Die Co-Vorsitzende der Bundes-SPD Saskia Esken hielt auf der Maikundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) in der Münsteraner Stubengasse die Hauptrede und hält die Gefahr einer Lohnpreisspirale für „Bullshit“. Unser Autor Christian Szepan schildert hier, was ihm dabei so alles aufgefallen ist.
Esken betonte, dass die Inflation aufgrund höherer Energiepreise angeheizt werde und einige Unternehmen die Krise nutzen würden, um ihre Preise zu erhöhen und hohe Gewinne zu erzielen. Es sei nun an der Zeit, dass die Beschäftigten ihren gerechten Anteil einfordern. Nur kurz streift sie die medial intensiv geführte Diskussion über die Einführung einer Vier-Arbeitstage-Woche, obwohl sie selbst das Thema in einem viel beachteten Zeitungsinterview angestoßen hatte. Sie hat es wirklich getan! Ganz am Anfang ihrer Rede stellt sich Esken vor, damit auch wirklich jeder der rund 400 Teilnehmer der Münsteraner DGB-Maikundgebung weiß, dass jetzt die Co-Vorsitzende der traditionsreichen SPD spricht. In der kommenden Viertelstunde wird sie beschreiben, wie aus ihrer Sicht jetzt und in den letzten 160 Jahren Gewerkschaften und Sozialdemokratie erfolgreich Seite an Seite gekämpft hätten.
Rede ohne lokalen Bezug
„Ungebrochen solidarisch“ lautete bundesweit das Motto der diesjährigen Maikundgebungen des DGB. In Ihrer Rede überstrapazierte Saskia Esken den Begriff der „Solidarität“, indem sie ihn durch fast alle Bereiche der Arbeits-, Sozial-, Gesellschafts- und Friedenspolitik durchdeklinierte. Es gab zahlreiche Kundgebungsteilnehmer, die eine andere Meinung als Esken vertreten. Häufig wurde ihre Stimme bei Zwischenrufen aus dem Publikum übertönt. Besonders laut wurden die verbalen Einwürfe, als Esken die Rolle der Bundesregierung während der aktuellen Tarifauseinandersetzungen und im Ukrainekonflikt beschrieb und unterstützte. Sie steht nicht in dem Ruf, eine gute Rednerin, zu sein. Tapfer hangelt sie sich an dem Manuskript entlang, dem jeder lokale Bezug fehlt. Erst als ein Demonstrant eine Toilettendeko zweckentfremdete und versuchte, eine Klobürste in die Richtung der SPD-Chefin zu werfen, hielt sie mal kurz inne und wies die Störer zurecht.
Forderung nach gerechtem Bildungssystem
Sie beschrieb ihre Vorstellung darüber, wie der Fachkräftemangel zu beseitigen sei. Dazu seien Anstrengungen bei Bildung, Qualifizierung und Erwerbsbeteiligung notwendig. Um mehr Bildung zu ermöglichen, forderte Esken ein gerechtes Bildungssystem, das jedem Kind eine Chance gibt. Auch das Recht auf Ausbildung und Weiterbildung müsse gesetzlich festgeschrieben werden, um Qualifizierung zu fördern und die Berufstätigkeit zu erhalten. Insbesondere Frauen benötigten Unterstützungsleistungen wie eine bessere Kinderbetreuung und familiengerechte Arbeitsplätze. Zudem soll Deutschland als modernes Einwanderungsland attraktiv für Fachkräfte aus dem Ausland werden. Zu diesen Vorschlägen hatte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in der vergangenen Woche zwei Gesetzesentwürfe in den Bundestag eingebracht.
Die meisten Beschäftigten starteten am Dienstag, aufgrund des montäglichen Maifeiertages, in eine Vier-Tage-Woche. Saskia Esken sieht die Chance, dass aus dieser Ausnahme demnächst für viele Arbeitnehmer der Regelfall wird. Sie unterstütze daher die Forderung der IG Metall. Vollzeitarbeit, verteilt auf eine Vier-Tage-Woche, sei geeignet für Familien oder Personen, die sich sozial oder politisch engagieren möchten. Die Möglichkeit, mehr Zeit für die Selbstbestimmung zu haben, sei ein wichtiger Schritt für ein selbstbestimmtes Leben, was wiederum Grundlage für Veränderung und Solidarität sei.
Notwendigkeit einer neuen Gewerkschaftsbewegung
Eine Auszubildende des Universitätsklinikums Münster (UKM) zeigte anschließend, wie man das Publikum schnell für sich gewinnen kann. In ihrer Rede beschrieb Rieke Wens kurz die 77-tägige Tarifauseinandersetzung vor Ort und betonte dabei die Bedeutung der Vernetzung von ihrer Kolleg*innen sowie die Notwendigkeit einer neuen Gewerkschaftsbewegung, die sich für bessere Arbeitsbedingungen, höhere Löhne und mehr Wertschätzung einsetzt. Wens forderte eine feministische, antirassistische und antifaschistische Ausrichtung der Gewerkschaft. Zusammen mit den anderen Beschäftigten des UKM sei sie bereit, jeden Tag für ihre Rechte zu kämpfen und so das Gesundheitssystem auch für die Patientenversorgung zu verbessern.
Im Gespräch mit ALLES MÜNSTER äußerte sich Pia Dilling, die Stadtverbandsvorsitzende des DGB Münster, abschließend zur Maikundgebung. Sie zeigte sich zufrieden und betonte die Wichtigkeit, bedeutsame bundespolitische Themen auch auf lokaler Ebene zu begleiten. Unterstützend würde sich im Einzelfall der Stadtverband an die richtigen (lokalpolitischen) Stellen wenden.
Dilling befürworte auch die Idee einer Vier-Tage-Woche für die Beschäftigten in Münster. Sie weist jedoch darauf hin, dass sich die ersten tariflichen Verstöße der Gewerkschaft IG Metall auf die Stahlindustrie beziehen, die in Münster nicht vorhanden ist.
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