Wie kann ich mit meinen Langzeitfolgen nach einer Infektion mit Corona gut umgehen? Long Covid? Welche aktuellen Erkenntnisse gibt es? Wo bekomme ich Hilfe? Diese und weitere wichtige Fragen konnten die Experten der KVWL-Sprechstunde am Dienstag vergangener Woche (21. Juni) den Teilnehmenden der gut besuchten Hybridveranstaltung beantworten.
„Das Thema Long Covid wird derzeit viel in der Gesellschaft und den Medien diskutiert. Es ist wichtig aufzuklären, den aktuellen Wissensstand zu vermitteln und mögliche Therapien von verschiedenen Seiten zu beleuchten.“ Mit diesen Worten begrüßte Dr. med. Gudula Berger, Patientenberatung von Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) und Kassenärztlicher Vereinigung Westfalen-Lippe (KVWL) in Münster, die Referenten und Interessierten in der Sprechstunde online und vor Ort im Dortmunder Ärztehaus.
„Bunter Strauß an Beschwerden“
„Wir sehen bei vielen Patientinnen und Patienten ein diffuses Krankheitsbild mit einem bunten Strauß unterschiedlichster Beschwerden“, beschrieb Dr. med. Heinz Ebbinghaus, Hausarzt aus Soest, die aktuellen Erfahrungen aus seiner Praxis. „Menschen berichten oft Wochen nach einer Infektion mit Corona von unterschiedlichsten Beschwerden“, so Ebbinghaus. Müdigkeit, kognitive Beeinträchtigungen, Schwindel, trockener Husten bis zu Herz-Kreislaufbeschwerden sind nur einige Symptome, die nach Ausschluss anderer Erkrankungen die Diagnose Long Covid oder auch Post Covid bedeuten können. „Die Beschwerden sollten ernst genommen werden, bevor sie chronisch werden“, hob Ebbinghaus hervor und fügte hinzu: „Deshalb ist nach einer gründlichen Anamnese und unterschiedlichen Untersuchungen eine individuelle und gegebenenfalls rasche fachärztliche Therapie zu empfehlen.
Guter Draht zum Hausarzt
Dr. Jens Bartnitzky, Long-Covid-Betroffener und Mitbegründer einer Selbsthilfegruppe in Witten, schilderte eindrucksvoll seinen Weg. Dieser führte von der Erkrankung im Dezember 2020 mit leichter Symptomatik über einen langen Arbeitsausfall und anschließende, hilfreiche Reha-Maßnahmen bis hin zu langsamer Wiedereingliederung in den Job. „Ich hatte nach überstandener Infektion große Schwierigkeiten mich zu konzentrieren. Selbst kurze Spaziergänge waren extrem anstrengend und ermüdend“, beschreibt der Sonderschulpädagoge die schwierige Zeit. Long Covid war zu dieser Zeit noch nicht wirklich bekannt. „Der gute Draht zu meinem Hausarzt war immens wichtig“, so Bartnitzky. Auch das eigene Bemühen, die Situation zu verbessern, habe ihm geholfen.
„Haben Sie Vertrauen!“
„Medizin ist Kommunikation“ ergänzte Dr. Ebbinghaus und machte deutlich: „Haben Sie Vertrauen in Ihre Behandler und Behandlerinnen“. Er erläuterte: „Die Frage, wie es zu Long COVID oder Post COVID kommt, lässt sich aktuell nicht genau beantworten. Wir haben es mit einem jungen Beschwerdebild zu tun und es gibt bislang keine Marker, die die Krankheit nachweislich belegen können. Frauen sind tatsächlich häufiger betroffen als Männer und Kinder sind aufgrund ihres stärkeren Immunsystems etwas besser gegen die Langzeitfolgen gewappnet“.
Long Covid oder anderer Infekt?
Dr. med. Hans-Christian Blum, Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde (Pneumologie). Allergologie, Schlafmedizin und Stressmedizin aus Hattingen, hat schon viele langzeitbeatmete Patientinnen und Patienten nach einer Coronainfektion gesehen – und viele, bei denen der Verdacht auf Langzeitfolgen besteht. „Eine differenzierte Diagnostik ist wichtig, denn auch nach vielen anderen viralen Infekten können ähnliche Symptome wie bei Long Covid auftreten. „Wegen der hohen Strahlenbelastung muss aber beispielsweise nicht immer sofort die Lunge geröntgt werden“, versicherte Blum Jeder Patient, jede Patientin sei individuell zu betrachten. Bei vielen stelle sich nach einigen Wochen eine Besserung ihrer Beschwerden dar. „Das sind Erkenntnisse, die wir im Laufe der Zeit mit der neuen Erkrankung gemacht haben“, so Blum.
Risikofaktoren für Long Covid
„Wir müssen die Krankheit verstehen lernen. Wir wissen inzwischen auch, dass es einige Risikofaktoren gibt, die die Gefahr, an Long Covid zu erkranken, erhöhen“, gibt Dr. Blum zu bedenken und benennt unter anderem einen zu hohen Body Mass Index (BMI), Rauchen, das Alter und bestimmte Vorerkrankungen. „Es ist wichtig, bei der Wiederaufnahme von sportlichen Aktivitäten auf seinen Körper zu achten“, appellierte Blum. Im Zweifelsfall solle man eine Blutuntersuchung, einen Lungenfunktionstest oder Herzuntersuchungen wie EKG oder Ultraschall durchführen lassen.
Gedächtnis- und Angststörungen
Prof. Dr. Christoph Redecker von der Klinik für Neurologie und Neurogeriatrie am Klinikum Lippe stellt anhand von Studien eindrucksvoll die neurologischen Probleme des Long-Covid-Syndroms vor, die das Virus durch Eindringen in das Nervensystem verursacht. „Es entstehen Störungen im Hirnstoffwechsel, die sich nur langsam zurückbilden“, so Redecker. Erfahrungen der Long-Covid-Ambulanz an der Charité in Berlin zeigen, dass 72 von 100 Patientinnen und Patienten mit kognitiven Einschränkungen zu kämpfen haben. Hierzu gehören Störungen der Arbeitsgeschwindigkeit, der Handlungskontrolle, der Wortflüssigkeit oder des Gedächtnisses. Gedächtnis- und Angststörungen bessern sich zwölf Monate nach Beginn der Erkrankung, berichtete Redecker. Allerdings halten in dieser Gruppe von Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden mussten, andere Symptome lange an.
Riechtraining und Ausdauersport
„Wichtig“, so Redecker, „ist ein interdisziplinärer Austausch und eine pragmatische Therapie – und das idealerweise im Rahmen einer stationären Rehabilitation.“ Ideal seien Klinken, die Neurologie und Pneumologie kombiniert haben. Ergotherapie bei kognitiven Störungen, Riechtraining bei Hyposmie oder leichter Ausdauersport bei Kopfschmerzen sind hier nur einige Beispiele für Therapiemöglichkeiten. „Auch das sehr häufig auftretende Fatigue Syndrom lässt sich aufgrund der hohen Quantität jetzt besser bewerten“, sagte Redecker. Zur Unterstützung könne hier ebenso wie bei Depressionen gegebenenfalls eine Psychotherapie helfen. „Stärken Sie Ihre Resilienz“, ermunterte Redecker die Interessierten. „Wenn Sie mehr auf sich achten und sich zurücknehmen, führt das zu einer besseren Prognose.“
„Stell dich nicht so an!“
Dr. Bartnitzky bestätigte, dass ihn Auszeiten vorangebracht haben. Viel Schlaf, moderater Sport und Geduld mit sich selbst seien hilfreich gewesen, ebenso der regelmäßige Austausch mit anderen Betroffenen in der Selbsthilfegruppe in Witten: „Das sind Menschen, die unbedingt weitermachen wollen und Perspektiven sehen“, sagte Bartnitzky. Im eigenen Umfeld treffe man häufig auf Unverständnis. Sätze wie „So schlimm kann es doch nicht sein“ oder „Stell dich nicht so an“ zeigen, dass der Umgang mit der Erkrankung mit viel Unsicherheit und Unwissen behaftet ist. „Es sind inzwischen etliche Long-Covid-Selbsthilfegruppen in vielen Städten entstanden. Das zeigt, wie groß der Bedarf für Betroffene ist“, schilderte Dr. Bartnitzky.
Das Risiko minimieren
„Wir alle befinden uns in einem wissenschaftlichen Experiment. Schützen Sie sich weiterhin, um sich nicht – oder nicht erneut – anzustecken. Damit minimieren Sie auch die Risiken einer Long-Covid-Erkrankung. Halten Sie sich an die Regeln, auch wenn sie nicht mehr gesetzlich vorgeschrieben sind. Und lassen Sie sich impfen!“, appellierte Dr. Ebbinghaus abschließend. – bs/sk
Weitere Informationen:
· Kooperationsberatung für Selbsthilfegruppen, Ärzte und Psychotherapeuten in Westfalen-Lippe (KOSA): www.kvwl.de/kosa
· „Was kann man bei Long Covid selbst tun?“ – Informationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA): www.longcovid-info.de
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