Dr. Michael Harengerd kennt die Rieselfelder im Norden Münsters wie kein zweiter, „Als 15-Jähriger habe ich das Gebiet schon mit dem Fahrrad erkundet und Vögel beobachtet“, das war Anfang der 1960er Jahre. Damals wurden dort noch die Abwässer der Stadt ausgebracht, „verrieselt“ wie man sagt. Nach dem Bau der Kläranlage, die einen weiteren Betrieb der Flächen überflüssig gemacht hätte, setzte sich der Biologe für den Erhalt der Gewässer als Vogelschutzgebiete ein, mit Erfolg.
Der Verein „Biologische Station Rieselfelder“ war der deutschlandweit erste, in dem sich ehrenamtliche Mitarbeiter für den Aufbau eines Reservates eingesetzt haben. 1978 wurden die Rieselfelder zum Europareservat ernannt, ein Jahr später wurde der heute 75-Jährige mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Das Gebäude der Biologischen Station liegt unmittelbar neben dem großen Ems-Ableiter-Stausee, durch das offene Fenster dringt Froschquaken und Vogelgezwitscher in das Büro von Michael Harengerd. „Wir beobachten bei den Zugvögeln, die von äußeren Einflüssen gesteuert werden, eine deutliche Veränderung in den letzten Jahren. Viele dieser Arten kommen etwa eine Woche früher und bleiben auch rund eine Woche länger“, wie der Biologe berichtet.
Die Zugvögel werden in zwei Gruppen unterschieden, die endogenen und die exogenen Zugvögel. Während die endogenen gewissermaßen auf ihre innere Uhr hören, reagieren die exogenen auf äußere Einflüsse. „Bei den endogenen können wir bislang keine nennenswerten Veränderungen erkennen, bei den exogenen durchaus. Neben dem früheren Eintreffen und der späteren Abreise dringen manche Arten aus Afrika oder Südeuropa weiter nach Norden vor. Bei Arten wie dem Laubsänger oder dem Bienenfresser ist dies ganz deutlich zu erkennen“, wie Harengerd erläutert. Viele Zugvögel bleiben wegen der milden Winter gleich ganz hier und sparen sich die weiten, gefährlichen Flüge in die Überwinterungsgebiete, „Es überwintern zum Beispiel viel mehr Kiebitze bei uns als früher. Wenn dann doch mal ein strenger Winter kommt, gibt es natürlich größere Verluste. Die gleichen sich aber nach ein paar Jahren wieder aus.“
Manche endogen gesteuerten Zugvögel kommen mit einer erstaunlichen Präzision in den Rieselfeldern an, „seit 1961 beobachte ich, dass zum Beispiel der Grünschenkel immer am 7. April und der Kuckuck am 20. April bei uns ankommt, mit sehr kleinen Verschiebungen.“ Der Experte hält es für denkbar, dass auch diese endogen gesteuerten Zugvögel Probleme durch die Auswirkungen des Klimawandels bekommen könnten. Wenn die innere Uhr sagt, dass es Zeit ist, nach Norden zu fliegen, könnten sie mit Fortschreiten des Klimawandels zukünftig bei uns auf eine Umwelt treffen, in der die Vegetation und die Insektenwelt schon wesentlich weiter sind als bisher, „Belege gibt es dafür aber noch nicht.“
Durch die spezielle Situation der Rieselfelder, die ihr Wasser von der benachbarten Kläranlage erhalten, sind die Flächen vor den Gefahren sehr trockener Sommer geschützt, „die Rieselfelder können nicht trockenfallen. Anders ist dies zum Beispiel im Zwillbrocker Venn, dort sind bereits große Wasserflächen im Sommer ausgetrocknet“, wie Dr. Michael Harengerd berichtet.
In unserer Reihe #münsterklima21 zum "World Environment Day" veröffentlichen wir bis zum 5. Juni, dem Weltumwelttag, täglich um fünf vor zwölf Interviews mit sehr unterschiedlichen Experten, in denen wir der Frage nachgehen, wie sich der Klimawandel im Münsterland auswirkt. Ihr findet alle Beiträge gebündelt unter diesem Link #münsterklima21
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