Seit einigen Wochen ziert eine besondere Kunst die Straßen Münsters. Was für manche auf den ersten Blick vielleicht wie eine bedeutungslose Kritzelei wirkt, beinhaltet eine wichtige Botschaft mit dem Hashtag #stopptbelästigung. Dahinter steckt die Instagramseite „catcallsofmuenster“. Lisa Bauwens hat mit den Initiatorinnen gesprochen.
An der Promenade entlang, am Ludgerikreisel, an den Aaseetreppen und bis nach Hiltrup: Seit Anfang September sind auf Münsters Straßen und Bürgersteigen immer mehr Kreideschriftzüge zu lesen. Die Seite „catcallsofmuenster“ möchte damit auf Belästigung im öffentlichen Raum aufmerksam machen, genauer gesagt auf „catcalling“. Das ist verbale sexuelle Belästigung, hauptsächlich von Männern gegenüber Frauen. Diese unangemessenen, unhöflichen und übergriffigen Kommentare werden in der Öffentlichkeit, meist auf der Straße, geäußert. In den meisten Fällen beziehen sie sich auf Körper oder Aussehen der Person.
Die meisten Frauen (und diejenigen, die sich dazu zählen) kennen solche Situationen und auch die Machtlosigkeit und Wut, die man danach häufig spürt. So ging es auch den vier Münsteraner Studentinnen Kristina, Julia, Theresa und Johanna. Sie sind selbst Opfer von catcalling geworden und entschlossen sich deshalb eine Instagram-Seite für Münster anzulegen. 2017 ging die erste Seite dieser Art für die Stadt New York online und seitdem folgten viele weitere Städte, auf sechs Kontinenten verteilt. Bereits im September erhielten die vier Münsteranerinnen 73 Nachrichten von Betroffenen, die von ihren Erfahrungen berichteten. Inzwischen sind es im Schnitt zwei Nachrichten am Tag.
Das Ziel der Studentinnen ist es, jede Handlung anzukreiden, im wahrsten Sinne des Wortes. Catcalling soll entnormalisiert werden. Außerdem wollen sie so dazu beitragen, dass die Betroffenen so für sich einen Teil des öffentlichen Raums zurückgewinnen und sich gestärkt fühlen, wie Kristina, einer der vier Aktivistinnen, berichtet: „Unser Ziel ist es auch, dass die Betroffenen wissen, dass sie nicht alleine sind. Wir werden jede Nachricht, die uns erreicht, ankreiden. Für die Betroffenen.“
Nicht angekreidet werden allerdings Vergewaltigungen. Das Flashback-Risiko ist für Betroffene zu hoch, und auch der Schutz von Kindern soll gewährleistet werden. Pro angekreidetem Spruch brauchen sie ca. 15 bis 20 Minuten. „Dabei werden wir häufig angesprochen, aber dann klären wir gerne auf und leisten Öffentlichkeitsarbeit. Wir möchten ja auch ein generelles Bewusstsein schaffen“, erzählt Kristina. Die Orte für die Ankreidungen werden dabei nicht zufällig gewählt. Meistens handelt es sich dabei auch um den Ort des Geschehens, es sei denn, die betroffene Person möchte das nicht.
Catcalling gehört auch in Münster zum Alltag vieler Frauen. „Wir hoffen, dass auch die Menschen, die solche Kommentare machen, verstehen, dass es sich dabei nicht um ein Kompliment handelt. Wir möchten auf das Problem aufmerksam machen und hoffen, dass einige Menschen ihr eigenes Verhalten hinterfragen.“ Außerdem fordern sie, dass catcalling in Deutschland strafbar wird. So wie es in anderen europäischen Nachbarländern schon der Fall ist. Dafür unterstützt die Seite auch eine entsprechende Petition.
Wichtig bleibt ihnen (und uns) noch zu sagen: Es ist nie die Schuld der Betroffenen. Der Fehler liegt bei der Person, die sich übergriffig verhält. Und sobald sich ein Kommentar übergriffig anfühlt, dann ist er das auch: „Man sollte sich nicht über sein eigenes Verhalten oder eine fehlende Reaktion ärgern, denn man selber hat in dem Moment nichts falsch gemacht. Betroffene sollten sich nicht anmaßen müssen, in solchen Momenten auch noch die richtige Antwort parat haben zu müssen. Die Verantwortung liegt bei den Tätern.“
Unterstützen könnt ihr „catcallsofmuenster“, in dem ihr ihnen bei Instagram folgt. Über Kreidespenden und Unterstützung beim Ankreiden freuen sie sich auch immer. Wir leben im Jahr 2020. Es wäre doch schön, wenn #stopcatcalling und #stopptbelästigung endlich normal wären und der Aktivismus im Kampf gegen dieses leider allzu alltägliche Problem nicht auch noch an den Betroffenen hängen bleiben muss.
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