Eigentlich spielt die Geschichte ja irgendwo auf einer Insel im Mittelmeer, doch Regisseur Sebastian Ritschel macht von Anfang an deutlich, dass es lausig kalt sein muss, denn Schneestürme lassen zwei Reisende vor der Tür fast erfrieren. Alle Fantasien in Bezug auf Sonnenschein kann man getrost vergessen. Am Dienstag feierte das Große Haus zwar nicht Premiere von Händels Oper Alcina – doch trotzdem war der Saal fast ausverkauft – und das zu Recht.
In der italienischen Oper Alcina tauchen für deutsche Ohren ungewöhnliche Namen auf – das muss man vielleicht dazu sagen. Bradamante etwa. Die Dame hat sich als Mann verkleidet und versucht, gemeinsam mit ihrem Vertrauten Melisso, ihren Verlobten aus dem Einflussbereich der Zauberin Alcina heraus zu eisen. Deshalb kämpfen die beiden gegen den Schneesturm an und werden schließlich von Alcina selbst, kurz vor dem Erfrieren, ins Haus gelassen. Alcina, unwissend, wen sie hereingebeten hat, preist ihre große Liebe zu Ruggiero, die allerdings nur auf Zauber fußt. Ruggiero ist der Verlobte von Bradamante.
Bis sich das Ganze auflöst, dauert es gut zwei Stunden Spielzeit und viele schöne Arien, dazu herrliche Musik von Händel von einem tollen Sinfonieorchester unter Leitung des italienischen Dirigenten Attilio Cremonesi. Der musikalische Leiter macht das mit einer solchen Spielfreude und Lebenslust, dass es Spaß macht, eine Zeit lang nur ihn zu betrachten. Viel Zeit bleibt dafür nicht – zugegeben. Denn es gibt so viel zu entdecken, etwa die riesigen Schubladen mit freilich ausgesparter Blende für das Publikum. Eine Lade öffnet sich von rechts, darin eine Partyszene im Haus mit stuckverzierten Wänden. Eine von links: darin eine Urwald-Fototapete. Im Bühnenrücken befindet sich eine Art Schaufenster mit durchscheinendem Vorhang, dahinter ein Bett, auf dem sich Alcina schon mal vergnügt. Schneebedecktes Gebirge und ein Eisbär, der fast an der Decke klebt. Wunderschöne Kostüme, für die sich der Regisseur selbst verantwortlich zeigt. So trägt Alcina kurz vor der Pause ein Kleid, das im Nieselregen zu glänzen beginnt.
Überhaupt: Alcina. Henrike Jacob verkörpert die Figur. Sie singt leidenschaftlich, energisch, leidend, dominant, herrisch. Als sie spürt, dass der Zauber seine Wirkung verliert und Ruggiero zurück geht zu Bradamante, betritt sie mit Axt in der Hand die Bühne und zerdeppert eine Blumenvase. Rosen stieben durch die Gegend. Doch das hat noch nicht gereicht. Drohend und singend nähert Alcina sich dem Orchestergraben. Sie trägt rosa Gummihandschuhe und immer noch die Axt. Der ein oder andere Zuschauer wird es mit der Angst bekommen haben. Zur Seite stehen ihr acht Jünglinge, das Gesicht weiß getüncht, schwarze Längsstreifen, den Genitalbereich durch ein knappes Höschen verdeckt, in Pelzmäntel gehüllt. Ob das nun Lustknaben darstellt oder gar die Zauberkraft – das mag man denken, wie man will. Neben Henrike Jacob als Alcina verdienen sich auch Charlotte Quadt als Bradamante und Lisa Wedekind als Ruggiero herausragende Bewertungen. Ein richtig schöner Opernabend.
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