In der neuen Show „ALIVE“, welche am Freitagabend am GOP Varieté Theater Münster ihre erfolgreiche Premiere feierte, stellt sich die philosophische Frage „Wann hat man sich das letzte Mal so richtig lebendig gefühlt?“ Um dies zu beantworten, hilft bei den meisten wohl ein Rückblick in ihre Kindheit. Unser jüngeres Selbst begegnete schwierigen Situationen und negativen Emotionen mit mehr Leichtigkeit, nicht wahr? Zumindest für einen Abend darf das Publikum noch einmal diesen spielerischen Umgang mit den Aufgaben des Lebens nachempfinden.
Regie führte Robin Witt, der selbst jahrelang Artist am GOP gewesen ist. Über sein Regie-Debut sagt er: „Wir hatten wahnsinnig viel Glück bei der Produktion“. Zuständig für das Bühnenbild war Sebastian Drozdz, der die Zuschauer*innen mit der ersten Kulisse des Abends dorthin entführt, wo die Welt noch in Ordnung ist: auf den Spielplatz. Man sieht spielende und raufende Kinder. Elektronische Musik begleitet das energiegeladene Treiben, welches vor unseren Augen die Metamorphose zum stressigen und sichtbar freudlosen Erwachsensein durchlebt. Männer und Frauen, zum Teil mit Aktentasche, eilen getrieben und auf ihre Uhr blickend quer über die Bühne.
Mittendrin steht ein Mann, der vergeblich versucht, einen der Passanten anzusprechen. In all der Hektik werden seine Kontaktversuche nicht erwidert und er bleibt traurig und allein zurück… bis er doch noch erfreut Spielkameraden entdeckt: das Publikum.
Wer vorne sitzt, wird Teil der Show
Der US-amerikanische Jeff Hess ist ein Meister der Physical Comedy und weitaus mehr als ein „Pausenclown“. Neben einem beeindruckenden Repertoire an Grimassen beherrscht er außerdem die Kunst, Personen aus dem Publikum auf eine urkomische Weise in seine Show einzubinden. Mit einem Toupet bedeckt wird ein junger Mann aus der zweiten Reihe kurzerhand zum Mitfahrer auf Jeffs imaginärem Motorrad berufen. Für absolute Begeisterung sorgen Jeff und sein (un)freiwilliger Co-Artist Lorenz, der zu einer Tischtennispartie herausgefordert wird. Allerdings mit einem imaginären Ball – und in Zeitlupe. Zu dem bekannten Lied „Chariots of fire“ von Vangelis bewegen sich die beiden Männer in rekordverdächtiger Slow Motion.
Deutlich schneller bewegt sich der nachfolgende Act Shu Takada. Der sechsfache Jojo-Weltmeister ist extra aus Japan eingeflogen, um die Show mit einer Darbietung zu bereichern, die das GOP so noch nicht erlebt hat: Im Takt der Musik und wahnsinnig schnell schwingt er die Jojos um sich herum und das sogar noch, während er Breakdance tanzt und Salti schlägt.
Eine in der Show immer wiederkehrende Szene ist die eines jungen Mannes, der vergeblich versucht, die Aufmerksamkeit des arroganten Mädchens zu erlangen, das ganz und gar in ihre Bücher versunken ist. Verkörpert wird die Rolle des hartnäckigen Verehrers von dem Österreicher Christoph Muchsel, der mit seiner ursprünglichen Passion, der Chinesischen Kampfkunst, bereits diverse Meistertitel gewonnen hat. Seine beeindruckende Körperbeherrschung nutzt er nun für die Handstand-Akrobatik.
Ruhigere Töne schlägt die diplomierte Schauspielerin und Musicaltänzerin Sarah Stachowicz mit ihrer Darbietung am Spinning Pole an. Als habe sie nie etwas anderes getan, windet sie sich zu entspannenden Klavierklängen um die Stange. Aus dieser Traumsequenz wurde man allerdings durch eng getakteten Beifall für ihre verschiedenen Figuren gerissen.
Nichts für schwache Nerven
Man hätte ohnehin nicht lange in dieser Seifenblase verharren können, da der folgende Act nicht nur seinen eigenen, sondern auch den Puls der Zuschauer*innen erhöht. Das Rollschuhakrobatik-Trio „Skating Nistorov“ erzeugt in ihren Umdrehungen eine solche Zentrifugalkraft, dass man nur hofft, dass ihre Hände sich fest genug greifen. Als der sich drehende Artist eine seiner beiden Kolleginnen in wellenartigen Bewegungen um sich schleudert, schwebt ihr Kopf augenscheinlich nur knapp über dem Bühnenboden. Einige aus dem Publikum schlagen ihre Hände über den Kopf bei diesem Anblick.
Etwas weiter weg vom Boden bewegt sich der nächste Act, das Trio Faludy aus Ungarn. Als jüngste Generation verschiedener Artistenfamilien performen Letícia Anna Losonczi, Artúr Salem Hema und Bálint Kis einen sogenannten „Teeterboard-Act“. Dem deutschen Namen für dieses Gerät, nämlich „Schleuderbrett“ machen die drei alle Ehre. Mit ihren eleganten Anzügen und Charleston-Musik erinnern sie etwas an eine Bar in den 20ern. Nur, dass eben eine junge Frau durch die Lüfte katapultiert wird.
Eine gemischte Tüte Unterhaltung
Für die nächste Performance geht es wieder zurück auf den Boden – der physikalischen Tatsachen. Als Professor demonstriert Sebastian Berger die Ergebnisse seiner wissenschaftlichen Forschung, indem er mit Stäben und Bällen das physikalisch Unmögliche möglich macht. Eine Art Objektmanipulation, die das GOP so noch nie gezeigt hat.
Dass Mia Ferreira nicht nur Bücher lesen und ihren Verehrer abblitzen lassen kann, beweist sie in ihrer Performance am Washington-Trapez. Schlangenartige Körperfiguren in schwindelerregender Höhe. Untermalt wird das Ganze mit psychedelisch angehauchter elektronischer Musik.
Die letzte Szene der Show greift erneut das hektische Treiben vom Anfang auf. Doch diesmal lassen sich die Menschen aus ihrem Alltagsstress herausholen, um gemeinsam den Abendhimmel zu bestaunen. Wie in einem Märchen greift die Gruppe nach den Sternen und wirft sie dem Publikum zu. Und unser inneres Kind freut sich.
Die Vorführung läuft bis zum 28. April. Noch mehr Infos zur Show und Karten gibt es unter www.variete.de/muenster
In einer früheren Version des Textes sprachen wir vom Song „Conquest of paradise“ von Vangelis. Es handelt sich allerdings natürlich um „Chariots of fire“. Wir haben es entsprechend geändert.
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