Gut 395.000 Menschen mit Behinderung benötigen bundesweit ambulante oder stationäre Unterstützung beim Wohnen – knapp drei Prozent mehr als im Vorjahr. Bundesweit lebt mehr als die Hälfte von ihnen – 52% – stationär untergebracht in Wohneinrichtungen. In Nordrhein-Westfalen dagegen haben sich die Verhältnisse bereits umgekehrt: Hier leben schon fast sechs von zehn Menschen mit Behinderung dank ambulanter Unterstützung selbstständig in der eigenen Wohnung (59%).
Insgesamt erhalten rund 107.000 Menschen ambulante oder stationäre Wohnunterstützung im Rahmen der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. NRW verzeichnet damit die höchste „Ambulantisierungsquote“ aller Flächenländer in der Bundesrepublik und den dritthöchsten Wert im Bundesvergleich, hinter den Stadtstaaten Hamburg und Berlin mit einer Ambulantisierungsquote von 65 bzw. knapp 70%. Dies sind Ergebnisse der aktuellen Ausgabe 2015 des Kennzahlenvergleichs Eingliederungshilfe, den die Bundesarbeitsgemeinschaft der überörtlichen Träger der Sozialhilfe (BAGüS) jährlich veröffentlicht.
„Seit 2003 fährt der LWL mit Unterstützung der kommunalen Familie und der Freien Wohlfahrtspflege einen ehrgeizigen Kurs unter der Überschrift „ambulant vor stationär“. Dadurch ist es gelungen, viel mehr Menschen mit Behinderung als bisher ein selbstbestimmtes Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen“, so Matthias Münning, Sozialdezernent des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) und Bundesvorsitzender der BAGüS. Zu Beginn des Projektes lebten lediglich 27% der leistungsberechtigten Menschen in der eigenen Wohnung, heute hat sich der Anteil mit 55% in Westfalen-Lippe fast verdoppelt, so Münning weiter. Neben mehr Selbständigkeit für die Betroffenen sei damit eine aktive Kostensteuerung bei den Leistungen für Menschen mit Behinderung verbunden, sagte Münning. Dies trage zur Entlastung der Kommunen im LWL bei: „Die Umsteuerung führt zu reduzierten Gesamtfallkosten bei den Wohnhilfen.“
Einen leichten Fallzahlanstieg verzeichnet der aktuelle Benchmarkingbericht auch bei den Leistungen zur Beschäftigung für Menschen mit Behinderung – neben den Wohnhilfen der zweite große Aufgabenbereich der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung. Knapp 305.000 Frauen und Männer mit Behinderung waren bundesweit in einer Werkstatt für behinderte Menschen beschäftigt oder besuchten eine Tagesförderstätte – knapp ein Prozent mehr als im Jahr zuvor. In NRW lag die Zahl der Werkstattbeschäftigten 2015 bei rund 70.000, in Westfalen-Lippe bei 36.500. Da in NRW die Werkstätten auch für Menschen mit schwerer Behinderung offen sind, gibt es das Angebot der Tagesförderstätten hier nicht.
„Das bundesweite Kennzahlenprojekt zeigt: Mehr Selbstständigkeit und Teilhabe für Menschen mit Behinderung entwickelt sich nicht von allein: Der Prozess braucht aktive, strategische und langfristige Steuerung“, so Münning. „Voraussetzung für die Erfolge in Nordrhein-Westfalen insgesamt bleibt, dass die Landschaftsverbände Leistungen wie aus einer Hand koordinieren und steuern können, auf Basis einheitlicher Standards und einheitlicher Verhandlungen mit den Verbänden der Anbieter von Wohn- und Beschäftigungsmöglichkeiten.“ Damit leisteten die Landschaftsverbände einen wesentlichen Beitrag zur Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse auch für Menschen mit Behinderung in NRW. Dies gelte es in den kommenden Jahren fortzusetzen und unter den Rahmenbedingungen der neuen Bundesgesetzgebung weiter zu entwickeln. Das Ende 2016 vom Bundestag verabschiedete Bundesteilhabegesetz (BTHG) sieht vielfältige Veränderungen in den Leistungen für Menschen mit Behinderung vor. Es tritt in mehreren Stufen 2017, 2018 und 2020 in Kraft.
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