Seit über 30 Jahren arbeitet Berthold Reloe bei der Stadtverwaltung Münster, heute ist er Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft im Amt für Mobilität und Tiefbau. Der Klimawandel stellt ihn und seine Kolleginnen und Kollegen vor Herausforderungen, mit denen zu Beginn seiner Tätigkeit noch niemand gerechnet hätte. Eine zentrale Erkenntnis ist hierbei, dass anstehende und zukünftige Probleme nur durch die Zusammenarbeit vieler Abteilungen bewältigt werden können und dass die Planung von Städten in vielen Bereichen neu gedacht werden muss.
„Früher haben die Stadtplaner ihre Stadtplanung gemacht, die Grünplaner ihre Grünplanung, die Verkehrsleute haben ihre Straßen geplant und wir unsere Entwässerungsplanung betrieben“, erinnert sich Reloe und stellt sofort klar, „So kann man in Zeiten des Klimawandels nicht mehr arbeiten. Man muss merken und verinnerlichen, dass alles mit allem zusammenhängt. Ich kann nur dann eine robuste Stadt bauen, betreiben und in ihr wohnen, wenn alles zusammengeführt wird.“ Das zentrale Problem sieht Reloe in den gravierenden Veränderungen bei den Niederschlägen, „Wir haben sehr lange, sehr trockene Phasen, in denen es so gut wie gar nicht regnet und dann haben wir mitunter heftige Sommerniederschläge. Gerade die Gleichmäßigkeit der Niederschläge in den Sommermonaten hat nach unserer Einschätzung stark abgenommen. Das ist ein Problem bei der Ableitung des Regenwassers. Diese wird anhand statistischer Größen bemessen. Wenn wir jetzt aber merken, dass sich die meteorologische Verteilung der Niederschläge verändert und Spitzen viel intensiver auftreten, dann muss da auch die Kanalisation drauf reagieren oder man muss die Menschen anders darauf vorbereiten.“ Das Auftreten von Starkregen im Wechsel mit langer Trockenheit wirkt sich auf den Grundwasserspiegel aus: „Es ist es am besten, wenn es tagelang behäbig vor sich hin regnet und versickern kann. Starke Regenereignisse gehen fast gänzlich in den Abfluss und tragen so gut wie nichts zum Grundwasser bei.“
So wie die Zunahme von Starkregenereignissen ein Problem darstellt, so bereitet auch die langanhaltende Trockenheit dem Experten Kopfzerbrechen: „Die Fließgewässer trocknen aus. Das ist ein Problem für deren Funktion, wenn ich diese Gewässer als Lebensraum sehe, weil viele Arten ja auf die Feuchtigkeit angewiesen sind. Wenn wir im Sommer über eine lange Periode keine Niederschläge haben, dann haben wir ein ausgetrocknetes Bachbett. Wenn es dann Niederschläge gibt, treten sie oftmals kurzfristig und in hoher Intensität auf. Das heißt, dass das Wasser sofort auf den kleinen Bach trifft, es gibt eine kräftige Abflusswelle die sämtliche Lebensarten in dem Bach abspült, mitreißt und damit quasi das gesamte Bachbett wegputzt. Dann haben wir wieder tage- und wochenlang Trockenheit. Für die Lebensgemeinschaften in solchen kleinen Bächen ist es sehr schwierig, noch einen Lebensraum zu finden. Mit dem starken Regen müssen wir irgendwie umgehen, aber gegen die Trockenheit zusätzliches Wasser in die Flüsse und Bäche hineinzubekommen, ist fast ausgeschlossen. Wir müssen also möglichst lange das Wasser in der Fläche behalten.“
Es gibt im Stadtgebiet fünf Kläranlagen, die laufend Wasser in Bäche und Flüsse abgeben, eine optimale Lösung des Problems ist das aus Sicht von Berthold Reloe allerdings auch nicht: „Hier gibt es zwar eine kontinuierliche Wasserversorgung, das ist aber auch nicht immer besonders gut für die Lebensgemeinschaften, weil ein untypisches Abflussverhalten vorliegt. Das Wasser aus den Klärwerken fließt kontinuierlich und hat eine gleichbleibende Temperatur und eine gleichbleibende Nährstoffzusammensetzung. Das sind Eigenschaften, die kein natürliches Gewässer hat, es gibt da immer natürliche Schwankungen. Aber besser ein bisschen Wasser, das nicht den optimalen Bedingungen entspricht als gar kein Wasser.“
Die Stadt hat in den letzten Jahren verstärkt in Gegenmaßnahmen zu den Folgen des Klimawandels investiert. Schon vor dem Starkregen von 2014 wurde damit begonnen, Klimaanpassungen auszuarbeiten, das Starkregenereignis hat jedoch sowohl in der Politik als auch in den Fachämtern und bei den Bürgern vieles verändert und beschleunigt. Straßenabläufe werden in anderen Intervallen als früher gereinigt, damit das Wasser, das auf den Oberflächen steht, schneller in die Kanalisation kommt. Die technischen Anlagen wurden starkregensicherer gemacht, damit die Pumpwerke nicht volllaufen. Ein Umdenken hat auch im Bereich der Stadtplanung stattgefunden, wie Reloe berichtet: „Neue Baugebiete erschließen wir immer, indem wir den gesamten wasserwirtschaftlichen Aspekt im Auge behalten. Wir möchten, dass mehr Regenwasser im Gebiet zurückgehalten wird, um den Grundwasserspiegel zu halten und damit wir einen hohen Verdunstungsanteil bekommen, um die Temperaturen etwas zu senken. Außerdem sorgen wir dafür, dass Gräben und Kanalisation leistungsfähig sind und den Anforderungen genügen, wobei das Schutzbedürfnis der Bevölkerung allerdings immer im Einklang mit den wirtschaftlichen und technischen Möglichkeiten stehen muss.“
Der Klimawandel wird nach Meinung des Experten auch das Gesicht der Stadt verändern: „Unser Ziel ist, weitestgehend auf eine Regenwasserkanalisation zu verzichten. Von der klassischen Dachpfanne sollte es hingehen zu begrünten Dächern, die Regen im gewissen Maße zurückhalten. Wenn es doch mal zu extremen Niederschlägen kommt, sollten Notwasserwege vorliegen, die dafür sorgen, dass das Wasser möglichst schnell aus den besiedelten Bereichen abgeleitet wird, damit nicht diese extremen Schäden entstehen. Dann setzt man lieber mal einen Sportplatz oder eine Grünanlage unter Wasser statt eine Tiefgarage zu fluten.“
Nach dem Starkregen gab es für Reloe und seine Kolleginnen und Kollegen viele große Herausforderungen. Gut zu erkennen ist dies an der Kanalstraße. Dort wurde die Aa ökologisch verbessert, damit das Wasser länger und ökologisch angepasster im Fluss verbleiben kann. Es wurde Münsters erster Deich gebaut, die Kanalisation wurde erneuert und Straßen neu gemacht, damit das Wasser länger auf der Straße bleibt und nicht sofort in die Grundstücke fließt. Beeindruckendste Maßnahme ist ein technisch sehr aufwändiges Regenwasserpumpwerk, das komplett unter der Straße liegt und eine enorme Pumpleistung vorhält. „Die größte Wirkung wird aber wohl haben, dass wir schon sehr früh in die Stadt- und Freiraumplanung bei Neubaugebieten mit eingebunden werden und die wassersensible Stadtplanung durchführen“, freut sich Berthold Reloe über das Umdenken innerhalb der Stadtverwaltung.
Der Experte wünscht sich aber auch eine Bewusstseinsänderung bei den Bürgern: „Die Verwaltung kann nicht sämtliche Gefahren beseitigen, hier muss sich der Bürger ein stückweit selber schützen. Niemand käme auf den Gedanken, bei einem starken Sturm auf das Dach zu klettern, um zum Beispiel die Satellitenschüssel zu richten. Aber es gibt viele Menschen, die bei starkem Regen in den Keller gehen, um Akten oder ähnliches heraufzuholen. Das ist ein hochrisikoreiches Verhalten. Und wir müssen alle von dieser Lebensphilosophie Abstand nehmen, dass die Stadt alles regeln kann. Das wird eine Gemeinschaftsaufgabe werden.“
In unserer Reihe #münsterklima21 zum "World Environment Day" veröffentlichen wir bis zum 5. Juni, dem Weltumwelttag, täglich um fünf vor zwölf Interviews mit sehr unterschiedlichen Experten, in denen wir der Frage nachgehen, wie sich der Klimawandel im Münsterland auswirkt. Ihr findet alle Beiträge gebündelt unter diesem Link #münsterklima21
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Guten Tag,
an unserer Straße (Prozessionsweg in Münster) haben wir einige Bäume mit Wassersäcken versehen.
Einige Nachbarn meinten, dass durch die Regenfälle der vergangenen Tage aktuell keine Bewässerung notwendig ist.
Würden Sie mir bitte kurz mitteilen, ob das korrekt ist (was ich bezweifle).
Herzlichen Dank im Voraus für Ihre Antwort.
Schöne Grüße
Beatrice Kost
Guten Abend,
eine aussagekräftige Antwort wirst du wohl am wahrscheinlichsten vom Grünflächenamt bekommen: https://www.stadt-muenster.de/umwelt/startseite.html
Viele Grüße, Tom