Es gibt Abende, da kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus. So auch an diesem frühlingshaften Dienstagabend in der Sputnikhalle. Man rechnet mit einem netten Konzertabend, an dem alte Jugendhelden ihre Großtaten aus den Neunzigern aufwärmen und man – etwas nostalgisch gestimmt – in alten Erinnerungen schwelgen kann. Doch zum Schwelgen blieb auf dieser Zeitreise vor lauter Begeisterung wenig Zeit.
Noch ganz aktuell und im Hier und Jetzt präsentiert sich als Opener die junge Düsseldorfer Band „Line 418“, die sich ganz konsequent nach ihrer örtlichen Buslinie benannt hat, mit der die Bandmitglieder schon zu Schulzeiten gemeinsam fuhren – quasi der erste Tourbus. Eine recht erfrischende und sehr überzeugend vorgetragene Mischung aus Collegepunk und deutschem Spaßpunk im Stil der Wohlstandskinder sorgt für gute Stimmung und weckt – obwohl die Musiker im Schnitt halb so alt sind wie der durchschnittliche Besucher dieser Veranstaltung – Erinnerungen an die eigene wilde Jugend. Insgesamt eine sehr solide und authentische Performance und eine Band, von der man sicherlich noch hören wird – vor allem der mehrstimmige Gesang und das präzise Drumming wissen zu überzeugen.
Nach einer ausgiebigen Umbaupause befinden wir uns plötzlich im Jahr 1996. Münster ist wieder die Hauptstadt der Skateboard-Szene, Crossover ist der musikalische Trend der Stunde und die fünf Musiker – allesamt vor Betreten der Bühne noch in ihren 40ern – sind mit einem Schlag wieder die jungen Wilden von einst. Meine Güte, was für eine Energie! Spätestens ab dem zweiten Song bildet sich in den ersten Reihen ein gepflegter Moshpit, in den bis zum Ende der Show keine Ruhe mehr einkehren wird. Doch zurück zum Anfang. Sichtlich gut gelaunt begrüßen die noch verbliebenen Originalmitglieder John Connor (Gesang) und Dave Neabore (Bass) die ersten Reihen persönlich per Handschlag. Immer wieder wird der Kontakt zum Publikum gesucht, es werden Bier und Gitarrenplektren verteilt und Anekdoten aus 27 Jahren Bandgeschichte erzählt. Die Musiker und Teile der Crew beweisen ihre Vielseitigkeit: Schlagzeuger Brandon Jay Finlay zeigt sein Talent als Rapper, auch Tourmanager und Bühnentechniker greifen sehr überzeugend zum Mikrofon und der anfangs noch etwas schüchtern wirkende tschechische Saxophonist fühlt sich im Rampenlicht zunehmend wohler.
Kein Hit der (recht überschaubaren) Diskografie wird ausgelassen, zu „Rocky“ wird Bassist Neabore feierlich der Weltmeistergürtel im Boxen verliehen und sogar ein paar neue Songs reihen sich nahtlos ein – es besteht also die Hoffnung, in absehbarer Zeit ein neues Album der Crossover-Veteranen aus New Jersey in den Händen halten zu können. Nach etwa 90 Minuten (wer hatte Gelegenheit oder gar das Bedürfnis, auf die Uhr zu schauen? – ich jedenfalls nicht!) sind alle Hymnen gebührend zelebriert, alten Helden und Weggefährten wie dem Wu-Tang-Clan ausreichend gehuldigt worden. Zum Ausklang dieser sehr kurzweiligen Zeitreise mischen sich beide Bands ganz bodenständig wie in alten Zeiten unter das Publikum für das ein oder andere – mehr als redlich verdiente – Feierabendbier.
Mehr Bilder des Abends findet ihr in unserer großen Fotostrecke.
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