Mit zwei ganz unterschiedlichen Konzerten verwandelten die Veranstalter von „Musiklandschaft Westfalen“ den Innenhof hinter dem markanten Gebäude der PSD-Bank in einen Raum für Musik. Schon lange ausverkauft war der Freitagabend mit Ute Lemper, während „das junge orchester NRW“ bei der Aufführung von Mendelssohn Bartholdys „Ein Sommernachtstraum“ mit Regenwetter zu kämpfen hatte. „So klingt der Sommer“ war auf einem Banner über der Bühne zu lesen, angefühlt hatte es sich aber wie die ersten Herbsttage.
Am Freitag war es aber nur der Temperatursturz und der ziemlich starke Wind, der den Musikern der Russischen Kammerphilharmonie St. Petersburg zu schaffen machte. Das renommierte Ensemble unter der Leitung von Juri Gilbo zeigte sich aber pragmatisch und hatte für diesen Fall genügend Wäscheklammern dabei, um die Notenblätter zu sichern. Und auch Ute Lemper konnte man das Frösteln im Abendkleid nur anfangs ein wenig ansehen, denn bald hatte sie sich und das Publikum warm gesungen.
Wer hat eigentlich mal behauptet, dass Ute Lemper kühl oder unnahbar wäre? Falls das jemals gestimmt haben soll, sind die Zeiten längst passé. Immer wieder suchte sie den direkten Dialog mit den Zuschauern, erzählte gelegentlich auch aus ihrem privaten Leben, vor allem aber von ihren illustren Karriere-Stationen. Von ihrem Musical-Debut bei „Cats“ in Wien zu „Peter Pan“ in Berlin, wo sie sich im Westen wie im Osten auch viele Aufführungen anderer Theater angesehen hat. Vom Erfolg mit „Cabaret“ in Paris bis zu ihrem Umzug nach New York vor zwanzig Jahren. Zu fast allen Orten brachte sie am Freitag passende Lieder auf die Bühne, nicht nur von ihrem letzten Album „Paris Days, Berlin Nights“ – aber keines aus Münster. „Es gibt da nicht so viele, und Karnevalslieder passen hier nicht so rein,“ kokettierte sie mit dem Image ihrer Heimatstadt.
Der Aufführungsort am Albersloher Weg erinnerte sie an ihren ersten Ballett-Unterricht. Der fand vor fünfzig Jahren direkt gegenüber statt, wo heute „Lolas Schicksal“ über der Tür steht. Mancher fragte sich allerdings, ob Ute Lemper wirklich schon in dem Alter ist, in dem sie eine Rückschau aufs eigene Leben betreiben sollte. Aber sie hat ihre Bühnenkarriere auf den Brettern der Welt nun mal früh begonnen und dabei viel erlebt und großartige Menschen getroffen, davon kann sie viel erzählen. Und das tat sie am Freitag Abend so ausgiebig, dass mitunter der Eindruck entstand, die Lieder seien nicht die Hauptsache, sondern dienen nur dazu, ihre Geschichten aus Berlin, Paris und New York zu illustrieren.
Ob es dabei nun alte deutsche Filmschlager waren, wie „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“, oder französische Chansons, wie das wunderschöne „Que reste-t-il de nos amours?“ von Charles Trenet – meist begann das Orchester mit geradezu zuckersüßen Arrangements, um dann sachte ein paar Jazz-Klänge hinzu zu nehmen. Genauso wechselte Ute Lemper in den englischen Text und in einen jazzigen Tonfall, begann zu Vampen und zu Scatten und so viel wie möglich aus den Liedern heraus zu kitzeln. Da war ihr der begeisterte Applaus stets sicher – auch wenn mal ein weniger bekanntes Lied dabei war.
Immer wieder kam sie auf die Songs von Brecht und Weill zurück, aber auch zu Edith Piaf, die ihren zahlreichen Liebhabern am Ende wenigstens eine Komposition abpresste. So hatte es ihr jedenfalls Georges Moustaki 1991 erzählt. Und mit Marlene Dietrich führte Ute Lemper ein langes Telefonat, kurz bevor sie mit ihrer eigenen Interpretation von „Der blaue Engel“ in Berlin Premiere feierte. Was die Dietrich ihr da alles erzählte, soll im nächsten Jahr in das neue Projekt „Rendezvous mit Marlene“ einfließen. Ob sie es dann auch mal in der Konzertreihe „Musiklandschaft Westfalen“ präsentieren wird? Ein begeisterungsfähiges Publikum wäre ihr dafür sicher.
Der zweite Abend dieser Festivalreihe am gleichen Ort war leider nicht annähernd so gut besucht. Es fehlte eben der zugkräftige Name, und die zeitweiligen Regenschauer haben spontane Konzertbesucher abgeschreckt oder einige anwesende in der Pause sogar vertrieben. Dabei hat sich „das junge orchester NRW“ bei der Aufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys „Ein Sommernachtstraum“ wirklich wacker geschlagen. Andere Musiker hätten wegen des Wetters womöglich abgesagt, warb der Orchesterleiter Ingo Ernst Reihl um Verständnis und begrüßte das Publikum als dem „härtesten Kern“ der Musik-Fans in Münster. „So klingt der Sommer“, unter diesem Motto stand die Festival-Reihe, am Samstag kam der Klang von Regentropfen auf Plastikponchos hinzu. Trotzdem haben die meisten die romantische Musik genossen und, manchmal lachend, den zwischendurch eingestreuten Erzählungen von Claus Dieter Clausnitzer gelauscht, die nicht immer nur den bekannten Shakespeare-Übersetzern Wieland, Schlegel und Tieck folgte.
Bekannt als „Vattern“ von Kommissar Thiel aus dem Münster-Tatort trat er optisch auch genauso auf. Aber sein Tonfall wechselte dann doch bald vom Taxifahrer hinüber zu den vielen Stimmen aus der bekannten Komödie voller Zauberwesen, die er aus dem Blickwinkel der Elfe Puck erzählte. Von der Dramatik her, aber auch musikalisch erstaunlich gut, passte es, den zweiten Teil nach der Pause mit der Ouvertüre zu „Oberon“ von Carl Maria von Weber einzuleiten. Inhaltlich geht es in dieser Oper ja um den gleichen Stoff. Das Werk von Mendelssohn Bartholdy ist allerdings als Bühnenmusik für Theateraufführungen gedacht, was in dieser Inszenierung wie ein spannendes Hörspiel wirkte. Die Solopartien für die Sopranistinnen Myung-Hee Hyun und Eva-Maria Falk waren dafür das i-Tüpfelchen, ebenso wie der M:LW Festival Chor. Das Publikum feierte das Konzert – wie auch schon tags zuvor bei Ute Lemper – mit Standing Ovations. Es hatten aber alle Verständnis dafür, dass Dirigent Riehl seinen Leuten eine Zugabe ersparte.
„Ute Lemper verwandelte öden Parkplatz in eine festliche Plaza“ – so hätte die Überschrift hier auch lauten können. „Das ist doch ein Parkplatz,“ so soll Ute Lempers Vater reagiert haben, als sie ihm vor Monaten erzählte, wo ihr Auftritt in Münster stattfinden wird. Tatsächlich hat bisher kaum jemand diesen Innenhof zwischen der PSD-Bank und der Alten Feuerwache besonders beachtet – was sich seit diesem Wochenende aber deutlich geändert hat. Es wird hier sicher in den nächsten Sommern weitere Konzerte geben, die stets an verschiedenen Orten gastierende Festival-Reihe „Musiklandschaft Westfalen“ wäre dafür bestimmt wieder willkommen. Schöneres Wetter wäre den Veranstaltern allerdings zu wünschen – aber das lässt sich ja nicht bestellen.
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