Manchen gibt es Rätsel auf, andere lächeln wissend, wenn sie daran vorbeigehen und viele dürften es seit Jahren geflissentlich übersehen haben: Das Schild am Michaelisplatz. Auf dem schlichten Blechschild in rund drei Metern Höhe stehen lediglich ein Datum und eine Uhrzeit, bis heute stand dort 27. März 2024, 16.30 Uhr. Das Schild und sein Geheimnis sind das Werk „Datum“ des Konzeptkünstlers Mark Formanek. Hunderte Schaulustige beobachteten wieder, wie das Schild ausgetauscht wurde. Und applaudierten begeistert dem Mann auf der Leiter.
Wenn es um das Thema Kunst im öffentlichen Raum geht, sind die Bürgerinnen und Bürger Münsters spätestens seit 1977 gut geübt, als die ersten der alle zehn Jahre stattfindenden Skulptur Projekte veranstaltet wurden. Seither stehen Betonkugeln am Aasee, wurden öffentliche Toiletten zum Prachtklo und liefen Menschen über das Wasser. Da kann ein unscheinbares Blechschild schon mal untergehen, was eigentlich schade ist. Mit den Skulptur Projekten hat die Arbeit Formaneks auch nichts zu tun. Das erste seiner Schilder hing auch nicht am Michaelisplatz, sondern an einer Wand am Hawerkamp. Das war 1992, also nicht im Jahr einer der Skulptur Projekte. Doch schon das nächste durfte an der prominenten Stelle hängen, an der es bis heute zu finden ist. Seit 2000 gehört das Werk und damit alle Schilder der Vergangenheit und der Zukunft der Stadt Münster. Alle vier Jahre wird es ausgetauscht, um ein neues Datum und eine neue Uhrzeit zu präsentieren.
So war es auch in diesem Jahr wieder ein Mitarbeiter der Kunsthalle Münster mit seiner langen Leiter und dem neuen Schild, dem die ganze Aufmerksamkeit der vielen Schaulustigen galt. Diesmal kam es allerdings zu einer kurzen Verzögerung, als der Mitarbeiter am oberen Ende der Leiter beim Blick auf das Schild ein „Hm… Schlitzschraube“ vor sich hinmurmelte und unverrichteter Dinge den Weg zurück antreten musste, er hatte einen Kreuzschraubendreher dabei. Viele der Anwesenden warteten umso gespannter darauf, was denn wohl genau passieren wird, wenn Datum und Uhrzeit erreicht sind. Andere kennen die Prozedur bereits und freuen sich darauf, dass das Gleiche passiert, wie seit 32 Jahren. Ploppende Sektkorken und klingende Gläser deuten darauf hin, dass sogar Fans des Schilderwechsels unter den Anwesenden sind. Wird das neue Datum zufällig auf den eigenen Geburtstag fallen? Gibt es irgendeinen anderen Bezug zu dem neuen Datum? Zahllose Kameras und Smartphones sind auf das kleine Blechschild gerichtet und halten den Moment, der irgendwie ein historischer ist, fest.
Klar ist nur eines, auch in vier Jahren, genau genommen am 20.03.2028 um 16.45 Uhr, werden sich wieder viele Menschen versammeln, um dabei zuzuschauen, wie ein Schild ab- und ein anderes angeschraubt wird. Auch – oder gerade weil – völlig klar ist, wie der Vorgang ablaufen wird. Ein wenig wie bei „Dinner for one“ oder der Weihnachtsfolge der Krimireihe „Wilsberg“. In einer Zeit, in der immer mehr Aufwand betrieben wird, um Events möglichst groß und beeindruckend zu gestalten, ist der Schilderwechsel am Michaelisplatz eine geradezu andächtige Handlung. Still, unaufgeregt und mit einem hintergründigen Humor, den man den Westfalen erstmal nicht unterstellen würde. Danke nach Berlin, Mark Formanek!
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