Seit 2009 ist die Piratenpartei im Stadtrat von Münster vertreten. Für viele ist sie immer noch eine Ein-Themen-Partei, die vor allem für Freiheit, Privatsphäre und Datenschutz im Internet kämpft, aber ihr Programm für die Kommunalwahl 2020 widmet sich natürlich auch vielen anderen lokalen Themen. In der letzten Amtszeit bildete ihr zuletzt einziger Vertreter im Rat, Johannes Schmanck, zusammen mit Franz Pohlmann von der ÖDP eine „orange Ratsgruppe„. Wir sprachen mit Sebastian Kroos, der für die Piraten für das Oberbürgermeisteramt kandidiert. Damit endet unsere Reihe, in der wir Münsters OB-Kandidaten interviewt haben. Ab heute Nachmittag dürft ihr Leser bei uns darüber abstimmen, wer von ihnen euch am meisten überzeugt hat.
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Wie bewältigen Sie und Ihre Partei den Wahlkampf unter Corona-Bedingungen?
Die Piraten haben ihre Treffen schon immer barrierefrei organisiert. Coronabedingt werden daher nur persönliche Treffen, Stammtische und Mitgliederversammlungen eingeschränkt. Wenige Meter Sicherheitsabstand sind natürlich kein Problem bei persönlichen Gesprächen. Derzeit macht uns tatsächlich eher die Hitze zu schaffen.
Wohnraum ist in Münster schon lange knapp und wird immer teurer – was werden Sie und Ihre Partei dagegen tun?
Wenn in Münster in der Innenstadt mehr günstiger Wohnraum gesichert und weiterer erstellt werden soll, müssen die wirtschaftlichen Interessen von Investoren komplett außen vorbleiben. Genossenschaftlich finanzierter Wohnraum, öffentlich finanzierter Wohnraum und Bebauungspläne, die weiteren Wohnraum auf bereits bebauten Flächen ermöglichen, können helfen den Bedarf zu decken. Wir haben eher ein WohnUNGsproblem als ein WohnRAUMproblem. Die Münsteraner*innen leisten sich immer mehr Wohnfläche pro Kopf und sind bereit, dafür entsprechende Mieten zu zahlen. Seit 1990 ist der Wohnraum um mehr als 40 % gewachsen – die Bevölkerung aber nur um 12 %. Vor allem der bisherige Oberbürgermeister leistet der immer stärkeren Gentrifizierung der Innenstadt ungebremst Vorschub. Dem muss entgegengewirkt werden: Milieuschutzsatzung wäre da ein Stichwort.
Auch wahlloses Zubauen bisher unversiegelter Flächen kann für Münster nicht die Lösung sein. Die Siedlungsflächen, die an den Grüngürtel angrenzen, können sicher nach außen weiter wachsen. Erholungsräume, Grünflächen, Frischluftschneisen müssen aber erhalten werden. Die sieben Grünzüge, auf die Münster so stolz ist, dürfen nicht angetastet werden.
Wie sieht in Ihren Augen eine vernünftige Verkehrspolitik für Münster aus? Was wollen Sie und Ihre Partei davon in den nächsten Jahren umsetzen?
Wir wollen, dass Verkehrsflächen in der Stadt Münster neu organisiert werden. Überall, wo es möglich erscheint, wollen wir die Differenzierung von Fußweg, Radweg und Autostraße auflösen und „Shared Space“ als Planungselement in Münster etablieren. Viele innenstadtnahe Verkehrsplätze, mehrspurige Einbahnstraßen und vierspurige Straßen im allgemeinen müssen unserer Meinung nach auf den Prüfstand. Befreite Flächen sollen belebte Plätze ermöglichen und durch Begrünung das Stadtklima verbessern. Hier können dann auch bewirtschaftete Flächen mit Aufenthaltsqualitäten entstehen, die wir in Pandemiezeiten dringend benötigen und auch sonst der Stadt zugutekommen.
Zur Steigerung der Effizienz muss das Nahverkehrsnetz konsequent weiterentwickelt werden. Die Kapazität des ÖPNV muss erhöht werden und für die Erfordernisse künftiger Verkehrskonzepte fit gemacht werden. Der geplante Ausbau der Regionalzüge zum S-Bahn-Netz für Münster kann da nur der erste Schritt sein, der nun schnell umgesetzt werden muss. Fahrscheingebundener ÖPNV verschwendet Ressourcen und bremst Innovation – daher brauchen wir den fahrscheinlosen ÖPNV! Nur ein attraktiver, bequemer und zuverlässiger ÖPNV hilft, Emissionen zu vermeiden! Radverkehr lebt nicht von Symbolpolitik wie eingefärbte Straßen! Bei der Planung von Erschließung und Überplanung von bestehenden Verkehrswegen muss künftig erst der Fußweg, dann der Radweg, dann der ÖPNV und wenn es gar nicht anders geht, auch der PKW-Verkehr in die Planungen einfließen. Dabei sollten die Planer nicht an den alten Strukturen festhalten, sondern die Flächen freier zuordnen.
Welche 3 Dinge wollen Sie und Ihre Partei nach einer erfolgreichen Wahl zuerst für Münster durchsetzen? (Wenn Sie im Stadtrat die erforderliche Mehrheit dafür gewinnen können)
Das Areal, wo derzeit die Bauruine des Hafencenters steht, wird auf Kosten der Risikoeigner freigemacht. Das Areal wird mit großzügigen Grünflächen und mit genossenschaftlich finanzierten Wohnhäusern beplant. Fußgängerbrücken Richtung Albersloher Weg, auf die andere Hafenseite, werden errichtet, um die Flächen zu verbinden.
Die ausgebaute B51 wird in Mauritz abschnittsweise und mit Mitteln von Bund und Land flächig überbrückt, um die Wohngebiete und Stadtteilzentren vor und hinter der Umgehungsstraße näher zusammenzubringen.
Wir werden einen Ausschuss für Bürgerbeteiligung einrichten. Dieser soll ein Forum bieten für die Bürgeranregungen nach § 24 der Gemeindeordnung NRW. Diese werden derzeit meist ohne größere Diskussion in die Ausschüsse verschoben. Dieser Ausschuss soll den Menschen, die Anregungen einreichen, regelmäßig ein Rederecht einräumen und die gesetzlich gewünschte Mitwirkung vereinfachen.
Vor 6 Jahren segelten die Piraten auf einer Art Erfolgswelle, haben damals 2 Sitze für Münsters Stadtrat geholt, waren in mehreren Landesparlamenten vertreten, auch in NRW. Aber nun sind sie aus diesen fast überall wieder verschwunden, die wenigen bekannten Gesichter sind zu anderen Parteien abgewandert oder haben die Politik hinter sich gelassen. Wie wollen Sie da die Wähler in Münster motivieren, bei Ihnen das Kreuz zu machen?
Genau wie alle anderen Parteien auch: mit tollen Ideen und aberwitzigen Visionen! Auch als Kleinpartei können wir viel bewegen. So haben wir jahrelang wiederholt gefordert und die Mehrheit davon überzeugt, dass die Stadt Münster Grundstücke grundsätzlich nur noch in Erbpacht vergibt. Das Stimmverhalten der Piraten im Rat konnte aufgrund wechselnder Mehrheiten die Ansiedlung einer zentralen Abschiebebehörde in Münster verhindern. Oft sind wir ’Zünglein an der Waage’. Piraten wählen ist also nicht vergebens, wir werden uns weiter für ein Münster einsetzen, das auch Raum bietet für die Dinge, die für viele Menschen Münster wirklich lebenswert machen – am Hansaring, am Hafen, am Hawerkamp, am Nieberding, am alten Güterbahnhof um nur einige akut bedrohte Beispiele zu nennen.
Was unterscheidet Sie persönlich von Ihren Konkurrenten im OB-Wahlkampf in Münster?
Da gibt es gar nicht soviel Unterschiede. Ich denke, wir wollen alle für ein Münster kämpfen was unsere Lobby im Rücken gern in 10 Jahren umgesetzt sähe. Was uns unterscheidet, ist nur die Lobby. Meine Lobby ist die Zukunft und die Menschen, die hier dann wohnen werden. Ich kämpfe nicht für meine Generation oder die derzeitigen Steuerzahler. Ich möchte, dass wir wieder in Generationen denken und nicht so wie die Börse nur auf den Cashflow des nächsten Quartals schielen.
Was wollen Sie als OB besser machen als der amtierende Markus Lewe?
Lewe merkelt so etwas vor sich hin. Er gaukelt Bürgerbeteiligung vor, hört aber bestenfalls zu und verwirft alle Anregungen. Ich möchte bei der Stadtplanung die betroffenen Menschen nicht nur formell anhören, sondern deren Ideen aufgreifen. Ich will, dass die Ämter mehr auf die Menschen hören. Ich will die Stadt kleinteiliger denken, Kietzcharakter entstehen lassen und Viertel in sich funktionieren lassen.
Vertreter welcher anderer der jetzt zur Wahl angetretenen Parteien nervt Sie persönlich gerade besonders? Und warum?
FCKFD, weil FCKFD!
Wo möchten Sie in Münster tanzen gehen, wenn es wieder möglich ist?
Im Schlossgarten Restaurant.
Sebastian Kroos ist 45 Jahre alt und arbeitet als Controller beim Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW Familienstand: ledig, alleinerziehend im Wechselmodell Kinder: eine Tochter In Münster seit: 1975 Bisher höchstes politisches Amt: Landesvorsitzender der Piratenpartei NRW, Mitglied im Ausschuss für Stadtplanung, Stadtgestaltung, Verkehr und Wohnen, Mitglied im Beirat für Stadtgestaltung
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