Wie früher schon in der Folge „Nebenberuf: Wildhüterin“ berichtet, bieten wir alljährlich im Herbst über einige Woche Kost und Logis für untergewichtige Stacheltiere, um sie alsbald in die Freiheit unseres unordentlichen Gartens zu entlassen. Igel diverser Jahrgänge führen eine friedliche Koexistenz mit uns und den Katern. Gelegentlich stellen sie sich entzückten Beobachterinnen und mutigen Pfotenstupsern, meist führen sie ihr Leben artgetreu im Schutze von Nacht und Dunkelheit.
Bei der amtlichen Igelretterin, die mich zuerst mit Fachwissen versorgte und seither mit tierischen Ziehkindern beglückt, spielen sich dagegen ganz andere Szenen ab. In der Nachbarschaft hat sich die Palette ihrer Expertise bei Mensch und Tier längst herumgesprochen. Gesunde Igel stehen Schlange an der Imbissbude, kränkliche Individuen schleppen sich in ihren sicheren Unterschlupf oder werden von menschlichen Rettern auf Händen herbeigetragen. Die Retterin päppelt und tröpfelt, besiegt Parasiten und hartnäckigen Husten in ihrer Krankenstation.
Das konnte an ihren Hausgenossen nicht spurlos vorbei gehen. Damit meine ich nicht nur ihren Ehemann, der Futterkisten schleppt und Schlafkästen baut, bei Infektionswellen den Haushalt solo schmeißt und die übernächtigte Pflegerin emotional aufbaut. Auch auf die Haustiere färben die helfenden Aktivitäten längst ab. Beide begleiten die abendlichen Fütterungen seit Jahren. Igelsprache ist kein Problem. Katzendame Josi verzichtet ausnahmsweise auf einzelne Streicheleinheiten, wenn Notfälle rufen. Auf wirklich fruchtbaren Boden aber fällt der dauerhafte Erste-Hilfe-Kurs bei Kater Nemo. Er kam mit vier Jahren nach einem Leben als Parkplatzkater eines großen Bettenhauses zu meiner Kollegin und sieht selbst Jahre danach noch aus wie ein Katzenkind. Trotz harter Schule in frühen Lebensjahren wurde er ein überaus sensibler, liebevoller und … äh… irgendwie… spezieller Kater – das perfekte Match für seine heutige Halterin.
Just hat Nemo unter Beweis gestellt, dass auch die spätere Sozialisation noch prägend sein kann. Und das kam so:
Es ist Montag in der Mittagszeit, die Tierretterin geht dem helfenden Beruf nach, ihr Mann kehrt heim und öffnet den Katzen die Tür zum Garten. Es meimelt seit Tagen. Josi bleibt Jägerin. Nemo findet es schön, von einem trockenen Plätzchen den Regen zu betrachten. Manchmal findet Nemo dabei ein durchweichtes Futterklümpchen.
Der Mann lässt sich mit einem Kaffee zur wohlverdienten Pause im Wohnzimmer nieder, wie üblich. Die Tiere tapsen raus und rein, wie üblich. Eine leichte Veränderung der Atmosphäre lässt den Mann aufschauen. Nemo trägt etwas im Maul. Es sieht haarig aus und wie nichts, das je eine Katze angeschleppt hätte. Schon gar nicht Nemo. Entsprechend irritiert beobachtet der Hausherr die Szene. Nemo tappt mit nassen Pfoten bedächtig in die Mitte des Wohnzimmerteppichs. Dort legt er seinen struppigen Fund ab und wirft einen erwartungsvollen Blick zum Sofa. Dann trollt er sich zu seinem Futterspielzeug, als wäre nichts gewesen.
Der Mann nimmt allen Mut zusammen, ignoriert seine Gänsehaut und nähert sich dem, was in einem Krimi als grausiger Fund bezeichnet würde, einem haarigen, pitschnassen Knäuel.
Jahrelanger Übung und gewachsener Expertise ist es zu verdanken, dass der mutige Mann kühlen Kopf und Ruhe bewahrt. Er beobachtet das Tier genau und erkennt: Es atmet. Er schluckt. Dann tätigt er zwei Telefonate und beginnt die Ersten Maßnahmen am Unfallort. Kurz darauf erscheint, völlig außer Atem, die häusliche Tierretterin. Wenig später ist das Tier in der Obhut einer Eichhörnchen-Fachkundigen.
Diese führt auf die Schnelle diverse Untersuchungen durch. Sie zeigen: Dieses Baby-Eichhörnchen lag mehrere Tage unversorgt außerhalb des Nestes. Dass es lebt, ist ein Wunder. Sein Glück: Es hat keinerlei äußere Verletzungen erlitten. Die Igelretterin und ihr Mann haben die Gewissheit: Ihr Kleiner ist jetzt offiziell in die Fußstapfen der großen Tierretter getreten! Nemo muss das Babyeichhörnchen mit größter Vorsicht getragen haben – er hat ihm keinen Schaden zugefügt.
Stolz und überglücklich kehrt das Ehepaar nach Hause zurück. Nemo erhält noch am Abend den großen Verdienstorden der Eichhornschützer. Josi findet die Belobigungen peinlich, nimmt aber damit verbundene zusätzliche Abendbrot gern in Anspruch. Dann ist endlich Feierabend.
Seither gibt es täglich neue Bilder von einem fröhlichen Eichhörnchenkind, welches trotz seines harten Startes ins Leben vielleicht wie ihr Finder zu einer sensiblen und einfühlsamen jungen Dame heranwachsen wird.
Wer wilde Tiere wie Igel oder Eichhörnchen retten will, findet hier Unterstützung: Aktion Eichhörnchen e.V.: http://aktion-eichhoernchen.de/ Pro Igel: https://www.pro-igel.de/ Tierschutzverein Nestwerk e.V.: https://nestwerk-ms.de/
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