Neben dem Klimawandel ist das Artensterben die größte und auch lebensbedrohlichste Herausforderung für die Spezies Mensch. Doch während sich unter anderem in Ländern der Europäischen Union ein Bewusstsein für den zwingend benötigten Arterhalt bildet, stehen andere Länder noch ganz am Anfang – wie Haiti. Dabei ist es oftmals nicht der fehlende Wille, vielmehr sind es die politischen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die die Menschen vor andere, sehr viel präsentere Herausforderungen stellt.
Jeden Tag sterben Arten unwiderruflich aus. Die Schätzungen variieren. Sie eint aber, dass sie alle im dreistelligen Bereich, teilweise bis zu 150 Arten, bezogen auf Tiere, Pflanzen, Pilze und Mikroorganismen, pro Tag liegen. Besonders betroffen sind dabei Süßwasserfische. In Süßwasserlebensräumen existieren 51 % aller bekannten Fischarten, obwohl sie nur 1 % der Erdoberfläche einnehmen. Ferner sind mehr als 200 Millionen Menschen für ihren Lebensunterhalt auf Süßwasserfische angewiesen – und mindestens 60 Millionen von ihnen beziehen ihr Haupteinkommen aus ihnen. Gleichzeitig werden insbesondere Binnengewässer in strukturell schwachen Ländern besonders beansprucht, da es keine Kläranlagen gibt. Rückstände vom Wäsche- oder Autowaschen, Pestizide und Müll sowie eingespülte Sedimente durch nicht mehr vorhanden Uferbewuchs belasten die Gewässer und ihre Bewohner – wie Anwohner. Das ist auch einer der Gründe, warum ein Drittel der Süßwasserfischarten vom Aussterben bedroht ist. Sie gehören damit zu den am stärksten bedrohten Tierarten weltweit.
Eine der größten Herausforderungen ist dabei, dass längst noch nicht alle Arten und erst recht nicht ihre Funktionen in den jeweiligen Ökosystemen bekannt sind. „Insgesamt kennen wir wahrscheinlich nur rund 15 % aller Arten. Damit sind wir also sehr weit davon entfernt, alle Arten zu kennen. Entsprechend wenig wissen wir über die komplexen Wechselwirkungen in den jeweiligen Lebensräumen“, erklärt Dr. Philipp Wagner, Kurator für Forschung und Artenschutz im Allwetterzoo Münster. „Jeder Artverlust ist somit ein Spiel mit dem Feuer. Wir wissen einfach zu wenig, um abschätzen zu können, wann in einem Ökosystem ein Kipppunkt erreicht ist und alles wie beim Domino umfallen wird.“ Eine besondere Herausforderung, insbesondere wenn es um Lebensformen geht, die nur an diesem einen Ort vorkommen.
Auch eine neue Art, die seit kurzem im Allwetterzoo Münster zu erleben ist, zählt zu diesen besonders bedrohten Tieren. Es handelt sich um Schwarzbandkärpflinge (Limia nigrofasciata). Diese Fische kommen nur auf der Insel Hispaniola und dort auch nur auf der haitianischen Seite der Karibikinsel vor. „Die endemische Art gehört zu den lebendgebärenden Zahnkarpfen (Poeciliidae). Er ist auch als Schwarzbinden- oder Buckelkärpfling bekannt. Limia nigrofasciata wurde bisher nur im Miragoâne-See in Haiti gefunden“, beschreibt Wagner die vermeintlich unscheinbaren Tiere.
Auch die in 2001 in Münster gegründete Stiftung Artenschutz setzt sich für die aquatischen Lebensräume und ihre Bewohner in der Karibik, und damit auch in Haiti ein. Kein leichtes Unterfangen. „Für den Schutz von Süßwasserfischen und ihren Lebensräumen fehlen zum Beispiel grundlegende Informationen über die vorkommenden Arten. Dies gilt aber für alle karibischen Inseln“, sagt Dr. Tobias Kohl, Geschäftsführer der Stiftung Artenschutz, die mittlerweile in Berlin ansässig ist. Er ergänzt: „Aufgrund der politischen Lage in Haiti ist die Situation hier aber besonders akut.“
Die Stiftung Artenschutz hat mit weiteren Partnern im Jahr 2022 ein Projekt zum Schutz von endemischen Fischen in Haiti koordiniert begleitet. „Das erste Ziel dieses Projekts bestand darin, eine dringend notwendige Untersuchung in einem besonders gefährdeten Lebensraum, dem Miragoâne-Sees, durchzuführen. Also dem See, in dem auch die im Allwetterzoo Münster lebenden Schwarzbandkärpflinge vorkommen“, so Kohl über das Gewässer, das auch noch weitere zahlreiche Vertreter der Gattung Limia (Familie Poeciliidae) beherbergt. So sei diese Studie zum richtigen Zeitpunkt gekommen. Sie soll dazu beitragen, die aktuelle Bestandssituation und die unmittelbaren Gefahren für die endemischen Fischarten zu verstehen.
Die Stiftung Artenschutz hat bei diesem Projekt eng mit der Université des Antilles, Guadeloupe, sowie einer amerikanischen Universität zusammengearbeitet. Dr. Ingo Schopp, Leiter an der Fakultät für Biologische Wissenschaften der Universität von Oklahoma, USA. Er erinnert sich noch gut an das Projekt. „In Haiti ist derzeit alles eine Herausforderung. Dinge, die wir für selbstverständlich halten, wie sauberes Wasser, Lebensmittel, Energie, Kraftstoff und Sicherheit, sind in Haiti derzeit nicht gewährleistet. Das Reisen ist ein Problem, und das Land wird durch gewalttätige Banden unsicher gemacht“, blickt der Professor zurück und resümiert: „Für alle praktischen Zwecke bedeutet dies, dass bei jeder Form von Feldarbeit äußerste Vorsicht geboten ist.“ So musste der vor Ort agierende haitianische Biologe James Josaphat für die Feldarbeit immer die Hauptstadt Port-au-Prince und insbesondere die Stadtteile Martissant und Carrefour auf der Nationalstraße Nr. 2 durchqueren. Regionen, in denen Banditen und Gangs regieren.
Laut seiner Aussage waren aber nicht nur die Gangs eine Herausforderung. „Die lokale Bevölkerung wusste, dass die von mir gefangenen Fische nicht zum Verzehr oder zum Verkauf auf dem lokalen Markt geeignet sind. Sie glaubten jedoch, dass ich sie fange, um sie auf dem internationalen Markt zu verkaufen, so wie die Aale, die die Menschen fangen und auf dem internationalen Markt verkaufen“, sagt er zu den anfänglichen Diskussionen mit den Menschen vor Ort. „Sie dachten, ich mache viel Geld mit dem Fang und Verkauf der Fische. Aus diesem Grund wurde ich viel angebettelt.“ Eine schwierige Situation, wusste James Josaphat sehr wohl, wie es um die Lebenswirklichkeit vieler seiner Landsleute bestimmt ist. „Viele sind wirklich in Not. Wenn wir ihnen etwas zu Essen angeboten haben, haben sie es immer vor Ort regelrecht heruntergeschlungen.“ Sie hatten Angst, dass ihnen das Essen wieder weggenommen werden könnte.
(Fotos: Allwetterzoo)
Diese und viele weitere Punkte machen die Arbeit zum Erhalt der lokalen Biodiversität sehr komplex, anspruchsvoll und am Ende auch gefährlich. „Wir können die Tatsache nicht ignorieren, dass das Problem des Artenschutzes in Haiti mit der sozioökonomischen, politischen und kulturellen Situation des Landes zusammenhängt. Infolgedessen war und ist es schwierig, in sogenannten Krisenländern wie Haiti, Arten zu erhalten. Der Staat ergreift in fast allen Gebieten mit reicher biologischer Vielfalt keine konkreten Maßnahmen“, merkt der Biologe an. Dennoch, etwas Hoffnung gibt es doch, wie Schopp ergänzt: „Trotz dieser Herausforderungen ist der Naturschutz in Haiti jedoch lebendig. Es werden Anstrengungen sowohl in der Forschung als auch in der praktischen Naturschutzbiologie unternommen.“
Das in naher Zukunft keine nachhaltige Besserung für Artenschutzprojekte und die Arbeit für Wissenschaftler in Aussicht ist, denkt derweil auch Calixte Giscard Louis-Marie S. Er lebt und arbeitet in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince als Übersetzer und Deutschlehrer. „In Wirklichkeit kann diese Frage in verschiedenen Weisen beantwortet werden, je nachdem wo man auf dem Staatsgebiet ortsansässig ist. Die verschiedenen Probleme mit Sicherheitsrisiken sind eher im Westen zu finden, das heißt hier bei mir in der Hauptstadt Port-au-Prince und in manchen peripherischen Landesteilen, dann aber nicht weit von der Hauptstadt entfernt“, beginnt er. „Ansonsten gibt es natürlich Probleme und Schwierigkeiten, mit denen alle Regionen betroffen werden. Damit meine ich vor allem Armut, Nahrungsknappheit für die meisten, der Mangel an akzeptablen Infrastrukturen zu denen auch Krankenhäuser, Energieversorgung, Schulen oder auch Hochschulen zählen.“ Entsprechend gering ist das derzeitige Interesse an einem Aktiven Arten- und Naturschutz.
Das würde auch nicht durch die dramatische Situation des Miragoâne-Sees, dem Lebensraum der Schwarzbandkärpflinge und westlich von der haitianischen Hauptstadt gelegen, besser. Das Gewässer leidet unter anderem unter der Entwaldung seiner Ufer, wodurch immer mehr Sedimente eingetragen werden. „Die Menschen sind auf das Holz angewiesen. Abgesehen vom Kochen, gibt es noch die Waschanstalten, dort wo man die Wäsche hinbringt, damit sie gewaschen und gebügelt werden kann. Viele dieser Geschäfte brauchen wahnsinnig viel Holz für die Maschinen und ihre Arbeit. Die Pflanzendecke, vor allem im Westen, ist dadurch ehrlich gesagt aktuell sehr schlecht.“ Auch Pestizide und Abwässer gelangen ungefiltert in den See.
Neben den direkten Umwelteinflüssen liegt die Herausforderung aber auch auf der Zusammenarbeit und Vernetzung der großen Akteure. So gibt es bei den ohnehin schon seltenen biologischen Schutzmaßnahmen keine Synergien zwischen dem Staat, den NGOs, den lokalen Verbänden und den privaten Einrichtungen. So kam es auch, dass ohne Prüfung oder Rücksprache Larven der afrikanischen Buntbarsche vom haitianischen Staat in den Miragoâne-See ausgesetzt wurden. „Das alles geschah, ohne die Auswirkungen auf die einheimische Flora und Fauna zu berücksichtigen. Eine invasive Art für ein ohnehin schon stark belastetes Gewässer. Die Folgen können wir heute noch gar nicht absehen“, ist sich Josaphat unsicher, was das langfristig für den Lebensraum zu bedeuten hat.
Trotz der Herausforderungen und schwierigen Arbeitsbedingungen sind sowohl Schopp als auch Josaphat mit den Ergebnissen der Feldstudie zufrieden. So war die Süßwasserfischfauna von Haiti und der Karibik bisher im Allgemeinen nicht gut erforscht. „Das gilt auch für eine der interessantesten und wissenschaftlich relevantesten Gruppen, die lebendgebärenden Fische der Familie Poeciliidae“, erklärt Schopp. Neun Limia-Arten in Haiti sind nur aus diesem einzigen See bekannt. Für die Forschenden eine spannende Angelegenheit. „Wir vermuten, dass dies die einzige Radiation (eine Gruppe von Arten, die auf einen einzigen Vorfahren zurückgeht) innerhalb der Familie der lebendgebärenden Fische ist. Mit den Projektergebnissen können wir besser beurteilen, was zum Arterhalt dieser Tiere getan werden muss.“
Um diesen Schutz besser organisieren zu können, werden auch die Ergebnisse der Feldstudie herangezogen. „Die Ergebnisse des Projekts sind trotz des Bedarfs an weiteren konkreten Maßnahmen positiv“, so Josaphat. „Wir konnten eine Datenbank über die abiotischen und biotischen Faktoren des Sees erstellen. Auch liegt eine Kartierung des Fischvorkommens im Miragoâne-See vor, um die kritischsten Gebiete für die Erhaltung zu bestimmen.“
Neben den wissenschaftlichen Ergebnissen hat das Projekt aber auch auf einer anderen Ebene Erfolge vorzuweisen. „Die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung ist trotz der verschiedenen Herausforderungen sehr gut verlaufen“, sagt James. „Nach unseren verschiedenen kurzen Sensibilisierungstreffen haben sie verstanden und akzeptiert, dass meine Feldarbeit nicht dazu dient, den See auszubeuten.“ Demnach hätten die Menschen nicht gedacht, dass die Arten des Limia-Sees so besonders seien. „Sie wollen trotz ihrer wirtschaftlichen Lage sich für den Schutz dieser Art engagieren. Auch wenn sie weiterhin gezwungen sein werden, im See ihre Wäsche zu waschen und auch sonst durch die fehlende Infrastruktur vor Ort der See mit menschlichen Hinterlassenschaften, Abwässern, Pestiziden und vielen anderen Dinge belastet wird.“
In diesem Zusammenhang nennt er eine besondere Aktion, die in diesem September stattfinden wird. „Im Laufe des Monats werden erstmals Einsätze am See stattfinden, um ihn von invasiven Pflanzen und Müll zu befreien und eine Struktur für seine Erhaltung zu schaffen. Gemeinsam mit den Fischern und anderen Einheimischen werden wir eine lokale Organisation gründen, die sich auf Wunsch der Bevölkerung um den Schutz des Sees kümmert.“ Ein Anfang, der zeigt, dass es auch in akuten Krisengebieten möglich ist, allen Widrigkeiten zu Trotz, Arten- und Naturschutz zu betreiben. Etwas von dem am Ende immer auch die Menschen vor Ort profitieren.
Hintergrund: „Aufs Beste hoffen und aufs Schlimmste vorbereitet sein.“ – Wie ein kleiner Fisch für die Komplexität des Artenschutzes in Haiti steht
Institutionen wie der Allwetterzoo Münster arbeiten aktiv daran, Arten vor dem Aussterben zu retten und Ökosysteme zu erhalten. Eine wichtige Arbeit, zeigen doch Studien wie zum Beispiel „Actions to halt biodiversity loss generally benefit the climate“ das Artenschutz auch einen positiven Einfluss auf Klimaschutz und -Maßnahmen haben. Damit ein Vorhaben aber von Erfolg geprägt sein kann, ist es wichtig immer auch die jeweilige lokale Bevölkerung mit einzubeziehen. Aber was, wenn dieser wichtige Partner, die Zivilgesellschaft in all ihren Facetten so große Probleme hat, dass einzig das Überleben des nächsten Tages Priorität hat.
Am Beispiel des Schwarzbandkärpflings wird die Komplexität solcher Vorhaben deutlich. Hierbei handelt es sich um eine endemische Art, die, abgesehen von Aquarien wie zum Beispiel dem im Allwetterzoo Münster, nur im Miragoâne-See in Haiti vorkommt. Dieser lebendgebärende Fisch ist vom Aussterben bedroht.
„In Ländern mit einer gestörten Regierungsstruktur ist der Artenschutz besonders schwierig“, weiß Dr. Ingo Schlupp, Präsidentschaftsprofessor für Biologie an der Fakultät für Biologische Wissenschaften, Universität von Oklahoma, USA. „Verständlicherweise haben die Menschen vor Ort andere Dinge im Kopf, oft das nackte Überleben. Es kann schwierig sein, diese Interessengruppen und staatlichen Stellen von der Bedeutung des Artenschutzes zu überzeugen. Es ist eine Herausforderung, sich auf langfristige Erhaltungsstrategien zu konzentrieren, wenn man mit brennenden kurzfristigen Problemen konfrontiert ist.“
Die Aussagen von Ingo Schopp kann Calixte Giscard Louis-Marie S. nur bestätigen. Er lebt und arbeitet in Haitis Hauptstadt Port-au-Prince als Übersetzer und Lehrer. „In Wirklichkeit kann diese Frage in verschiedenen Weisen beantwortet werden, je nachdem wo man auf dem Staatsgebiet ortsansässig ist“, beginnt er seine Antwort auf die Frage, ob er die aktuelle Lage in dem Karibikstaat in wenigen Sätzen zusammenfassen könne. „Die verschiedenen Probleme mit Sicherheitsrisiken sind eher im Westen zu finden, das heißt vor allem hier bei mir in der Hauptstadt“, sagt er. „Ansonsten gibt es natürlich Probleme und Schwierigkeiten, von denen alle Regionen betroffen sind. Damit meine ich vor allem Armut, Nahrungsknappheit oder der Mangel an akzeptablen Infrastrukturen zu denen auch Krankenhäuser, Energieversorgung, Schulen sowie auch Hochschulen zählen.“ Auch gibt es keine soziale Absicherung oder sowas wie einen Mindestlohn und das Gesundheitssystem sei nahezu inexistent. „Und dies, was ich gerade gesagt habe, kommt mir sogar als ein Euphemismus vor.“
Seit dem verheerenden Erdbeben am 12. Januar 2010 mit über 300.000 Toten ist nur ein Bruchteil der Infrastruktur wiederhergestellt worden. Unter anderem liegt der Nationalpalast noch immer in Trümmern. Weitere Erdbeben wie zuletzt im August 2021 mit mehr als 2200 Toten zerstörten dann noch mehr. Dabei hat die ehemalige Perle der Karibik, wie Haiti einst genannt wurde, schon seit Jahrhunderten mit vielfältigen Problemen zu kämpfen. Haiti war nach der französischen Kolonialzeit der erste unabhängige Staat der Karibik. Die im Jahr 1804 nach langen Auseinandersetzungen erkämpfte Unabhängigkeit führte zu einem wirtschaftlichen Niedergang des vormals prosperierenden Landes. Die weltweit erste Republik von Schwarzen verlor nicht nur die Kenntnisse und Netzwerke der kolonialen Strukturen, sondern wurde auch gezwungen, gut 20 Jahre lang Ersatzzahlungen an die enteigneten und vertriebenen Landbesitzer zu zahlen. Es ergab sich eine Staatsverschuldung, die das Land ebenso belastete wie die anfängliche Weigerung Frankreichs und anderer Nationen, Haiti als souveränes Land anzuerkennen.
Hinzu kamen von Anbeginn innere Spannungen und Auseinandersetzungen, Spaltungen und Machtkämpfe, Korruption und innere politische Blockaden sowie Kriege, die eine wirkliche Entwicklung in Wirtschaft und Gesellschaft verunmöglichten. Haiti ist das einzige Land der westlichen Hemisphäre, das zu den am wenigsten entwickelten Ländern der Welt gezählt wird. Die kaum ausgeprägte Binnenwirtschaft hat Haiti ebenso wie die instabile politische Lage mit häufigen Unruhen zu einem gescheiterten Staat gemacht, aus dem seit Mitte der 1990er Jahre über drei Millionen Bürger ausgewandert sind. Und aktuelle Pläne wie die Entsendung einer Polizei-Eingreiftruppe unter der Führung Kenias werden ebenfalls sehr kritisch gesehen, würde ein solcher Einsatz noch mehr Waffen und Gewalt auf die Insel bringen – mit ungewissem Ausgang.
Vorläufiger Höhepunkt dieser Verkettung von Katastrophen war die Nacht vom 6. auf den 7. Juli 2021. Hier wurde der ohnehin schon umstrittene Präsidenten Jovenel Moïse in seinem Privathaus angeblich durch kolumbianische Söldner ermordet. Seitdem wird das Land von Premierminister Ariel Henry geführt, der nach der Ermordung seines Vorgängers ohne Wahlen das Amt übernommen hatte. Seitdem hat der Staat in weiten Teilen die Kontrolle verloren und Banden haben die Oberhand. Allein in 2023 gab es bis Ende Juli über 300 Entführungen. Hinzu kommt wahllose Gewalt gegenüber den Bewohnern in Form von Raub, Plünderungen sowie Morden und Vergewaltigungen. „Die meisten von uns hier haben keine Ahnung, wo wir anfangen sollten, um eine Lösung herauszuarbeiten“, so Calixte Giscard Louis-Marie S. „Zudem gibt es immer wieder Choleraausbrüche in Haiti.“
In diesem komplexen Mengengelage hatte die Stiftung Artenschutz ein Projekt zum Arterhalt des Schwarzbandkärpflings auf den Weg gebracht. Dabei ist Artenschutz in dem karibischen Land derzeit nichts, für das sich die Zivilbevölkerung begeistern kann. „Dieses Thema würde hier den meisten als komisch vorkommen“, so Giscard. Er denkt dennoch, dass die Bevölkerung trotzdem offen für das Thema sein würde und erfährt Unterstützung von Dr. Schopp: „Trotz dieser Herausforderungen ist der Naturschutz in Haiti lebendig. Es werden große Anstrengungen sowohl in der Forschung als auch in der praktischen Naturschutzbiologie unternommen.“ Dennoch, das löse noch nicht das grundlegende Problem des Staates und seiner Bevölkerung, wie Giscard sagt: „Das größte Thema meiner Meinung nach wäre eigentlich, dass sich die Bevölkerung hier schon mit so vielen anderen Problemen auseinandersetzen muss, dass die Dauerhaftigkeit dieses Unternehmens bestimmt leicht hinken würde. Und so wie ich die aktuelle politische Lage einschätze, könnte ein Projekt dieser Art sich kaum auf eine nachhaltige Unterstützung verlassen.“
Damit Menschen immer und ständig auf ihr Verhalten gegenüber der Natur achten können, müssten sie in einem sauberen Umfeld aufwachsen, ist er sich sicher. Wenn die Lebensumwelt es hergibt oder die Schule, die Kirche und Familie oder einfach der Staat es vorleben und vorgeben, dann stärkt das auch die alltägliche Achtsamkeit der Menschen. „Aufs Beste hoffen und aufs Schlimmste vorbereitet sein. Heute wächst der Nachwuchs ohne diese Elemente, die den Leuten jeweils als Kompass oder Strahlkraft dienen könnten, auf. Dann wird es logischerweise immer komplizierter für sie, sich aus dieser Lebenswirklich herauszugeben, egal welchen Mehrwert sie daraus für sich ziehen könnten.“
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