Die Friedensnobelpreisträgerin Irina Scherbakowa äußerte sich gestern bei ihrem Vortrag im Rahmen der DomGedanken-Reihe im St.-Paulus-Dom in Münster eindeutig: Ein Frieden mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin sei aus ihrer Sicht nicht realisierbar. Scherbakowa, die 2022 den Friedensnobelpreis erhielt und Mitbegründerin der russischen Menschenrechtsorganisation „Memorial“ ist, ging sogar noch einen Schritt weiter.
Sie erklärte, dass Bemühungen um Verhandlungen anstelle von militärischer Unterstützung den Angriffskrieg gegen die Ukraine unterstützen würden. Die Historikerin Scherbakowa äußerte ihre Besorgnis über das anhaltende „verbrecherische Krieg“ gegen die Ukraine und warnte davor, dass der Frieden in Europa derzeit so gefährdet sei wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Sie betonte, dass der Angriff auf die Ukraine zeige, dass es sich um ein unberechenbares Regime handele. Scherbakowa appellierte an Europa, die nukleare Bedrohung ernst zu nehmen und bedauerte, dass die offizielle russisch-orthodoxe Kirche den aggressiven Krieg gegen die Ukraine unterstütze.
Die Beeinflussung der russischen Bevölkerung durch Putins historische Mythen und Verschwörungstheorien sowie die Rolle der staatlichen Medienpropaganda bei der Förderung des Krieges wurden von Scherbakowa ebenfalls thematisiert. Sie stellte fest, dass in Russland nur wenige Menschen demokratische Ideale von Frieden und Freiheit teilen. Die Erfolge der Perestroika, der von Michail Gorbatschow 1986 eingeleiteten Modernisierung der sowjetischen Diktatur, seien ihrer Meinung nach vergessen worden. Dies erwecke den Eindruck, dass Russland nichts aus seiner Geschichte gelernt habe, was Scherbakowa verzweifeln lasse.
Scherbakowa warnte davor, Putin für verrückt zu halten, und betonte, dass der Angriff auf die Ukraine keine verrückte Handlung, sondern das Ergebnis der Logik eines autokratischen Systems sei, das Putin in 23 Jahren aufgebaut habe. Sie beschrieb dieses System als paternalistisch und autokratisch, gekennzeichnet durch Angst, Hass, Gefühllosigkeit und Menschenverachtung sowie weitverbreitete Korruption. Gewalt und Folter würden als Mittel zur Machterhaltung eingesetzt. Die Friedensnobelpreisträgerin, die derzeit in Deutschland und Israel lebt, kritisierte auch Tendenzen, Putin territoriale Zugeständnisse zu machen. Sie argumentierte, dass der Verlust von Gebieten auch den Verlust von Menschen bedeute und dass nur die Niederlage Russlands der Welt Hoffnung auf Stabilität und Frieden zurückgeben könne.
Zum Abschluss des Vortrags bedankte sich Dompropst Hans-Bernd Köppen bei Irina Scherbakowa für ihre Perspektive auf die Realität. Die musikalische Begleitung des Abends wurde von der „Capella Ludgeriana“ unter der Leitung von Domkapellmeister Alexander Lauer und Domorganist Thomas Schmitz gestaltet. Nach dem Vortrag begrüßte Münsters Bischof Dr. Felix Genn die Friedensnobelpreisträgerin auf dem Domplatz.
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