In Münster ist die Inzidenz heute auf einen Wert von 509,8 gesunken (gestern: 544,6). Dennoch meldete das städtische Gesundheitsamt am Freitag 357 Corona-Neuinfektionen. Am Morgen informierten das Universitätsklinikum (UKM) und die Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) in einem digitalen Pressegespräch über Omikron & Co.
„Wir sind in einer Lage, die verwirrend ist“, erklärte Prof. Dr. Alex Friedrich, Facharzt für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie und neuer Ärztlicher Direktor des UKM. Streng genommen habe man es mit Delta und Omikron seit vier Wochen mit zwei Epidemien zu tun. Da Omikron mit eher milderen Verläufen auftritt, als die Delta-Variante, werde sich auch die Situation in den Krankenhäusern verändern, vermutet Dr. Hans-Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe. Viele der zu behandelnden Menschen müssten dann nicht mehr auf den Intensivstationen betreut werden, sondern auf Normalstationen. Doch auch dort werde irgendwann das Personal knapp, wenn Mitarbeitende selber in Quarantäne sind. UKM-Chef Friedrich appelliert daher an die Politik, in den Krankenhäusern den finanziellen Druck abzubauen. Ansonsten sei es schwer möglich, dem Pflegepersonal, das seit zwei Jahren unter „psychisch zermürbendem Druck“ stehe, den notwendigen Raum zum Atmen zu geben und perspektivisch Kündigungen zu verhindern.
Laut ÄKWL-Präsident Gehle, der selbst Intensivmediziner ist, gebe es derzeit in den Kliniken kaum geboosterte Schwerstkranke. „Selbst wenn diese auf die Intensivstationen kamen, sind das die Patienten, die in der Regel überlebt haben. Die Patienten, die uns unter der Hand wegsterben, sind Ungeimpfte, die größtenteils an der Delta-Variante erkrankt waren. Wir erwarten aber auch, dass junge Menschen möglicherweise aufgrund ihrer genetischen Vorbestimmung, schwer krank unter Omikron auf den Intensivstationen landen.“
Vierte Impfung für Gefährdete unerlässlich
Gehle betont, dass auch eine vierte Impfung nach den wenigen bislang vorliegenden Daten nicht vollständig vor einer Infektion schütze, sehr wohl aber vor schweren Verläufen. „Da die sogenannten ‚neutralisierenden Antikörper‘ mit der Zeit absinken, können sich insbesondere diejenigen infizieren, deren Impfung und gegebenenfalls Booster schon längere Zeit zurückliegt.“ Das seien zum Beispiel Menschen, die in Kliniken arbeiten und relativ früh geimpft und geboostert wurden. Die vierte Impfung scheine leider nicht zu einem wesentlichen Anstieg der neutralisieren Antikörper zu führen. „Ob die vierte Impfung die andere Säule des Immunschutzes, die sogenannte T-Zell-Immunität stärkt, ist noch unklar. Möglicherweise wird die Situation anders sein, wenn die vierte Impfung mit einem neuen, Omikron-spezifischen mRNA Impfstoff durchgeführt wird, der ja bald kommen soll – die Hoffnung ist, dass eine solche Impfung auch zu einem deutlichen Anstieg von neutralisierenden Antikörpern führt.“
Für eine vierte Impfung, die vor allem für gefährdete Patienten und Mitarbeitende aus dem Gesundheitswesen unerlässlich sei, setzt Friedrich auf einen Impfstoff, der an die Omikron-Variante angepasst ist. Wenn dieser verfügbar sei, müsse man die richtigen Menschen zur richtigen Zeit impfen: vorrangig die vulnerablen Gruppen und die, die mit ihnen zu tun haben. Um dieses schnell zu gewährleisten, sollten laut Gehle auch die Impfzentren wieder aktiviert werden, um das Tempo zu erhöhen. Eine „Zwischenimpfung“ mit einem der aktuell zur Verfügung stehenden Impfstoffe führe laut UKM-Direktor Friedrich nicht weiter. „Erste Daten aus Israel zeigen, dass die erneute Antikörperreaktion bei Omikron keinen zusätzlichen Schutz bietet. Besser wäre eine vierte Impfung im März/April mit einem Impfstoff, der dann schon an Delta und Omikron angepasst ist. Am effizientesten ist wahrscheinlich eine Grundimmunisierung, wie wir sie kennen, und zusätzlich noch ein Impfstoff-Booster, der über die Nase gegeben wird. Zu solchen Impfstoffen laufen die ersten Zulassungsstudien. Auch den sogenannten ‚Totimpfstoff‘, der eigentlich ein proteinbasierter Impfstoff ist und kurz vor der Freigabe steht, halte ich für sehr geeignet.“
Richtige Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt
Die Politik habe zu Beginn oft erklärt, dass mit Kommen der Impfung alles vorbei sei, kritisiert Gehle. „Wir als Mediziner haben immer gesagt, dass diese Pandemie mit Sicherheit fünf Jahre dauern wird, wenn wir Glück haben, nur drei Jahre. Wir werden uns immer wieder anpassen müssen. Das ist etwas, was in der Bevölkerung und auch in den Köpfen mancher Politiker jetzt erst so langsam ankommt. Es muss klar sein, dass wir in einer Pandemie sind und auch noch für eine Zeit lang bleiben werden. Wir werden uns immer wieder den neuen Begebenheiten anpassen müssen, immer wieder neue Forschungsergebnisse haben. Wir brauchen Vertrauen in uns, müssen zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Entscheidungen treffen und mit diesem Leben umgehen.“
In den Krankenhäusern der Stadt werden aktuell 31 Covid-Patienten behandelt, 11 von ihnen intensivmedizinisch. 6 müssen beatmet werden.
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