Die Verhandlung zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ging am Oberverwaltungsgericht NRW in Münster (OVG) in die dritte Runde. Gastautor Isaak Rose begleitet das Verfahren und kommentiert für uns, was passiert ist.
Anders als an den ersten beiden Tagen zog die Verhandlung nur wenige Besucher*innen zum Aegidiikirchplatz 5, an dem das unscheinbare Gebäude steht. Das OVG hatte das bereits erwartet und verzichtet auf einen Umbau der Empfangshalle und lässt die weiteren Verhandlungstage im einfachen Gerichtssaal 1 stattfinden.
Vorab wurde bekannt, dass die AfD über 400 weitere Beweisanträge stellen wolle. Der Versuch, den Prozess damit in die Länge zu ziehen, ging dieses Mal allerdings nicht auf. Der Vorsitzende Richter entschied sich sofort dazu, die Anträge an späterer Stelle zu behandeln. So kam es dann doch zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Partei.
“Remigration” und “Islamismus”
Seit der Correctiv-Recherche führt jeder Diskurs über die AfD zwangsläufig am Wort der “Remigration” vorbei, also der Deportierung von Millionen von Menschen. Während zahlreiche AfD-Politiker*innen einer Remigration zustimmen, sei damit aber eigentlich etwas ganz anderes gemeint. Um den Begriff harmloser wirken zu lassen, überreicht ein AfD-Vertreter dem Gericht einen kleinen Werbeflyer der Partei mit der Aufschrift “7 Punkte zur Remigration”. Fast so, als sei das Pamphlet für den Einsatz als Beweismittel geschaffen, verweist der Vertreter auf die Passage, in der es heißt, “Verfassungswidrige Forderungen […] stoßen auf unsere entschiedene Ablehnung”. Praktisch, man sagt und schreibt genau das, was gerade noch erlaubt ist.
Eine ähnliche Strategie fährt sie bei der Auseinandersetzung mit dem Islam. Man spreche gar nicht mehr über “den Islam”, sondern immer nur noch vom “Islamismus”. So offen sagen Rechte selten, dass sie harmloser wirken wollen, indem sie einfach die Sprache anpassen. Wenn man weiterhin Muslim*innen meint, sich aber stattdessen dem Begriff “Islamismus” bedient, ändert sich nichts an der eigenen Ideologie. Und das war vor Gericht allen Verfahrensbeteiligten klar: Eine Partei, die gegen Muslim*innen agitiert, ist verfassungsfeindlich. Den Eindruck, den die AfD vor Gericht tunlichst vermeiden will.
Bekannte Gesichter
Fast beiläufig kündigte die AfD an, in einer der kommenden Sitzungen den ehemaligen Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen als Zeugen befragen zu wollen. Bereits an diesem dritten Verhandlungstag waren die Parteifunktionäre Peter Boehringer und Maximilian Krah anwesend. Boehringer sitzt im Parteivorstand und Krah ist Spitzenkandidat für die Europawahl.
Besonders Krah gilt selbst für AfD-Verhältnisse als rechtsextremer Provokateur. Dass ausgerechnet er die Partei vor Gericht entlasten soll, ist Kalkül. Schließlich war er in den vergangenen Sitzungen für den Verfassungsschutz eins der großen Beispiele für Personen in der Partei, die sich immer und immer wieder verfassungsfeindlich äußerten. Vor Gericht aber beteuerte er, dass er sich “ausreichend missverstanden” fühle. Dabei spart er nicht mit Beispielen, die wohl beweisen sollen, dass er kein Rassist sei. Einer seiner Mitarbeiter “ist Chinese” und zudem folgen ihm einige “Deutschtürken auf TikTok”.
Die verwirrenden Aussagen vor Gericht sind aber nicht zu vergleichen mit den menschenverachtenden Postings, die Krah auf seinen Social Media-Accounts hinterlässt. Da hetzt und agitiert er gegen Menschen aus dem “Nahen Osten und Afrika”, die er als “kulturfremde, aggressive Analphabeten” beleidigt. Wenn er im Saal dann sagt “Das Leben ist bunt und es lebe die Vielfalt”, wirkt es fast wie ein Gruß an seine faschistische Anhängerschaft. Denn dazu gehört das Wissen, dass auch der folgende Satz von ihm stammt: “Bunt und vielfältig ist jede Müllhalde. Ich bevorzuge aber durchaus auch mal eine gepflegte hellere Wandfarbe.” Im Gericht findet der Zusammenhang leider keine Erwähnung, wenngleich die Richter immer wieder beteuern, die Aktenlage sehr genau zu kennen.
Fairerweise muss man festhalten, dass die mündliche Verhandlung nur ein kleiner Teil des gesamten Prozesses ist. Das Gericht arbeitet sich seit Monaten durch Aktenberge und wird sich wahrscheinlich nicht von einem unruhigen TikTok-Influencer zu einem anderen Urteil überreden lassen.
Freuen wird das Auftauchen von Krah in Münster außerdem wohl Demoveranstalter*innen aus Buxtehude, die an diesem Freitag gegen Krah und die AfD demonstrieren. Der Agitator musste seinen dort geplanten Redebeitrag vor Ort absagen, um in Münster an einem “für die AfD wichtigen Termin” erscheinen zu können, wie die AfD im Landkreis Stade berichtete.
AfD aus Münster
Trotz der Parteiprominenz im Gebäude ließen sich keine bekannten Gesichter der AfD Münster blicken. Nur Philipp S. tauchte auf und machte es sich unauffällig in den Zuschauerrängen bequem. Bis er dann nach wenigen Sekunden Mitglieder des Protest- und Recherchekollektivs Busters im Publikum sitzen sah, die ihn offenbar ebenfalls erkannten. So schnell wie gekommen, verließ er den Saal daraufhin wieder. Wohl auch, um Artikel wie diesen zu vermeiden. Denn auch wenn die AfD versucht, vor dem Gericht einen bürgerlichen Anschein zu erwecken, trifft die rechtsextreme Partei in der Mehrheitsgesellschaft noch auf Ablehnung, insbesondere in Münster. So dass viele ihre Parteimitgliedschaft und -aktivität (noch) nicht öffentlich machen wollen.
Sicherheitsmaßnahmen
Die Polizei verzichtete dieses Mal auf ein weitläufiges Absperren des Aegidiikirchplatzes, das schon bei den ersten beiden Verhandlungstagen deutlich überzogen war. Stattdessen entschieden sich die Justizbeamt*innen dazu, Besucher*innen in der Sicherheitsschleuse einen Schluck aus ihren mitgebrachten Getränken nehmen zu lassen. Nur um auf Nummer sicher zu gehen, dass keine gefährlichen Substanzen ins Getränk gemischt wurden. Ungewöhnlich, aber sicherlich eine angemessenere Vorsichtsmaßnahme als das Absperren eines großen öffentlichen Platzes, der für viele als Durchgang dient und schwer bewacht Menschen vom Besuch des OVGs abhält. Im Gerichtsaal kam es bislang an keinem der drei langen Verhandlungstage zu Störungen. Der Vorsitzende scherzte, dass trotzdem Zellen vorbereitet wurden, Just in case.
Ausblick
Der nächste Verhandlungstag ist bereits gestartet. Dieses Mal will die AfD wieder versuchen, Parteimitglieder mit Migrationsvorgeschichte vorzuschieben, um ihre Weltoffenheit zu demonstrieren. In Hessen und Thüringen haben sie angekündigt, wen gefunden zu haben, der bereit ist, der rechtsextremen Partei erneut als Feigenblatt zu dienen.
Die Verhandlungen können den ganzen Tag über ab 8:15 Uhr im Saal 1 des OVGs besucht werden. Die Öffentlichkeit ist ausdrücklich eingeladen. Wer weiß, wen die AfD als nächstes nach Münster holt? Nachdem der rechtsextreme Krah belegen sollte, dass die Partei nicht rechtsextrem sei, kommen sie vielleicht noch auf die Idee, Höcke einzuladen, der dann belegen soll, dass die Partei keine Nazipartei sei.
Isaak Rose
Unser Gastautor Isaak Rose, der an den ersten beiden Verhandlungstagen im März (Link) noch als Besucher teilnahm, ist nun für die weiteren Verhandlungstage offiziell beim OVG für uns als Berichterstatter akkreditiert. Er weist darauf hin, dass die Öffentlichkeit ausdrücklich eingeladen ist, die Termine findet ihr in unserem Beitrag https://www.allesmuenster.de/afd-verfahren-geht-in-die-naechste-runde/
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