West-Nil-Virus, Hantavirus, Malaria, wenn Prof. Dr. Stephan Ludwig heute über diese und andere gefährliche Infektionserkrankungen spricht, hat er nicht mehr nur die Tropenregionen der Erde im Sinn. „Vor einigen hundert Jahren gab es die Malaria in den Rheinauen, die Krankheit wurde aber zurückgedrängt. Inzwischen sind die Mücken, die Malaria übertragen, in unseren Gefilden wieder auf dem Vormarsch. Die können dann auch wieder Malaria übertragen, wenn es immer wärmer wird“, befürchtet der Direktor des Instituts für Molekulare Virologie der Universität Münster.
Dass die krankmachenden Viren, die bislang nur aus den wärmeren Regionen der Erde bekannt waren, aktuell bis in unsere Breiten vordringen, liegt laut Ludwig meist an den jeweiligen Wirtstieren, denen der Klimawandel das Überleben oder die Ausbreitung in unsere Gegend ermöglicht. „Die West-Nil-Viren, die sehr schwere Erkrankungen verursachen können, werden ebenfalls von Mücken übertragen, die inzwischen auch in Deutschland gesichtet wurden.“ Wie komplex hierbei mitunter die Zusammenhänge sind, verdeutlicht Prof. Stephan Ludwig anhand der Hantavirus: „Hantaviren werden von Rötelmäusen übertragen, deren Population stark vom Nahrungsangebot abhängig ist. Werfen die Buchen viele Bucheckern ab, steigt die Zahl der Rötelmäuse stark an.“ Diese sogenannte Buchenmast kommt besonders nach warmen, trockenen Sommern vor, in denen die Buchen unter Stress geraten und viel Energie in die Produktion von Nachkommen investieren. Die Hantaviren werden meist durch den Kot der Rötelmäuse übertragen, der zum Beispiel beim Ausfegen von Schuppen oder Garagen aufgewirbelt und eingeatmet wird. Das Münsterland gilt als eines der Hauptverbreitungsgebiete dieses Virus in Deutschland.
„Die Tiere reagieren auf die Veränderungen in der Landschaft, Stichwort Baumsterben in den Wäldern. Im Moment bringen wir das natürliche Gleichgewicht in der Flora und Fauna durcheinander und zwar schneller, als es eine natürliche Veränderung des Klimas könnte. Das ist menschgemacht!“, ist sich der Wissenschaftler sicher und skizziert die Konsequenzen aus diesem rasanten Wandel: „Die Dinge hängen sehr komplex zusammen. Es sterben ganze Waldteile ab, in diesen Waldteilen haben Tiere gelebt. Manche Tiere sterben an diesen Stellen aus oder werden zurückgedrängt, andere gewinnen die Oberhand, die einen bestimmten Erreger tragen, wodurch plötzlich viel mehr dieser Erreger vorkommen.“ Als Beispiel nennt Ludwig die Wildschweine, die aus den immer kleiner werdenden Waldflächen in die Städte drängen, „Wenn die einen Erreger tragen, kann der sehr schnell auf den Menschen übergehen.“
Gut zwei Drittel aller Infektionserkrankungen werden von Tieren auf den Menschen übertragen, wie der Virologe erläutert. Die weltweiten Klimaänderungen begünstigen das Verbreiten von Zoonosen, wie dieser Krankheitstyp genannt wird. Auch die aktuelle Corona-Pandemie ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem Wirtstier auf den Menschen übergesprungen. Potsdamer Klimaforscher vermuten, dass der Klimawandel dazu führte, dass sich eine Fledermausart in der chinesischen Region Yunnan ausgebreitet und den Krankheitserreger untereinander ausgetauscht hat, bis sich die ersten Menschen in Wuhan infizierten. Damit zukünftige Übertragungen von Tieren auf den Menschen nicht wieder zu einem derart katastrophalen Ereignis werden, wurden Initiativen wie die „Nationale Forschungsplattform für Zoonosen“ ins Leben gerufen, deren Standortleiter in Münster Prof. Dr. Stephan Ludwig ist, sein Kollege in Berlin ist Prof. Dr. Christian Drosten. „Wenn etwas auftritt, müssen Wissenschaftler schnell zusammengeführt werden, um interdisziplinär zu agieren. Ich hoffe, dass die Lehren aus Corona eine gewisse Nachhaltigkeit haben. Manchmal geraten Lehren, die man aus anderen Krankheitsausbrüchen gezogen hat, in Vergessenheit. Es wäre gut, wenn wir in Friedenszeiten mehr in die Überwachung investieren würden“, hofft Ludwig.
„Man kann nicht genau sagen, was passiert, aber dieses massive Verändern des Gleichgewichts in der Natur, was zurzeit über die menschgemachten Klimaveränderungen stattfindet, das ist etwas, was die Ausbreitung von Infektionskrankheiten befördert“, ist sich Ludwig sicher. Der Wissenschaftler wünscht sich ein größeres Bewusstsein innerhalb der Bevölkerung: „Jeder Einzelne muss ein bisschen bewusster mit der Umwelt umgehen und versuchen, auch im Kleinen etwas gegen den Klimawandel zu machen. Viele Menschen denken, was kann ich schon als Einzelner tun. Oder selbst wenn wir in Deutschland alle hier dafür sorgen, dass wir uns klimagerecht verhalten, ist Deutschland doch nur ein kleiner Fleck auf der Weltkarte. Das Problem ist, wenn jeder so denkt, dann kommen wir nie zu einem Anfang. Wir sollten da ein größeres Bewusstsein entwickeln. Das reicht vom Nutzen von Verkehrsmitteln bis zu den Essgewohnheiten, da kann jeder etwas machen und das sollten wir auch tun, weil der Klimawandel nicht nur mit extremen Wettereignissen einhergeht sondern auch mit der Verbreitung von Krankheiten.“
In unserer Reihe #münsterklima21 zum "World Environment Day" veröffentlichen wir bis zum 5. Juni, dem Weltumwelttag, täglich um fünf vor zwölf Interviews mit sehr unterschiedlichen Experten, in denen wir der Frage nachgehen, wie sich der Klimawandel im Münsterland auswirkt. Ihr findet alle Beiträge gebündelt unter diesem Link #münsterklima21
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