Die entscheidende Frage ist nicht, ob man den Road-Movie-Roman „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf auf die Bühne bringen kann, irgendwie, mit ein paar hübschen Bühnenbildern vielleicht und kleinen Tricks. Die Frage ist eher: Kann man das Gefühl transportieren, das die Lektüre bei den meisten Lesern erzeugt hat. Das Borchert Theater gibt die Antwort.
Eigentlich ist „Tschick“ ja ein Jugendroman, der aber Sehnsüchte auch bei Erwachsenen weckt: unterwegs sein, ohne viel zu planen, ohne Ziel und Verantwortung, Mit einem „geliehenen“ Lada sind die beiden 14-jährigen Schüler auf dem Weg in die Walachei, die ungefähr neben „jwd“ liegt oder vor den Pampas. Auf das Auto hat Tanja Weidner, die verantwortlich ist für die Inszenierung, übrigens komplett verzichtet. Gut so, denn das Minenspiel der drei Protagonisten ist einfach zu schön und wäre anders wohl auch untergegangen, ganz abgesehen davon, dass eine Karosserie, so handlich sie auch sein mag, doch immer stört.
Der russische Spätaussiedler Tschick, authentisch mit russischem Akzent und in wortkarger Manier schön gespielt von Sven Heiß, steuert den Lada, der mit Mühe die Berge hochkommt. Neben ihm sitzt Maik Klingenberg, dessen Vater sich die Zeit mit einer hübschen Sekretärin vertreibt, während seine Mutter in der Entziehungsklinik ist. Florian Bender füllt die Rolle des etwas eingeschüchterten Jungen mit Leben. Nebenbei fungiert er auch als Erzähler, der den Fortgang der Geschichte übermittelt.
Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer stellt sich schnell ein. Schon in der ersten Nacht zirpen die Grillen und über den beiden sich zur Ruhe legenden Jungen erscheint ein Sternenhimmel. Natürlich kommt es auch zu Problemen, die schon darin bestehen können, dass auch ein Lada betankt werden muss und ein Vierzehnjähriger vermutlich Argwohn beim Tankwart auslösen würde. So kommen die Walachei-Reisenden auf die Idee, Benzin abzuzapfen und auf einer Müllkippe einen Schlauch zu suchen. Dort lernen sie das Mädchen Isa kennen, verdreckt, müffelnd und ständig plappernd. Für einen großen Teil der weiteren Reise wird Isa ihre Begleitung.
Alice Zikeli überzeugt in der Rolle, redet mal wie ein Wasserfall, so dass Tschick schnell genervt ist, verdreht ihre Augen, als sie hinten im Lada sitzt, fummelt am imaginären Radioknopf herum, hat aber das Herz am rechten Fleck und ist klarer strukturiert als die Jungs. Überdies hat Alice Zikeli auch noch eine Reihe anderer Rollen. Mal ist sie ein kleiner Junge auf dem Roller, dann wieder dessen Mutter oder ein anderes Kind, das in Windeseile die Bundespräsidenten in chronologischer Reihenfolge aufsagt. Sie spielt mal Maiks Mutter, die sexy Sekretärin des Vaters oder den Kriegsveteran Horst Fricke. Im heißen Bühnenlicht hält sie vermummt und mit Fliegermütze einen längeren Monolog als Fricke und fuchtelt dabei mit einem Gewehr herum.
Im Theater geht es einem wie beim Lesen des Buches: Man möchte, dass es nie aufhört.
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