Die Verhandlung zur Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz am Oberverwaltungsgericht NRW in Münster (OVG) ging am Freitag in die vierte Runde. Unser Gastautor Isaak Rose begleitet das Verfahren und kommentiert für uns, was passiert ist.
Am Freitag stellte der Vorsitzende Richter Gerald Buck treffend fest: “Für alle Beteiligten sind so zwei Tage anstrengend. Ich muss sagen, ich freue mich gleich auf das Wochenende” – und ließ die Sitzung ausnahmsweise einmal nicht bis in den Abend laufen. Trotz der wenigen Stunden sollte es noch einmal spannend werden. Einer der Richter verglich den Verfassungsschutz mit James Bond und die AfD ließ einen verurteilten Polizisten zu Wort kommen.
Die öffentliche Bekanntgabe der Einstufung als Verdachtsfall
“Verdachtsfalls”, “Prüffall”, “erwiesen rechtsextremistisch”. Die Kategorien des Verfassungsschutzes sind alles andere als leicht zu verstehen. Denn schließlich handelt es sich dabei auch zuallererst um Begriffe, die in der internen Arbeit relevant sind. Abhängig von der Kategorie kann sich der Geheimdienst zum Beispiel mit öffentlichen Quellen informieren, danach geht es um den Einsatz “nachrichtendienstlicher Mittel”. Damit sind Observationen, V-Leute und Abhörmaßnahmen gemeint.
In der Verhandlung der AfD ist die Bekanntgabe der Einstufung ein spannender Nebenschauplatz, der besonders für die öffentliche Diskussion um die Aufgaben des Geheimdienstes relevant wird. Wenn die Aufgabe des Verfassungsschutzes der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist, wie es in Artikel 73 des Grundgesetzes heißt, dann gehört dazu wohl auch das Vorbereiten möglicher Verbotsverfahren gegen rechtsextreme Parteien.
Und wenn das die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist, was ermächtigt ihn dann, die Informationen über die interne Arbeit in Pressekonferenzen zu veröffentlichen?
Die Grundlage für die Arbeit des Geheimdienstes ist das Bundesverfassungsschutzgesetz. In dem heißt es in § 16, der “Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit”.
Also alles klar? Ganz so einfach ist es nicht. Auch das Bundesverfassungsgerichtsgesetz muss sich an der Verfassung messen und damit auch das Gericht. Dass das Gericht die Bekanntgabe für verfassungswidrig hält, ist zwar unwahrscheinlich, aber unumstritten ist der Rechtsstreit nicht.
Zur Veranschaulichung des Streits wirft Richter Thomas Jacob einen Vergleich zu James Bond auf: “James Bond macht keine Pressekonferenzen. Sondern M berichtet an den Premierminister und dann war es das.”
Die eigentliche Frage, die sich Demokrat*innen also stellen müssen, deutet sich hier wieder – und das auch unabhängig von der AfD – an: Wollen wir James Bond und ist 007 eine wirkliche Option für einen Rechtsstaat?
Das Gericht will “zuhören”: Zwei Zeugen mit Migrationsvorgeschichte
Wie angekündigt brachte die AfD wieder zwei Mitglieder mit nach Münster, die eine Migrationsvorgeschichte haben. Die haben natürlich erzählt, dass sie keinerlei Diskriminierungserfahrungen in der Partei gemacht haben. Dass war weder überraschend noch erkenntnisgewinnend. Auch auf der Richterbank hat das kaum für Regung gesorgt, wurde sogar vorher noch angekündigt. Man könne sich bereits denken, was die AfD-Mitglieder über ihre eigene Partei sagen werden und brauche das nicht noch extra hören.
Um zu zeigen, dass sie eine Kultur des “Zuhörens” bieten, erlaubte das Gericht die beiden Aussagen trotzdem. Wie die Strategie der AfD in dieser Hinsicht einzuschätzen ist, wurde im Beitrag vom 17. März schon ausführlich beschrieben. Was dann doch überrascht, ist die Auswahl der Personen. Nachdem am Vortag mit Krah noch einer der Chefagitatoren der AfD ins Gericht geschleppt wurde, ging es nun genau so weiter.
Faschismus. Aber normal.
Der erste Zeuge war Alexander Tassis, Gründungsmitglied der AfD aus Brandenburg und ehemals Vorstandsmitglied der mittlerweile aufgelösten rechtsextremen “Patriotischen Plattform”. Auch dem Verfassungsschutz ist Tassis gut bekannt, so tauchte er in einem öffentlich gewordenen Gutachten des Geheimdienstes über die AfD auf. Tassis wird erwähnt, weil er Beiträge von Martin Sellner aus der Identitären Bewegung über Social Media verbreitete. Genau der Martin Sellner, der in jüngster Vergangenheit Schlagzeilen durch seine Deportationspläne machte.
Als zweiter Zeuge berichtet Torsten Czuppon aus Thüringen. Der ehemalige Polizist, der wegen der Verfolgung Unschuldiger eine Strafe von 30.000 Euro zahlen musste und damit künftig als vorbestraft gilt, erzählte, dass er sich in der AfD wohl fühle. Wovon er nicht erzählte, was aber für den Verfassungsschutz sicherlich interessanter wäre, war das Teilen von Artikeln auf Social Media, in denen vom “vergessenen Völkermord der Alliierten an den Deutschen” geschrieben wird. Der Geschichtsrevisionismus wird in der AfD offenbar geduldet, wenn nicht sogar noch belohnt. So ist der Landtagsabgeordnete Czuppon mit einem T-Shirt der bekannten Neonazimarke Thor Steinar in der Gedenkstätte des KZ Buchenwald gesehen worden. Selbst erfahrene Journalist*innen im Publikum mussten schlucken, als sie merkten, wer da soeben am Tisch der AfD Platz nahm.
Ausgerechnet Personen, die in der Vergangenheit mehrfach bewiesen haben, wie fern sie dem demokratischen Diskurs sind, sollten ein “bürgerliches” Bild der AfD zeichnen. Es drängt sich der Eindruck auf, dass die beiden Zeugen gar nicht das Gericht von irgendetwas überzeugen wollten, sondern vielmehr ein Teil der Normalisierungstrategie der AfD sind. Faschistische Tendenzen bei den beiden sind wahrscheinlich schwer von der Hand zu weisen.
Ausblick auf den 29. April
Weiter geht es am 29. April, wieder um 9 Uhr im Oberverwaltungsgericht. Die vorgeschlagene Tagesordnung des Gerichts wurde mittlerweile durchgearbeitet, sodass als nächstes die angekündigten hundert Beweisanträge zu erwarten sind. Selbst die AfD-Vertreter scheinen wenig Lust auf die kommenden Verhandlungstage, die wohl besonders zäh werden, zu haben. Sie überlegten, ob für sie eine Videoschaltung in Betracht komme und ob sie einen entsprechenden Antrag stellen. Besonders nervig für die Öffentlichkeit und das Gericht, die sich in jedem Fall nicht digital zuschalten können, sondern in Münster vor Ort teilnehmen müssen. Ob die Richter dem aber überhaupt zustimmen, ließen sie noch offen.
Zu den Verhandlungen im Verfahren der AfD gegen den Verfassungsschutz vor dem OVG Münster ist die Öffentlichkeit ausdrücklich eingeladen, die Plätze werden nach dem First Come, First Served-Prinzip vergeben. Die Termine findet ihr in unserem Beitrag https://www.allesmuenster.de/afd-verfahren-geht-in-die-naechste-runde/.
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