Treibgut-Kollektiv macht den Kanal zur Konzertbühne Live vom Streamboot aus

Veranstalter, Bootsführer und Ideengeber von Treibgut, Frank Romeike (rechts) im Interview mit Frank Möller. (Foto: Stephan Günther)
Veranstalter, Bootsführer und Ideengeber von Treibgut, Frank Romeike (rechts) im Interview mit Frank Möller. (Foto: Stephan Günther)

Schöne Musik an besonderen Orten: Seit seiner Gründung vor gut sechs Jahren bot das Veranstaltungsteam von Treibgut um Bootskapitän Frank Romeike alljährlich in den Sommermonaten abwechselnd vor dem Hot Jazz Club und im Pavillon des Schloßgartens regionalen Singern / Songwritern eine klangliche Plattform. Bedingt durch die andauernde Coronakrise mußten sämtliche für dieses Jahr eigentlich angedachten Termine abgesagt werden. Die Idee eines Livestreams vom fahrenden Boot aus war geboren – und wurde am Samstag nach dreiwöchiger Planungsphase in die Tat umgesetzt.

Die „Anaconda“, eine blau-weiße Barkasse aus den 1940er Jahren, hat im Laufe ihres Schiffslebens schon eine ganze Menge Geschichten und Passagiere zu Gesicht bekommen. Neun ambitionierte Menschen, ausgerüstet mit Kamera, Laptops, Mikros, Musikinstrumenten und jede Menge anderer Technik war für die rüstige Bootsdame dann aber doch ein Novum. In diesen Zeiten, wo das öffentliche kulturelle Leben fast gänzlich zum Erliegen gekommen ist, schien diese ungewöhnliche Idee des (weltweit ersten?) Livestreams auf dem Wasser die Kreativität der Treibgut-Crew erst recht angestachelt zu haben. Der “das-geht-doch-nicht“-Argumentation seitens einiger Fachleute mit viel Wissen rund um Internetverbindungen wurde ein Schnippchen geschlagen, was Frank Romeike im Vorfeld mit einem originellen Vergleich aus dem Tierreich zu kommentieren wußte: „Die Hummel kann theoretisch auch nicht fliegen. Sie weiß das aber nicht und macht es trotzdem.“

LIA durfte den Abend auf der "MS" Anaconda eröffnen. (Foto: Stephan Günther)
LIA durfte den Abend auf der „MS“ Anaconda, dem Treibgut-Boot, eröffnen. (Foto: Stephan Günther)

Und so wurde zusammen mit Technikchef / „Nerdguru“ Markus Steinhauer ein Konzept entwickelt und umgesetzt, dass fünf getunnelte LTE-Routerkanäle über ein VPN-Anbieterdienst koppelt, der sich als Stream in HD über die Plattformen YouTube, facebook und Twitch.tv anschauen ließ. Nach anfänglichen Problemen mit dem Ton zu Beginn der Bootsfahrt nahm die „Anaconda“ zügig Fahrt auf und bei Einfahrt vom Dortmund-Ems-Kanal in den Stadthafen waren die Mikrofonschwierigkeiten aufgedröselt, sodaß sich Sängerin LIA gegen 19.30Uhr auf dem Bootsheck für ihren Auftritt bereitmachen konnte. Die eigentlich für den Samstagabend vorhergesagten Starkregenschauer hatten wohl spontan andere Pläne und so schipperte die Bootsbesatzung bei sommerlich warmer Abendluft vorbei an der gut besuchten Wasserkante. Dabei zog das Schiffskonzert so ziemlich alle Blicke auf sich und manch einer der samstäglichen Hafenpromenaden-Besucher mag sich neugierig gefragt haben: „Was machen die denn da?“

Lia Thomfordes Musik ließe sich als eine Art gemäßigtes Aggro-Songwriting mit einer Menge Spaß an der Sache umschreiben. Vertonte Geschichten zwischen Frühlingsgefühlen und Gesellschaftskritik; charmant und energiegeladen vorgetragen mit manchmal bittersüßem Beigeschmack und trotz vordergründigem Pop- und Folk-Appeal auch immer noch mit einem Bein im Rock angesiedelt. Nach einem kurzweiligen 45-minütigen Set ließ es sich die sympathische Songwriterin nicht nehmen, ihren aufgestauten Adrenalinspiegel kurz vor der Münsteraner Schleuse mit einem beherzten Sprung in den Kanal runterzukühlen.

Das Duo Lemon Lights bot dann den passenden Soundtrack für den Sonnenuntergang auf dem Kanal. (Foto: Stephan Günther)
Das Duo Lemon Lights bot dann den passenden Soundtrack für den Sonnenuntergang auf dem Kanal. (Foto: Stephan Günther)

In der Umbaupause zwischen den Sets fanden dann die beiden Franks an Bord Zeit für ein kurzes Gespräch: Schiffsmoderator DJ Rockmöller ließ sich von Bootsführer Romeike den Weg von der konzeptionellen Idee zur technischen Umsetzung erklären und staunte nicht schlecht, was man so alles in knapp drei Wochen realisieren kann. Auf dem Weg zurück in Fahrtrichtung Hiltrup hatte sich dann das Duo Lemon Lights auf Deck musikalisch eingerichtet und startete sein Set mit Blick in den sich anbahnenden Sonnenuntergang. Anna Lücking (Gesang / Keybaords) und Todor Akimov (Gitarre / Cajon / Samples) wollen sich bewußt in ihren Songs auf der Suche nach etwas verirren, dem anderen Ich begegnen, dem Zirkus im eigenen Kopf zusehen. Poetischer Realismus zwischen Traum und Leben – Musik, die Fragen stellt, etwas zu sagen hat und oft genug mit einem Tanz antwortet. Gegen 21.30 Uhr nahm dieser tolle „Seele-baumeln-lassen“-Abend im Stadthafen 2 sein Ende und hinterließ sämtliche der Mitreisenden an Bord mit einem verzauberten Grinsen auf dem Gesicht. Ein in Coronakrisenzeiten wahrlich wundervoller Abend ging zu Ende.

Weitere Infos unter www.treibgut.de / Möglichkeit zur paypal-Spende für das Bootsprojekt unter VFJU.muenster@gmail.com

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