünf Millionen Mitgliedern in Deutschland müsste dann jeder 104 Jahre warten“).
Dagegen fielen die musikalischen Gäste doch ein wenig ab: das volkstümliche Schlager-Duo Judith und Mel brachte das Publikum mit einem Potpourri aus ihren bekanntesten Liedern wie „Land im Norden“ oder „Komm Kuscheln“ zwar zum Schunkeln und Mitklatschen, als Mel Jersey aber dann noch eine demnächst erscheinende CD-Box ihrer gesammelten Hits anpreisen wollte, musste Ehefrau und Gesangspartnerin Judith ihn bremsen: „Wir sind doch hier nicht auf einer Kaffeefahrt“. Und dann mühte sich Steffi Stephan noch daran ab, einen alten Schlager von Freddy darzubieten, ohne vorher den gesamten Text gelernt zu haben. Mit seinen Erinnerungen an Konzerte mit Peter Maffay im Vorprogramm der Rolling Stones („Als er mit Tomaten beworfen wurde, hab ich mich solidarisch zu ihm gestellt“) und vor allem mit der Spende einer Bassgitarre haute er sich aber ordenlich wieder raus.
Extra um den schicken blauen Fenderbass zugunsten des Karnevalsmuseums im Paohlbürgerhof teuer an den Mann oder die Frau zu bringen, war Sportreporter-Legende Werner Hansch eingeladen worden. Er trieb die amerikanische Versteigerung (bei der mit jedem Gebot 20 € fällig wurden) kräftig voran, wobei sich besonders Münsters Karnevalsprinz Bernard I. und seine Entourage hervortaten. Dort landete schließlich auch bei 740 € der Zuschlag. Musik ist ja ohnehin die Leidenschaft des Stadtprinzen. Mit der Darbietung seines eigenen Karnevalssongs, einem rockigen Beat-Schlager zum Playback der Dandys, schlug er die Profis der Zunft. Getoppt wurde er nur noch von der Big Band aus Oldenzaal, dem Oln’zels Plezeer Orkest, das aber nur im Rahmenprogramm vor und nach dem Tennengericht zu hören war. Nach gut dreieinhalb Stunden Verhandlung zog sich dieses Gericht, das nach seiner Grundsatzerklärung „unbarmherzig, ungerecht und gesetzlos“ bleiben will, bis zum nächsten Jahr zurück.
Wehr noch mehr Bilder sehen will, findet sie in unserer Tennengerichts-Fotostrecke.
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