Vier Wochen kontrollierte Bremse, damit die Lage zu Weihnachten wieder im Griff ist: So lautet die aktuelle Corona-Strategie der Bundesregierung. Das bedeutet ab Montag neben weiteren Kontaktbeschränkungen auch einen erneuten Lockdown für Gastronomiebetriebe. Die Entscheidung darüber löst auch in Münster bei den Wirten Unverständnis aus.
„Das ist der falsche Weg! Es macht einfach keinen Sinn. Mit Abständen zu sitzen, zu essen und das Restaurant nach ein paar Bierchen zu verlassen – wo ist das Problem?“, fragt sich Axel Bröker, der unter anderem das „Früh bis Spät“ betreibt. Gerade in der Gastronomie sei in den vergangenen Monaten gezeigt worden, wie zuverlässig Hygiene umgesetzt wurde. „Natürlich hat man mal den ein oder anderen Ausreißer dabei. Aber ich glaube, dass 98 % der Läden ihren Job an der Stelle verdammt gut machen und wir da auch Profis sind.“ Den Restaurant- oder Barbesuch jetzt zu verbieten ist für Bröker absolut nicht nachvollziehbar, da er seiner Meinung nach keine Gefahr birgt. Finanziell ist die Situation nicht erst seit gestern ein Desaster. In die Läden wurden teils hohe Summen investiert, um die Auflagen umzusetzen, sei es durch die Errichtung von Trennwänden oder den Einbau von Lüftungsanlagen. „Ich weiß nicht, wer das alles noch aushalten soll.“
Für den Gastronomen ist schon die seit Dienstag geltende Sperrstunde „eine absolute Lachnummer“, weil die Leute am Wochenende um 23:00 Uhr aus den Kneipen „sicherlich nicht nach Hause gehen“. Erkan Ular, Betreiber der „Idéal Weinbar“ und des „Smells Like“ am Theater, ist der gleichen Auffassung. „Mir kann keiner erzählen, dass, wenn wir ab nächster Woche wieder geschlossen haben, die Leute nicht anderswo zusammenhocken, die Privatveranstaltungen wieder passieren und sich Schlangen in den Supermärkten und Kiosken bilden, weil alle Alkohol kaufen wollen.“
Seit sieben Monaten haben die Wirte dafür gekämpft, dass es in den Läden so sicher wie möglich ist und haben dafür teils viel Geld in die Hand genommen. „Die Gäste haben uns den Mut gemacht, so weiterzumachen, wie wir es in der letzten Zeit getan haben. Jetzt ist aber der Punkt erreicht, wo die Wut den Verstand übertrumpft“, gibt Ular zu. „Obwohl man alles gemacht hat und jeder weiß, dass wir nicht die Infektionsherde sind, wird eine Maßnahme ergriffen, die nur verdecken soll, wie unfähig unsere Bundesregierung in den vergangenen Monaten agiert hat. Jetzt wird mit dem Finger auf uns gezeigt, wir sollen die Schuldigen sein und diejenigen sein, die die Unfähigkeit unserer Bundesregierung ausbügeln. Das ist der größte Scheiß, ich bin nur noch wütend und verzweifelt.“
Auch für Marcus Geßler, Sprecher der Innenstadt-Gastronomen, ist der erneute Lockdown ein schwerer Schlag in das Gesicht der ganzen Branche. „Gerade jetzt haben sich viele Kollegen mit kreativen Ideen ein wenig Luft verschafft und auf ein den Umständen entsprechend gutes Weihnachtsgeschäft gehofft. Diese Hoffnung ist nun dahin. Und nicht nur wir haben nun akute Angst, unsere Existenzen zu verlieren“, gibt Geßler zu, der neben dem „Enchilada“ unter anderem das „Besitos“ und das „Aposto“ in der Stadt betreibt. „Unsere Mitarbeiter fragen sich zu Recht, wie es für sie weitergehen soll.“ Für ihn erscheint der Schritt völlig sinnlos. „Die Gastronomie ist laut RKI für unter 2 % der Infektionen verantwortlich. Diese Politik zwingt die Menschen vom sicheren, nachverfolgbaren öffentlichen Raum in den privaten und wird das Infektionsgeschehen weiter anheizen und somit das Gegenteil bewirken.“
Im März war es für Hendrik Eggert, den Vorsitzenden des Hotel- und Gaststättenverbands (DeHoGa) in Münster, eine Schockstarre, als mit der „Ersten Welle“ ein Lockdown verhängt wurde. „Damals hatte man zu Anfang Verständnis, da eine völlig neue Situation die Welt überrannt hatte“, sagt Eggert, der in Handorf das „Landhotel Eggert“ betreibt. „Heute sind wir fast acht Monate weiter und wissen viel mehr über den Virus. Zum Beispiel, dass bei Einhaltung der Hygienebedingungen die Gefahr, sich in gastronomischen Betrieben anzustecken, äußerst gering ist. Das Beherbergungsverbot wurde vielerorts gerichtlich wieder gekippt und ein paar Tage später soll es jetzt flächendeckend wieder eingeführt werden.“ Für den DeHoGa-Sprecher werden neben einer gravierenden Aushebelung demokratischer Entscheidungswege zudem „diktatorisch Maßnahmen getroffen, die selbst im Kreise führender Virologen stark angezweifelt werden.“
Die Wut, Verunsicherung und bis ins Mark gehende Enttäuschung werde auch dadurch gestärkt, „dass wir aus der Vergangenheit wissen, dass groß angekündigte Hilfen uns kaum erreichen werden bzw. so gering sind, dass sie kaum weiterhelfen“, so Eggert. „Wer uns den Betrieb wegen nicht eindeutig belegbarer Zahlen und Fakten schließt, der muss auch für den vollen Schaden aufkommen, den er damit fahrlässig anrichtet.“ Wie am Abend bekannt wurde, will die Bundesregierung Betrieben bis zu 75 % ihrer Umsätze im Vergleich zum Vorjahresmonat zu ersetzen. Hierfür soll es keine besonderen Nachweispflichten geben.
Bis jetzt haben die meisten Gastronomen in Münster durchgehalten, nicht zuletzt durch die große Unterstützung der Münsteraner in den letzten Monaten, wie Axel Bröker betont. „Die Leute stehen uns sehr nah. Das war ein echt gutes und schönes Gefühl, wenn Gutscheine gekauft wurden oder jetzt schon Buchungen weit ins nächste Jahr gemacht wurden.“ Dennoch vermutet Bröker, dass der „Lockdown light“ der Gnadenstoß für einen großen Teil der Branche sein könnte. „Es dauert immer eine Zeit, sich das Vertrauen und die Sicherheit der Gäste wiederzuholen. Es ist ja nicht so, dass wir dann am 1. Dezember wieder aufsperren und dann die Leute überflutend in unsere Läden kommen. Die Angst wird bis zum Frühling mitspielen. Wer das überleben soll, ist mir ein absolutes Rätsel.“
Leider muss die sorgsame Mehrheit für die sorglose und fahrlässige Minderheit büssen!
Gastronomie fand in Münster auch im den Kinos statt. Wie lange gibt es noch das Cineplex?