Skulpturen auf Abwegen vertagt – verzogen – verschwunden

Der "Rote Lack" vor dem damaligen Museum für Lackkunst. Wo ist er geblieben? (Foto: Bührke)
Der „Rote Lack“ vor dem damaligen Museum für Lackkunst. Wo ist er geblieben? (Foto: Bührke)

Skulpturen haben spätestens seit den ersten Skulptur Projekten 1977 in Münster einen festen Platz im öffentlichen Raum. Manche Objekte wie die Giant Pool Balls von Claes Oldenburg am Aasee wurden sogar zum Wahrzeichen der Stadt. Zum Charakter der alle zehn Jahre stattfindenden Kunstschau gehört, dass ein Großteil der Skulpturen nach Ende der Aktion wieder abgebaut wird. Ab und zu verschwinden allerdings Skulpturen auch mehr oder weniger sang- und klanglos aus dem Stadtbild. Manchmal gewollt, manchmal nicht. Wo ist der rote Lack vor dem ehemaligen Museum für Lackkunst geblieben? Wann kommt „Square Depression“ zurück? Wir sind auf Spurensuche gegangen.

In der Warteschleife

Wo bis 2020 die Skulptur "Square Depression" stand (l.), entsteht heute der Neubau der Physikalischen Institute. (Fotos: Bührke)
Wo bis 2020 die Skulptur „Square Depression“ stand (l.), entsteht heute der Neubau der Physikalischen Institute. (Fotos: Bührke)

Der spektakulärste Verlust dürfte die Skulptur „Square Depression“ von Bruce Nauman sein, die nicht nur durch ihre beeindruckenden Ausmaße, sondern auch durch ihre Geschichte herausragt. Die 25 mal 25 Meter große, quadratische Betonskulptur sollte ursprünglich schon 1977 entstehen, also in dem Jahr, in dem auch die Kugeln am Aasee aufgestellt wurden. Aus unterschiedlichen Gründen war es dann aber erst zu den Skulptur Projekten 2007 so weit. 2020 war es dann schon wieder vorbei mit der umgekehrten Pyramide: Abrissbagger rückten an, um Platz für das neue Physikalische Institut zu schaffen. In Absprache mit dem Künstler sollte ein Neubau entstehen, zu dem es bis heute jedoch nicht kam. „Die Universität baut das Areal rund um den alten Standort großflächig um – gemeinsam mit dem Künstler suchen wir einen geeigneten Ort für eine Neuinstallation“, wie der Sprecher der Uni Münster, Norbert Robers, ausführt. Allerdings gestalte sich dies nicht einfach, bestimmte Parameter bezüglich des Untergrundes, der Fläche und der Umgebung müssen erfüllt sein. „Mittlerweile haben wir mehrere Standorte ins Auge gefasst, die Prüfungen laufen“.

Fachgerecht abgebaut und sicher eingelagert: Unsettling the fragments von Martha Rosler. (Fotos: Hanna Neander (r.). Hubertus Huvermann (l.), beide LWL)
Fachgerecht abgebaut und sicher eingelagert: Unsettling the fragments von Martha Rosler. (Fotos: Hanna Neander (r.). Hubertus Huvermann (l.), beide LWL)

Abgebaut aber nicht abgerissen wurde die Arbeit „Unsettling the Fragments (Eagle)“ der Künstlerin Martha Rosler an der Rothenburg beim Eingang zu den Arkaden. Der Abguss eines Adlers der Fassade des Luftwaffentransportkommandos der Bundeswehr musste kürzlich weichen, weil das Gebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite renoviert wird und auf diese Weise Platz für den Kran geschaffen werden sollte. Das Militärgebäude, von dessen Fassade der Abguss stammt, entstand zur Zeit des Nationalsozialismus. Der Adler thronte ursprünglich auf einem Hakenkreuz, das nach dem Krieg herausgeschlagen wurde. „Mit Blick auf die mahnenden inhaltlichen Bezüge zur Zeit des Nationalsozialismus sollte das Werk nicht für längere Zeit verschwinden, denn Martha Rosler weist mit diesem Objekt auf Widersprüche im heutigen Stadtbild sowie auf unsere Haltung zur Stadt und ihrer Geschichte hin“, betont Dr. Marianne Wagner, Kuratorin für Gegenwartskunst am LWL-Museum für Kunst und Kultur. Spätestens zu den Skulptur Projekten 2027 soll das Werk wieder am alten Platz sein.

Ein ähnliches Schicksal ereilte das Objekt „Jökulsárlón“ aus der Reihe „Moon in Alabama“ von Tobias Rehberger. Der künstlerisch gestaltete Schaltschrank an der Ecke Urbanstraße und Achtermannstraße gehört zu insgesamt elf Skulpturen, deren Leuchtkugeln immer dann erstrahlen, wenn am jeweiligen Ort auf der Welt der Mond aufgeht. Bei Jökulsárlón handelt es sich um einen malerischen See auf Island – malerischer zumindest als das Bahnhofsumfeld, in dem die Objekte stehen. Initiiert und finanziert wurden die Arbeiten von der Immobilien- und Standortgemeinschaft (ISG) Bahnhofviertel Münster. Deren Vorsitzende Uta Deutschländer bestätigt die Demontage: „Das Kunstobjekt musste abgebaut werden, als dort eine Baustelle eingerichtet wurde. Es ist fachgerecht eingelagert und soll nach Beendigung der Baustelle wieder aufgestellt werden. Natürlich ist es dann entsprechend gereinigt und überarbeitet.“ Auf dem Gelände errichtet der LWL aktuell Bürogebäude.

Links die Skulptur Jökulsárlón aus der Reihe "Moon in Alabama". Rechts die Großbaustelle, selbst der Verteilerkasten ist weg. (Fotos: Bührke)
Links die Skulptur Jökulsárlón aus der Reihe „Moon in Alabama“. Rechts die Großbaustelle, selbst der Verteilerkasten ist weg. (Fotos: Bührke)

[Unbekannt] verzogen

Wieder an Ort und Stelle, die Skulptur "Remembrance of Annette". (Fotos: Bührke)
Wieder an Ort und Stelle, die Skulptur „Remembrance of Annette“. (Fotos: Bührke)

An einem Baum auf dem Überwasser-Friedhof hängt in unmittelbarer Nähe zum beeindruckenden Grab von Ludwig Roth von Schreckenstein in einiger Höhe eine Steintafel mit dem Spruch von Annette von Droste Hülshoff „Meine Lieder werden leben, wenn ich längst entschwand“. Doch nicht nur die Dichterin, auch das Objekt „A Remembrance of Annette [Eine Erinnerung an Annette]“ von Ian Hamilton Finlay entschwand kurz nachdem es für die Skulptur Projekte 1987 installiert wurde. Fünf Jahre später tauchte es rund 700 Meter vom Tatort entfernt in einem Garten wieder auf. Die Zeit hatte das Kunstobjekt dort von der Öffentlichkeit unbemerkt verbracht. Die Gartenbesitzerin dachte, dass es sich um einen Grabstein handeln würde, der – wie auch immer – in ihren Garten geraten sei.

Das neue Datum wird unter dem Applaus des Publikums montiert. (Foto: Bührke)
Das neue Datum wird unter dem Applaus des Publikums montiert. (Foto: Bührke)

Zu den skurrilsten Kunstobjekten Münsters dürften die Schilder der Installation „Datum“ von Mark Formanek an einer Wand am Michaelisplatz zählen. Alle vier Jahre wird das Schild unter dem Jubel einer begeisterten Menschenmenge gegen ein neues Schild ausgetauscht. Doch was passiert mit den ausgewechselten Schildern? Nein, entsorgt werden sie glücklicherweise nicht: „Die abgehängten Schilder werden im Kulturamt gelagert, da dieses ebenso wie für die übrigen Werke im öffentlichen Raum, die sich im Besitz der Stadt Münster befinden, für das Werk verantwortlich ist“, wie die Leiterin der Kunsthalle Münster, Merle Radke, erklärt. Was passiert mit den Schildern, wenn die Aktion 2040 abläuft und das letzte Schild abgehängt wird? „Bislang gibt es noch keine Planungen, was mit den Schildern passieren wird, da wir ja noch ein wenig Zeit haben. Klar ist jedoch, dass sie als ein Konvolut zusammengehalten werden und mit dem Dokumentationsmaterial und allen Informationen zum Werk archiviert werden. Dies wird in Absprache zwischen dem Kulturamt, dem Stadtmuseum und dem Stadtarchiv sowie unter Einbeziehung des Künstlers erfolgen.“

Futsch

Das Objekt "Roter Lack" war ein beliebtes Fotomotiv. (Fotos: Bührke)
Das Objekt „Roter Lack“ war ein beliebtes Fotomotiv. (Fotos: Bührke)

Als Anfang Februar vergangenen Jahres das Museum für Lackkunst seine Tore für immer geschlossen hat, wechselten rund 1.250 Lackkunstobjekte aus Südostasien, Südkorea, Japan, China und der islamischen Welt ihren Standort, heute sind sie Teil der Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur. Doch nicht nur diese einzigartige Sammlung ist umgezogen, auch die auffällige rote Fläche, die wie herabfließender Lack auf der Außentreppe zur Windthorststraße montiert war, wurde anderthalb Monate später entfernt. Die Arbeit des Künstlers Christian Ring war seit 2015 ein echter Eyecatcher auf dem Weg vom Bahnhof in die Innenstadt. Wo ist der rote Lack abgeblieben und kommt er wieder zurück? Claudia Miklis, Pressesprecherin des LWL-Museums für Kunst und Kultur, klärt auf: “Das Objekt wurde abgebaut, weil die BASF das Museum für Lackkunst aufgegeben hat und die Sammlung in das LWL-Museum für Kunst und Kultur integriert wurde. Das Objekt existiert nicht mehr.“ Ein Wiederaufbau an alter oder neuer Stelle kam nicht in Betracht: “Das ist nicht geplant, weil das Museum aufgegeben wurde. Das Objekt wurde eigens für das Museum an der Windthorststraße hergestellt. Eine andere Nutzung war nicht geplant.“

Der Ast aus Bronze von Guiseppe Penone. (Fotos: LWL / Skulptur Projekte Archiv, Studio Penone (o.) und Bührke)
Der Ast aus Bronze von Guiseppe Penone. (Fotos: LWL / Skulptur Projekte Archiv, Studio Penone (o.) und Bührke)

Ebenfalls endgültig verloren dürfte die Skulptur „Progetto Pozzo di Münster [Fountain Project for Münster]“ von Giuseppe Penone sein. Der italienische Künstler hat die Skulptur, die aus der Entfernung wie ein auf dem Boden liegender Ast aussah, für die Skulptur Projekte 1987 entworfen. Das rund eine Tonne schwere Bronzeobjekt wurde Anfang März 2022 gestohlen und ist trotz polizeilicher Fahndung nie wieder aufgetaucht. Ende 2022 wurde dann zurückgebaut, was noch am Ort verblieben war, ein Wasserablauf in Form eines Gullis zum Beispiel. Heute erinnert nichts mehr an das gestohlene Kunstobjekt. Die Vermutung liegt nahe, dass die Skulptur von Metalldieben gestohlen und eingeschmolzen wurde. Dr. Marianne Wagner, Kuratorin des LWL-Museums für Kunst und Kultur, bedauerte damals in einem ALLES MÜNSTER Interview den Diebstahl: „Für die öffentliche Sammlung an Werken der Skulptur Projekte im Stadtraum ist das wirklich ein sehr großer Verlust.“

Wohl für immer entflogen: Die drei Reiher. (Fotos: Stadt Münster (l.), Bührke)
Wohl für immer entflogen: Die drei Reiher. (Fotos: Stadt Münster (l.), Bührke)

Ein ähnliches Schicksal dürfte die Skulptur „Drei Reiher“ von Arnold Schlick ereilt haben. Die 1953 vor der Adolph Kolping Schule an der Promenade aufgestellte Skulptur wurde vermutlich in der Nacht vom 18. auf den 19. Mai 2013 gestohlen. Hier scheint die Hoffnung auf eine Rückkehr der drei entflogenen Federtiere trotz der langen Zeit noch nicht ganz aufgegeben worden zu sein, zumindest steht der Betonsockel bis heute am alten Ort. Von Schlick stammen mehrere Objekte, die Münster durchaus geprägt haben, so der „Berliner Bär“ in Bahnhofsnähe oder auch die „Altum Säule“ an der Promenade. Arnold Schlick war Mitglied der einflusreichen münsterschen Künstlergruppe „Schanze“.

Auch die einzige Skulptur Münsters, die unmittelbar an den Westfälischen Frieden erinnerte, existiert heute nicht mehr. Das Friedensdenkmal von Wilhelm Bolte wurde am 1. Juli 1905 eingeweiht, es stand an der Promenade auf Höhe des Kanonengrabens. Seine Metallanteile fielen 1942 einer besonderen Art von Metalldieben in die Hände, den Nationalsozialisten, die aus dem Material vieler öffentlicher Denkmäler, Glocken und anderer Metallobjekte Waffen schmieden ließen.

Auf dieser historischen Po9stkarte ist das Friedensdenkmal von Wilhelm Bolte zu sehen. (Quelle: Presseamt Münster)
Auf dieser historischen Postkarte ist das Friedensdenkmal an der Promenade von Wilhelm Bolte zu sehen. (Quelle: Presseamt Münster)

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