Wie gewohnt eröffnete Münster das Festivaljahr der Jazzmusik. Am Sonntagabend erstmals unter dem Namen „Shortcut“ und nicht mehr als „Jazz Inbetween“, wie der Konzertabend mit drei Acts zwischen dem alle zwei Jahre stattfindenden Internationalen Jazzfestival Münster bisher hieß. Es blieb aber bei einer abwechslungsreichen und internationalen Mischung, diesmal mit der deutsch-skandinavischen Band „Koma Saxo“, dem französischen Duo von Airelle Besson und Lionel Suarez sowie der italienischen Formation „Pipe Dream“ um den amerikanischen Cellisten Hank Roberts.
„Ist jetzt das Kleine dran oder das Große?“ – solche Sätze will Fritz Schmücker immer wieder gehört haben, gemeint war dann natürlich das Internationale Jazzfestival Münster. Genau das habe ihn bewogen, die kurze Unterbrechung der zwei Jahre Wartezeit zwischen den Jazzfestivals im Theater Münster ab sofort umzubenennen. Nun heißt es also nicht mehr „Jazz Inbetween“, was ja immer wie eine Zwischenmahlzeit klang, sondern „Internationales Jazzfestival Münster – Shortcut“. Ähnlich wie den große Bruder hatte Festivalleiter Schmücker auch diese kleine Schwester ausgestattet, daran ließ er keinen Zweifel. Der Schwerpunkt lag also auch an diesem Sonntagabend beim europäischen Jazz. Und wenn auch viele der Musiker irgendwann mal mit anderen Mitstreitern auf dem Jazzfestival Münster aufgetreten waren, versprach Fritz Schmücker den Zuschauern einen Abend voller Deutschlandpremieren.
Lediglich der erste Act, die überwiegend skandinavische Band „Koma Saxo“, ist hierzulande schon mal in dieser Formation aufgetreten. Kein Wunder: sie hat ihren Mittelpunkt in Berlin, wo der schwedische Bassist und Bandleader Frans Petter Eldh seit etwa zehn Jahren lebt. Trotzdem sprach er seine kurzen Zwischenmoderationen stets auf Englisch mit schwedischem Akzent, als könnte er es nicht besser, und wiederholte dabei immer wieder die gleichen Gags. So betonte er mehrmals, dass sein langjähriger Begleiter, der Schlagzeuger Christian Lillinger „from East Germany“ stammt, pries die leckeren Austern von der wunderschönen schwedischen Westküste, wo anscheinend jeder ein Segelboot hat, selbst wenn er inzwischen in Stockholm oder woanders lebt. Eldh muss es wissen, stammt er doch selbst wie sein Kollege, der Saxophonist Otis Sandsjö, aus Göteborg. Dieser bildete mit dem Stockholmer Jonas Kullhammar (ebenfalls am Tenorsaxophon) und dem Finnen Mikko Innanen an Alt-, Sopran- und Baritonsaxophon eine Bläsersektion, die sich (und dem Publikum) kaum eine Atempause gönnte. Fast immer waren mindestens zwei von ihnen gleichzeitig zu hören, aber selten im Gleichklang.
Den kraftvollen Free Jazz der drei Saxophonisten trieben Bassist Eldh und Schlagzeuger Lillinger mit allerlei Breaks und funky Rhythmen voran. Nicht oft wird ein Kontrabass mit so hartem Anschlag gespielt. Nur gelegentlich wurde es ruhig und melodisch, als wollte das Quintett den Zuhören mal eine kurze Verschnaufpause gönnen, bis Sturm und Wellen wieder über das schwankende Segelboot brechen durften. Auf diese Weise verknüpften sie meistens gleich mehrere Lieder aus dem erst vor vier Monaten erschienenen ersten Album „Petter Eldh Presents Koma Saxo“, die skurile Namen tragen, wie „Cyclops Dance“, „Kali Koma“ oder „Slakten Makten Takten“.
Fritz Schmücker folgte bei der Gestaltung des „Shortcuts“ der gewohnten Dramaturgie. Nachdem alle Ohren vom kräftigen und manchmal sogar schmerzhaften Sound von „Koma Saxo“ freigepustet waren, folgte ein deutlich stillerer, geradezu romantisch verträumter Auftritt von dem französischen Duo der Trompeterin Airelle Besson mit dem Akkordeonisten Lionel Suarez. Fast schien es, als würden die fast tausend Zuschauer im Großen Haus des Theater Münster ein intimes Zwiegespräch auf der beiden Musiker auf der Bühne belauschen. Musikalisch ließ es sich selten eindeutig einordnen, denn Einflüsse ganz unterschiedlichen Gattungen waren wahrzunehmen. Ob europäische Folklore oder klassische Romantik oder irgendetwas dazwischen, die beiden machten daraus ohnehin etwas Eigenes. Spürbar waren hin und wieder auch lateinamerikanische Einflüsse, was kaum wundert: Ihr erstes gemeinsames Album haben sie 2018 mit zwei weiteren Begleitern an Cello und Percussion als „Quarteto Gardel“ aufgenommen, benannt also nach dem legendären Tangosänger Carlos Gardel. Zum Teil stammte das Programm am Sonntag davon, wobei die Rhythmusbegleitung erstaunlicherweise gar nicht vermisst wurde, die der eher melodisch orientierte Lionel Suarez am Akkordeon meist nur andeutete. Das passte dann hervorragend zum ausgesprochen klaren und lyrischen Tonfall von Airelle Besson an der Trompete. Und im Gegensatz zu Koma Saxo, wo es oft schien, als würden die Saxophonisten sich immmer wieder gegenseitig ins Wort fallen, meinte man hier einem freundlichen Gespräch zu folgen.
Wenig überraschend hatte Festivalleiter Fritz Schmücker für den Abschluss wieder ein größeres und lauteres Ensemble eingeplant, das Quintett „Pipe Dream“ um den Cellisten Hank Roberts. Der überließ die Conference und oft auch die Solo-Arbeit aber seinem Posaunisten Filippo Vignato, der diesen Freiraum reichlich ausnutzte. Das Programm stammte vor allem aus dem italienischen Debut-Album dieser Formation von 2018 und verband noch mehr unterschiedliche musikalische Einflüsse, als sie am Abend schon zu hören waren. Nun kamen noch Anleihen bei Filmmusik und Exotica hinzu, also Subgenres des Easy Listening, karibische Rhythmen, Folkrock oder mit Funk und Breakbeats typische Sample-Zutaten des Hip Hop – dafür sorgten vor allem Zeno de Rossi am Schlagzeug und Pasquale Mirra am Vibraphon. Mehrmals begann es ganz ruhig mit einem Solo von Giorgio Pacorig am schwarzen Konzertflügel, bis seine Mitstreiter eine Klangfarbe nach der anderen hinzugaben und schließlich ganze Klanggemälde entstanden. Etwas zu häufig war dabei die Farbe zu hören, die der Kopf des Ganzen hinzufügte: Hank Roberts sang, wie er Cello spielte. Oder spielte er es so, wie er sang? Beides verschmolz jedenfalls zu einer Einheit. Nur das Lied „Pictures“, das er schon viel länger in seinem Programm hat, als es diese Formation gibt, sang er mit einem Text.
Damit war dann auch eine kleine Erinnerung an Hank Roberts erstem Auftritt bei einem Jazzfestival Münster verbunden, als er noch zusammen mit dem Rundfunkorchester Köln die Bühne in der Halle Münsterland enterte. Solche großen Acts passen natürlich nicht zur kleinen Ausgabe des Festivals unter dem Namen „Shortcut“ – die Vielfalt war für einen einzelnen Abend auch so schon groß genug. Das Publikum dankte es abermals mit kräftigem Applaus.
Wie es nächstes Jahr weitergeht, wird irgendwann auf der Homepage des Jazzfestivals zu lesen sein. Große Teile der Konzerte vom Sonntag strahlt WDR 3 am 22. Februar von 20:04 bis 22:00 Uhr aus.
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