Draußen fiel der erste Schnee, dennoch ließen es sich viele Fans nicht nehmen, bereits am frühen Nachmittag bei eisigen Temperaturen vor der Sputnikhalle anzustehen. Denn im Rahmen seiner „Everyone I Love Is Here“ Tour kam der 24-jährige Singer/Songwriter MYLE auch nach Münster. Der Großteil seiner seit Oktober laufenden Tour waren reguläre Hallenkonzerte, für die letzten fünf Termine hatte sich der gebürtige Ravensburger jedoch etwas Besonderes einfallen lassen.
Alles sollte intimer, persönlicher werden. Das Sputnik Café, angrenzend an die Sputnikhalle, bot dafür genau die richtige Größe. Die 300 Tickets waren extrem schnell vergriffen und ein Fan reiste um sein Idol zu sehen tatsächlich 19 Stunden aus der Slowakei an, was den Sänger sichtlich berührte. Vor der Show trafen wir MYLE zum Interview.
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Alles Münster: Grüß dich MYLE.
MYLE: Wo sind wir hier eigentlich?
Rein örtlich gesehen befinden wir uns hier gerade im Epizentrum der Münsteraner Musikkultur, dem sogenannten Hawerkamp. Innerhalb von 300 Metern Luftlinie gab es hier um uns herum schon alles an Auftritten von Künstlern wie David Bowie, Whitney Houston, den Rolling Stones, Rock- und Techno-Großevents mit bis zu 15.000 Teilnehmern. Mehrere Jahrzehnte Musikgeschichte zeichnen das alte Gelände hier aus. Daher direkt die passende Frage: Welche großen Künstler haben dich als Singer/Songwriter inspiriert? Ich meine, du hast ja schon im sehr jungen Alter von sieben Jahren mit dem Klavier spielen angefangen?
Wie wahnsinnig ist das denn mit der Musikgeschichte hier?! Ich glaube bei mir sind es tatsächlich weniger so die Künstler selbst, sondern eigentlich eher die Songwriter, die mich inspirieren, weil ich einfach ein extremer Melodiefanatiker bin.
Ursprünglich komme ich aus einer sehr jazzigen Familie, aber Pop-Songs haben mich schon früh sehr fasziniert. Und als ich so meine ersten Pop-Songs dann entdeckt habe, zum Beispiel von Katy Perry oder das erste James Blunt-Album, war ich völlig überfordert und einfach blown away, wie Menschen Songs schreiben können, die wirklich im Kopf bleiben. Und deswegen denke ich weniger an den Artist, sondern eher an die Songwriter wie Ryan Tedder oder Max Martin natürlich.
Dein aktuelles Album heißt „Songs to Scream in the Car“ (2023). Ihr seid heute mit dem Auto aus Nürnberg nach Münster angereist. Welche Songs habt ihr auf der Hinfahrt im Auto geschrien?
Wir haben alle im Auto gepennt (lacht).
Deine aktuelle Tour „Everyone I Love Is Here“ führt dich seit Oktober durch das Land. Gestartet hast du die Tour mit ‚normalen Shows‘, beendest sie aber mit insgesamt fünf ‚Acoustic Shows‘. Woher kam die Idee?
Die Idee kam daher, weil wir insgesamt in den letzten Jahren, auch in den letzten zwei Jahren, viel auf Bühnen unterwegs waren und es war alles total schön. Aber es war vor allem auch sehr durchgeplant, choreografiert, Schema F folgend. Man hat natürlich so seine spontanen Tour-Momente und seine Show-Momente. Allerdings ist es so, dass wenn der Song läuft, dann läuft er. Und wenn der Moment vorbei ist, dann ist er vorbei.
Da können die Leute noch so Bock haben auf eine dritte, vierte, fünfte Runde, dann geht das leider nicht. Und irgendwie dachte ich mir so, wenn wir auf Tour gehen und diesmal noch mehr Städte machen, dann lass es zumindest so aufteilen, dass wir immerhin bei den neuen Städten auch schauen können, dass wir mal eine ganz andere Form des Musikmachens probieren.
Und diese andere Form ist für mich so diese persönlichste und reinste Form, wie sie auch zu Hause oder im Studio entsteht, dass man einfach mit seinem Instrument, mit seinen Freunden da sitzt und gemeinsam musiziert und einfach aufeinander reagiert.
Und ich glaube, das macht die Acoustic Tour so special. Jeder Abend folgt dem Vibe des Raums.
Um deinen Gedanken fortzuführen, der Vibe des Raums findet heute Abend in einer Art gemütlichem Wohnzimmer statt. Wer MYLE auf der großen Bühne erlebt hat, der weiß, von der Präsenz und Power ist eigentlich jede Bühne zu klein für dich. Ist das künstlerisch eine Herausforderung, so wenig Bewegungsfreiheit zu haben und noch mehr im Fokus zu stehen? Die Songs auch stimmlich anders zu performen, buchstäblich leisere Töne anzustimmen?
Ich bin ein ganz anderer Typ auf einmal auf der Bühne, fällt mir auf. Und das wurde mir auch als Feedback von den Fans mitgeteilt, dass ich plötzlich viel ruhiger bin. Irgendwie zeige ich bei der Acoustic Show eine andere Seite von mir, die ich, glaube ich, eher im Studio bin.
Ich bin auf der kleinen Bühne nicht mehr so dieser hyperaktive, springende Typ. Und das ist jetzt gerade auch irgendwie eine schöne Erkenntnis, dass dieses entspannt sein dennoch gut ankommt.
Ich muss nicht rennen, ich muss nicht springen, ich muss nicht 8.000 Mal den Leuten sagen, klatscht mal mit.
Sondern es ist auch voll cool immer zu sagen, „Hey, wie geht es euch“, eine längere Geschichte zu erzählen, spontan auf jemanden einzugehen und irgendwie mal so eine andere Ebene und Dynamik reinzubringen.
Wie autobiographisch sind deine Songs eigentlich? In „Lie You Love Me“ zum Beispiel singst du von „cheating“ (fremdgehen) mit der Ansage „go in and fuck someone else“. Ist das dem privaten MYLE passiert, oder beschreibst du eine Situation die sich vielleicht in deinem Umfeld so ereignet hat?
Also „Lie You Love Me“ habe ich auf der Heimfahrt von zu Hause weg nach Mannheim, was damals mein neues Zuhause zu dem Zeitpunkt war, geschrieben, weil ich so ein On-Off-Ding mit meiner Ex-Freundin hatte. Und ich glaube bei dem Song speziell war gerade dieses, „Ey, du kannst mich auch anlügen, ich nehme das dankend an, weil dann fühle ich mich zumindest noch so, als ob es irgendwie halbwegs normal wäre“.
Jeder Sänger hat ja so seinen persönlichen Signature Song, das Lied, das ihm am wichtigsten ist, mit dem er am meisten verbindet. Genau dieser Song und die persönliche Verbundenheit ist vielleicht dem Publikum gar nicht immer so bewusst. Welches Lied ist das in deinem Fall, wo du sagst, hierauf bin ich am meisten stolz?
Weißt du, wenn man Musik macht, ist es oftmals das, was dich am lautesten anschreit. Die Sachen, die dann im Radio laufen – und ich liebe diese Songs, keine Frage – also „Not Ready“ oder „Mutual“, das sind so die Tracks und auch „Can I Call You Mine“, die wirklich voll auf die Zähne gehen und echt Spaß machen. Aber es ist manchmal sehr schade, dass diese Album-Tracks, so Track 7, der irgendwie so eigentlich ein recht persönliches Thema mit sich trägt, nie so wirklich seine Aufmerksamkeit bekommt, die er dann doch verdient hätte.
Und vor allem auf der ersten EP, die ich jemals released habe, gibt es einen Track, der heißt „We´ll Be Okay“ und für mich war das so dieses persönliche Mantra, um mir in genau diesen selbstzweifelnden Momenten irgendwie zu sagen, „Ey, es wird alles gut“, weil ich eben genau zu diesem Zeitpunkt, als ich die EP released habe vor zwei Jahren, echt unsicher, allein und irgendwie verwirrt in meiner Situation war und genau dieser Song ist zu einem riesigen Fan-Favorit geworden.
Weil du gerade von Fan-Favorit sprichst, vielleicht magst du nicht nur uns, sondern vor allem deinen Fans verraten, wann endlich deine beeindruckende Ballade „Hello Goodbye“ erscheinen wird? Das Lied ist ja definitiv mit einer der gefühlvollsten Momente auf deinen Konzerten.
Schön, das freut mich.
Wir haben zu Hause bei mir immer so ein Writing-Camp, einmal im Jahr, und das hat den Grund, dass wir eigentlich einfach irgendwann mal sagen, okay, wir gehen jetzt dorthin, wo ich mich am wohlsten fühle, und das ist bei mir zu Hause, wo das halt alles mit der Musik anfing.
Ich nehme meine Freunde mit und wir schließen uns da so eine Woche ein, machen nur Musik und gerade an diesem Tag, das war Tag drei der ganzen Writing-Week, wir hatten an Tag eins „Can I Call You Mine?“, an Tag zwei „Who’s In Your Head?“ und an Tag drei eigentlich was anderes schreiben wollen.
Aber an dem Tag habe ich einen Anruf bekommen und eine Person, die mir richtig nahe steht, meinte zu mir, dass ihr Freund fremdgegangen ist. Wie der Name „Hello Goodbye“ schon sagt, dieses Begrüßen des Abschieds ist auch eine Sache, die man oftmals kennt, auch in ganz vielen anderen Situationen im Leben. Wenn sich zum Beispiel die Großeltern so langsam auf den Weg von einem machen. Das ist irgendwie so eine Ruhe, die dann auf einmal einkehrt, wenn man lernt zu akzeptieren, man kann jetzt nichts mehr tun, das ist schockierend, aber man muss jetzt loslassen, und darum geht’s in „Hello Goodbye“.
Deine Mutter ist Amerikanerin und du bist – obwohl in Ravensburg geboren – zweisprachig aufgewachsen. War für dich mit wachsendem Interesse an Musik immer schon klar, du wirst deine musikalische Karriere auf Englisch machen? Kam dir nie in den Sinn, deutsche Songs zu produzieren?
Auf jeden Fall war immer das Interesse da, sich auszuprobieren. Ich bin von Anfang mit Englisch groß geworden. Englisch war meine Muttersprache und erste Sprache, die ich gesprochen habe. Wenn ich Deutsch singe klingt das so, als ob ich eigentlich gar kein Deutsch spreche. Es ist phonetisch auch völlig anders. Deutsch ist nicht so offen, und wenn man Englisch singt, ist das total anders von der Bewegung im Mund. Deswegen habe ich mir mittlerweile abtrainiert Deutsch zu singen, weil das total seltsam klingt.
Wo wir gerade beim Thema deutsche Songs sind: Dein Lied „Mutual“ (2023) hat Kevin Zaremba mitgeschrieben und -produziert, der ja auch Wincent Weiss zu einigen Hits verholfen hat (u.a. „Musik sein“, 2017). Du warst letztes Jahr der Opening Act bei Wincent Weiss auf der Sommer Tour. Was nimmt man als Künstler von so einer großen Tour mit an Erfahrungen?
Ich habe von Wincent extrem viel gelernt!
Wincent ist ja neben der Person des Künstlers auch einfach ein extrem bodenständiger Mensch, was ich echt krass finde. Wir haben uns jetzt gerade erst in Österreich getroffen und haben miteinander gequatscht und er fragt natürlich auch, wie läuft die Tour. Er ist als Star überhaupt nicht abgehoben, sondern einfach ein normaler Mensch und das finde ich einfach extrem inspirierend.
Zum anderen hat Wincent ein krasses Verständnis für das „Drumherum“, was alles passieren muss, damit eine Show läuft. Ich entwickle das ja jetzt erst, also es ist eigentlich ganz schön, dass es nicht direkt diesen Major Hit gibt, der einen so direkt in die Arena oder in die Halle katapultiert, sondern man fährt mit dem Sprinter, man baut seinen eigenen Stuff auf, man lernt es irgendwie mit 200 Leuten in einem Raum zu stehen, mit 100 oder 5 Leuten in einem Raum zu stehen und hoffentlich auch irgendwann mal mit 5000 in einem Raum zu stehen.
Welche Konzerte hast du eigentlich selbst in diesem Jahr besucht – und sag jetzt bitte nicht Adele oder Taylor Swift (wir beide lachen)?
Ich habe mir tatsächlich am wenigsten Pop-Konzerte dieses Jahr angeschaut, sondern versucht, mir genau das andere anzuschauen. Also ich war zum Beispiel auf einem Festival wo einfach von irgendwelchen Folk-Bands bis hin zu Techno quasi alle Sachen am Start waren. Und ich glaube der Höhepunkt war für mich Jordan Rakei, der mit seiner Band in Berlin gespielt hat. Seine Musik ist so eine Art Soul-Fusion-Mischung und eigentlich gar nicht das, was ich sonst irgendwie höre.
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Im Anschluss an unser Gespräch geht es im Sputnik Café nebenan direkt mit dem Opening Act Luke Noa los, der MYLE auf seiner aktuellen Tour begleitet. Nur mit einer Gitarre betritt Luke die Bühne und zieht das Publikum schnell in seinen Bann. Seine gefühlvollen Songs stimmen sehr gut auf Main Act MYLE ein, der um Punkt 20:45 Uhr die Bühne betritt.
Bereits beim ersten Song „That Other Boy“ ist der Verlauf des Abends klar: Das gemütliche Wohnzimmer ist bereit zu eskalieren! Man kuschelt, singt und tanzt miteinander. MYLE gibt sich von der ersten Minute maximal nahbar, verlässt sogar die Bühne, um einfach mal mitten in den Menge zu performen. Und hey, da wir auf die Weihnachtszeit zugehen, kommt der Mikrofonständer direkt mit einer Lichterkette daher. Eben weil diese Acoustic Tour persönlicher ist und viel mehr Interaktion mit dem Publikum zulässt, darf Fan Annika gleich zwei Mal als spontane Tänzerin auf der Bühne fungieren.
Stimmlich beeindruckend, mal kraftvoll und laut, mal leise und verletzlich, lassen die 15 dargebotenen Songs die Kälte draußen schnell vergessen. „Hello Goodbye“ sang MYLE fast komplett mit geschlossenen Augen nur an der Gitarre, was definitiv zu einem der emotionalsten Momente des Abend wurde.
Neben vielen Emotionen wurde aber auch viel gescherzt, das Publikum persönlich angesprochen. Nach über zwei Stunden endete um 22:30 Uhr dieser gefühlvolle Abend mit „Memories Never Go“. Nicht nur diese Erinnerungen werden die Fans mit nach Hause nehmen, sondern auch Autogramme und Selfies, für die sich MYLE im Anschluss noch ausreichend Zeit nahm.
Wir können definitiv bestätigen: „Everyone He Loves Was There!“
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