„Euphorie, Ekstase, Empathie“. Es waren diese 3 „E“-Wörter, die Selig-Sänger Jan Plewka in Zeiten eines egomanisch-narzißtischen US-Präsidenten und einem allgemein weltweit grassierenden Werteverfall derzeit -laut seiner Ansage- sehr am Herzen liegen. Das letzte Deutschland-Konzert der „Kashmir Karma“-Tour führte das Hamburger Quartett am Sonntagabend in den Skaters Palace am Dahlweg: Es geriet zu einem eindrucksvollen Wechselspiel zwischen nostalgischer Reise in die eigene Bandvergangenheit und der lautstarken Beweisführung, dass man sich auch im 23. Jahr des Bestehens das Prädikat, eine unfassbar gute Liveband zu sein, mit Stolz auf die Fahne schreiben kann.
Kurz nach 21:00 Uhr haben sich rund 600 Zuschauer im weiten Rund der Skaterhalle eingefunden, als Selig nach einem esoterisch angehauchtem Intro zu spärlichem Licht die Bühne betreten und mit „Unsterblich“, dem Opener ihres aktuellen siebten Albums, relaxed in ein mehr als zweistündiges Set starten. Mittlerweile zur vierköpfigen Band geschrumpft, kaschieren die Musiker den Wegfall ihres langjährigen Keyboarders Malte Neumann, indem sie eine weitaus härtere Variation des Bandsounds abliefern, in der die Zeichen 2017 unmißverständlich diese eine Ausrichtung haben: ROCK. Es ist ein schöner, weil bunt gemischter Querschnitt durch das Gesamtwerk, „Bruderlos“ gerät zu einer hartmetallischen Version, bei der Christian Neanders Gitarrenfeedbacks erstmalig so richtig zur Geltung kommen.
Klassiker der Marke „Schau, schau“, „Von Ewigkeit zu Ewigkeit“ oder „Ist es wichtig“ wechseln sich ab mit dem neuen, sich nahtlos in das Set einfügenden Material wie „Wintertag“, „DJ“, „Lebenselixier“ oder dem harmonischen „Feuer und Wasser“. Keine Frage – die Band strahlt wieder Enthusiasmus und Spielfreude aus, paart diese wiedergewonnenen Eigenschaften mit grundsolidem Handwerk, viel Herzblut und einem zeitlos relevanten Songmaterial. Der Funke springt mit zunehmender Setdauer mehr und mehr auf das Publikum über und jeder hier im Saal ist froh, heute für dieses „Gemeinschaftserlebnis voller Glückseligkeit“ seinen heimischen PC abgestellt oder die WhatsApp-Schreiberei am Smartphone unterbrochen zu haben. Um eben an diesem physischen Erlebnis eines Rockkonzertes in Münster teilnehmen zu können.
Im letzten Konzertdrittel wühlen die Nordlichter ganz tief in der bandeigenen Kramkiste: Nach dem Versprechen „Wir werden uns wiedersehen“ folgt mit „Das Mädchen auf dem Dach“, „Sie hat geschrien“ und „Wenn ich wollte“ ein Deutschgrunge-70er Jahre-Hippiecharme-Triple der Sonderklasse, bevor die Band die Bühne verläßt. Der Schmachtfetzen „Ohne Dich“ – definitiv eines der wunderbarsten Liebeslieder, die je in deutscher Sprache geschrieben wurden – und der A-Capella-Männergesang „Regenbogenleicht“ beenden einen famosen Konzertabend, der sich poetisch formschön mit 3 Worten zusammenfassen läßt: „Wir waren s(S)elig.“
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