Am Drubbel im Schatten von St. Lamberti in aller Ruhe einen Cappuccino trinken, was gibt es Schöneres nach einem Einkaufsbummel in der City? Möglich macht das Mehmet Sarıpınar mit seinem Café „Flotte Bohne“. Aus einfachen Verhältnissen kommend, hat sich der Gastronom den Weg dorthin konsequent erarbeitet. Doch nicht jeder scheint dem 41-Jährigen mit türkischen Wurzeln diesen Erfolg zu gönnen. Rassismus in Münster? Ja, den gibt es.
Seit Ende 2019 ist der acht Quadratmeter kleine Kaffee-Kosmos am Drubbel ein Fixstern für die Liebhaber guten Kaffees. Die Gäste an den kleinen Tischen lieben es, beim Espresso oder Latte Macchiato dem innerstädtischen Treiben zuzuschauen, sich zu unterhalten und, ja, gesehen zu werden. Und sie lieben den Chef und sein Team. Alles könnte also gemütlich und friedlich sein – Mit dem Frieden ist das aber so eine Sache, wenn einige Kunden des Nachbargeschäfts andere Pläne haben. Denn auch wenn Münster sich lieber anders sieht, selbst zwischen Prinzipalmarkt und Überwasserkirche gibt es Rassismus.
Angefangen hat alles im August vergangenen Jahres, als zwei Stammkunden des benachbarten Geschäftes sich nicht mehr damit begnügten, sich von der „Flotten Bohne“ leckeren Cappuccino bringen zu lassen und dabei Zigarren zu rauchen. Übergriffiges, provozierendes Verhalten und sexistische Sprüche gegenüber den Mitarbeiterinnen des Cafés waren mehr und mehr an der Tagesordnung, wie eine Mitarbeiterin berichtet. „Als ich den Hund des einen der beiden Gäste streichelte, meinte dieser, dass er auch gerne mal so gestreichelt werden würde“, übergriffige Sprüche wie diese sorgten innerhalb des weiblichen Teams für ein wachsendes Gefühl des Unwohlseins. „Ich empfinde vor allem eine der beiden Personen als sehr bedrohlich und unangenehm. Ich habe das Gefühl, dass der Mann Aggressionsprobleme hat“, wie eine Mitarbeiterin, die anonym bleiben möchte, schildert. Haben Kundinnen solche verbalen Übergriffe mitbekommen, stellten sie sich mitunter zu den Mitarbeiterinnen in den Gang, um sie zu schützen.
„Grenzüberschreitendes Verhalten wird hier nicht geduldet!“
Dem Gastronomen ging das deutlich zu weit: „Ich habe eine Fürsorgepflicht gegenüber meinem Team. Grenzüberschreitendes Verhalten wird hier nicht geduldet“, stellt Mehmet Sarıpınar klar. Das sah auch der Hausverwalter so und erteilte Hausverbot gegen Peter W.*. Die Rückmeldung kam prompt, zum Sexismus gesellte sich nun offener Rassismus: „Türke, willst Du über unsere deutschen Frauen bestimmen? Geh mal lieber richtig arbeiten!“ oder „Ich will den Türken schwitzen sehen“ schildern sowohl der Chef als auch eine Mitarbeiterin der „Flotten Bohne“ zwei von vielen verbalen Angriffen.
Äußerungen wie „Unsere Kameradschaft wird sich schon um Dich kümmern“ skizzierten dann die nächste Eskalationsstufe, auch zu Handgreiflichkeiten kam es laut Sarıpınar, als ihm Peter W. das Handy aus der Hand schlagen wollte. Der zweite Gast, Frank D.*, rempelte Mehmet Sarıpınar immer wieder im Vorübergehen an. Polizisten, die bei der „Flotten Bohne“ gelegentlich Kaffee trinken, rieten dem Gastronomen, Anzeige zu erstatten. Seither sind mehrere Anzeigen bei der Polizei eingegangen, die Durchwahl zur Innenstadtwache hat Sarıpınar immer griffbereit. Doch das störte Peter W. wenig, mit Provokationen wie dem Herumstehen und Rauchen von Zigarren zwischen den Tischen der Gäste setzte der seine Übergriffe unbeirrt fort. Neben rein rassistischen Motiven vermutet eine der betroffenen Mitarbeiterinnen ein weiteres: „Es könnte auch eine Mischung aus Rassismus und Klassismus sein, dass sie sich für etwas Besseres halten und frustriert oder sauer darüber sind, dass ein Ausländer gutes Geld verdient“.
Vermittlungsversuche von Angehörigen der Partei Volt, die ihr Büro im selben Gebäude haben, scheiterten ebenso, wie die durch Mehmet Sarıpınars Anwältin. Auch der Besitzer des Nachbargeschäfts hält sich bedeckt und lässt die Beiden gewähren. Zwischen beiden Geschäften stellt eine rote Kordel an besucherintensiven Tagen inzwischen die Grenze dar, die nach Angaben von Mehmet Sarıpınar auch zwischendurch zu seinen Ungunsten verschoben wurde. Der Hund von Frank D. wurde immer wieder so positioniert, dass dessen Schwanz über die Kordelgrenze hinweg auf dem Boden des sehr engen Außenbereichs der „Flotten Bohne“ lag. Die Mitarbeiterinnen waren dadurch gezwungen, um den Schwanz herumzugehen, um nicht zu stolpern oder den Hund zu verletzen. „So ein Kindergartenkrams“, bewertet eine Mitarbeiterin der „Flotten Bohne“ diese Aktionen.
Die Situation eskaliert
Doch die Eskalation setzte sich fort und wurde mit dem Begriff Kindergartenkrams nicht mehr hinreichend beschrieben. Über das Nachbargeschäft gelangt man in das gemeinsame Treppenhaus. Sarıpınar und seine Mitarbeiterinnen müssen das Treppenhaus nutzen, um in das Lager des Cafés zu kommen. Hier kam es einige Male zu Begegnungen, die der Gastronom als bedrohlich empfand. Die Übergriffe beschränkten sich nach Schilderung von Mehmet Sarıpınar irgendwann nicht mehr auf das geschäftliche Umfeld. So wurde er von Peter W. und Frank D. bis nach Hause verfolgt, beide standen vor seiner Haustür.
Beim Golfclub, in dem der Gastronom seit einiger Zeit Mitglied ist, soll ein angebliches Kündigungsschreiben eingegangen sein. Dem Clubvorstand kam diese Kündigung seltsam vor, zumal Sarıpınars hinterlegte Unterschrift vollkommen anders aussieht, als die unter dem Brief. Auch wenn der Golfclub den Vorfall aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht bestätigt, ähnelt dieses Vorgehen bekannten Fällen aus der rechten Szene. „Es ist seit einiger Zeit Strategie der extremen Rechten, Gastronomen mit Migrationsgeschichte unter Druck zu setzen und ihnen das Leben schwer zu machen, damit sie aus dem Stadtbild verschwinden“, weiß Carsten Peters vom Bündnis „Keinen Meter den Nazis Münster“. Das würden auch Mitstreiter aus anderen Städten berichten. Auch in Münster gab es einen solchen Fall, als Anfang des Jahres auf Online-Bestellungen bei der Pizzeria Torino rassistische Kommentare zu finden waren.
Da seitens der Polizei auch bei den Angriffen gegen den Betreiber der „Flotten Bohne“ ein rassistischer Hintergrund vermutet wurde, war zwischenzeitig sogar der Staatsschutz involviert, wie Sarıpınar berichtet. Der Gastronom hat insgesamt drei Anzeigen gegen Peter W. erstattet. Die Vorwürfe lauten unter anderem auf Bedrohung, Beleidigung und Körperverletzung. Der Mann sei polizeibekannt, heißt es auf Anfrage unserer Redaktion aus dem Polizeipräsidium Münster. Was das genau bedeutet, könne man „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ nicht sagen. Die Beamten hatten eine Gefährderansprache durchgeführt und ein Bereichsbetretungsverbot, eine Maßnahme der Gefahrenabwehr aus dem Polizeigesetz, ausgesprochen. Dieses gilt seit dem 18. Oktober und bezieht sich auf den Drubbel, eingegrenzt durch den Roggenmarkt, Alter Steinweg/Alter Fischmarkt, Prinzipalmarkt und Domgasse. Die Dauer beträgt drei Monate, endet also Ende Januar kommenden Jahres.
Hiergegen hatte Peter W. beim zuständigen Verwaltungsgericht in Münster einen Eilantrag eingereicht, bekam aber eine Absage. Das Gericht gehe vor dem Hintergrund des Inhalts der Strafanzeigen und der engen zeitlichen Abfolge, in der der Antragsteller zuletzt polizeilich in Erscheinung getreten sei, davon aus, „dass es bei einem Aufenthalt des Antragstellers im streitgegenständlichen Bereich derzeit zu weiteren strafbaren Handlungen des Antragstellers kommen wird.“ Bereits vor einigen Jahren wurden dem Beschuldigten beziehungsweise Mitarbeitenden seiner Firma, die in einer damaligen Flüchtlingsunterkunft eingesetzt war, fremdenfeindliche Taten vorgeworfen. Hier soll es Zeugen zufolge zu Menschenrechtsverletzungen gekommen sein. Ein entsprechendes Ermittlungsverfahren hatte die Staatsanwaltschaft Münster ein halbes Jahr später eingestellt. „Bei den durchgeführten Ermittlungen konnten keine konkreten Feststellungen zu eventuell strafrechtlich relevanten Handlungen (…) und zu möglichen Beteiligten getroffen werden“, teilte Oberstaatsanwalt Martin Botzenhardt auf Anfrage von ALLES MÜNSTER mit.
Breite Solidarität
Inzwischen zog die Geschichte immer weitere Kreise. Von türkischen Mitbürgern über die Sache informiert, wurde der türkische Generalkonsul Arif Hakan Yeter auf den Fall aufmerksam, er bat Mehmet Sarıpınar zum Gespräch in sein Büro. „Es geht dabei um die türkische Gesellschaft, das geht uns alle an“, bekräftigt Yeter die Tragweite des Falls. Dass der Staatsschutz aktiv wurde und sowohl zunächst ein Hausverbot und später das Bereichsbetretungsverbot ausgesprochen wurden, bewertet Yeter als deutlichen Hinweis darauf, dass die Behörden die Sache sehr ernst nehmen. Dies haben ihm sowohl die Polizeipräsidentin, als auch hochrangige Vertreterinnen und Vertreter der Stadt bestätigt. „Die Rechtsradikalität hat in der Gesellschaft zugenommen, dadurch ist auch die Sorge unter den türkischen Landsleuten gewachsen. Es ist mir sehr wichtig festzuhalten, dass wir hinter Mehmet Sarıpınar stehen, er ist nicht allein!“ Das machen auch andere Bürgerinnen und Bürger Münsters deutlich, so postete Ordnungsdezernent Wolfgang Heuer am 14. Dezember in seinem Facebook-Profil die Pressemitteilung zur gerichtlichen Bestätigung des Bereichsbetretungsverbots.
Seit das Bereichsbetretungsverbot ausgesprochen wurde, ist zwar wieder Ruhe in der „Flotten Bohne“ eingekehrt, aber in den Kaffeeduft am Drubbel mischt sich die Sorge, dass es nach Ablauf des Bereichsbetretungsverbots weitergeht mit den Übergriffen. Dafür spricht, dass Frank D. laut Sarıpınar gesagt haben soll, dass es sich hierbei „nur um eine Pause“ handeln würde. „Spätestens nach Ende des Annäherungsverbots geht der Zirkus wieder los“, sind sich Mehmet Sarıpınar und seine Mitarbeiterinnen sicher. Der Gastronom hat durch den Fall viel von seinem Optimismus und seiner Fröhlichkeit verloren, zu nahe gehen ihm die Vorfälle, die gegen ihn und seine Mitarbeiterinnen gerichtet waren. Ein großer Halt ist die Welle der Solidarität, die ihm in Münster von allen Seiten begegnet. „Sollte Mehmet Sarıpınar aufgeben, wäre das auch für Münster ein schlechtes Signal“, findet vermutlich nicht nur der türkische Generalkonsul.
* Alle in diesem Bericht anonymisierten Personen sind der Redaktion namentlich bekannt. Peter W. hat auf unsere Anfrage, sich zu den Vorwürfen zu äußern, nicht reagiert.
Wir danken Kerim Kocakoç für seine Unterstützung bei der Recherche.
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