Bach, Beethoven, Händel – was immer der Klassikfreund in Münster auch gerne hört – gestern im Großen Haus galt es, akustisches Neuland zu betreten. In Münster ist das ziemlich gewagt. Dabei hatte Dr. Jens Ponath, seines Zeichens Dramaturg für das Musiktheater, sogar eine Einführung in das 3. Sinfoniekonzert gegeben. Doch er hatte eine Überraschung im Köcher, selbst für die, die schon zur Einführung da waren.
Der Komponist Nicola Sani war nicht nur selbst anwesend, sondern erzählte auch während der Einführung etwas zu seiner eigens für den gestrigen Abend komponierten „Seascapes IX“. Dass ihn nämlich der japanische Fotokünstler Hiroshi Sugimoto inspiriert habe, ja mehr noch, dass seine Bilder in die Musik gespiegelt werden. Passend dazu werden Fotos von Meer, dem Horizont als Sollbruchstelle und dem Himmel mit Wolkenformationen auf eine Leinwand projiziert. Aber es gibt keine Hörbeispiele wie später bei der Musik von Prokofjew. Insofern bleibt der Besucher allein mit seiner Fantasie von Meer und Strand. Das hat Ponath einfach klasse gemacht. Schließlich noch ein bisschen über Prokofjew und Tschaikowsky referiert und das Auditorium schließlich vom Theatertreff in den Saal entlassen. Und schon kommt das Orchester auf die Bühne, das heute mal von dem Franzosen Fabrice Bollon dirigiert wird, der ja schon lange in Deutschland lebt und als Generalmusikdirektor die Geschicke am Theater Freiburg lenkt. Dermaßen vorbereitet rechnen wohl die allermeisten mit einem wie gewöhnlich netten Konzertabend. Und plötzlich werden ganz neue Hörgewohnheiten präsentiert, Brandung und Wellenschlag, Wind, Wetter, Sturm – alles mit den Mitteln des Orchesters. Das ist sagenhaft. Keine wirklichen Töne, eher eine Art schnaufen. Man spürt förmlich, wie sich Wolkenberge auftürmen, wenn die Bässe einsetzen. Für das münsteraner Publikum scheint es allerdings noch etwas zu viel, auch weil die Streicher sich fast ganz bedeckt halten. Dass sie auch ganz anders können, beweisen sie später bei Tschaikowsky.
Aber zunächst kommt ein „Wunderkind“, der Cellist Daniel Müller-Schott, der den Abend unvergessen macht, obwohl er ja hier kein Unbekannter ist. Aber in welcher Art und Weise er die Saiten seines Cellos spielt und zupft, wie schnell er dabei ist und wie schön sein Wechselspiel mit der Trompete, die in kurzen Stößen antwortet. Wie flehend, emotional und lyrisch, das ist einfach beeindruckend. Aber eine Beschreibung sind nur Worte – man muss die Musik hören und die Dynamik erleben.
Nach der Pause läuft alles wieder in gewohnten Hörkanälen. Man könnte auch ein kleines Nickerchen machen, wenn das Orchester nicht ständig das Tempo wechseln würde. Insgesamt aber ein lohnendes Konzert, das heute und Sonntag wiederholt wird.
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