Ritter, Bären, Gerippe, Vogelmasken. Auf einem Maskenball lernen die zwei Sprößlinge der verfeindeten Familien Montagues und Capulet sich kennen und lieben. „Romeo und Julia“ als Tanztheater in der Inszenierung von Hans Henning Paar begeistert gestern Abend das münsteraner Publikum in der Premiere. Das Große Haus war ausverkauft. Schade nur, dass man für so viel Applaus erst sterben muss.
Von Anfang an ist klar, dass Paar auf die tänzerischen Qualitäten seines Ensembles setzt. Auf alles effektheischende verzichtet er. Die Bühne ist mit einer Art Laub bedeckt, das aber – zum Glück für die Tänzer – rutschfest scheint. Von beiden Seiten bewegen sich Tänzer aufeinander zu. Und auch wenn das alles so spielerisch leicht aussieht, so weiß man natürlich um den Hass und die Ablehnung der beiden Familien in einem der größten Dramen von Shakespeare mit eindrucksvoller Musik von Prokofjew. Natürlich sind Romeo Montagues und Julia Capulet die Stars, wie sie sich sehen, berühren, finden, wie sie miteinander tanzen, fast schwerelos. Wie Julia in Romeos Arme springt und er um sie wickelt, wie sie sich löst, nur um erneut mit ihm zu verschmelzen. Bei diesen, langen, schönen und emotionalen Szenen unterstützt das Sinfonieorchester natürlich mit zahlreichen Streichern.
Die Rollen von Romeo und Julia sind doppelt besetzt. Bei der Premiere tanzten Mirko De Campi und Maria Bayarri Pérez und nehmen das Publikum mit auf eine Reise. Die übrigen Mitglieder der Familien Capulet und Montagues bewegen sich gebückt, beinahe schwerfällig wie Primaten über die Bühne, selbst in dem wohl bekanntesten Stück „Tanz der Ritter“. Das machen sie aber so perfekt, dass es ein absoluter Hingucker ist. Das Liebespaar lässt sich heimlich von Pater Lorenzo trauen, für den eigens ein hoher Steg vom Bühnenhimmel gelassen wird. Er ist es auch, der samt Steg später in Erscheinung tritt und Julia eine Flüssigkeit gibt, die sie tot wirken lässt. Julias Eltern hatten nämlich inzwischen einen eigenen Bräutigam auserkoren und Julia ersann eine List. Das sind auch großartige Szenen, wie Capulet (Matthias Markstein) und Lady Capulet (Elisabeth Towles) ihre Tochter dem neuen Bräutigam wortwörtlich an den Hals werfen.
Zwischendurch rutscht mal eine Tänzerin, auf dem Boden sitzend, im Takt über die ganze Bühne. Julias Plan geht indes schief. Das Liebespaar tötet sich selbst und macht sich dadurch unsterblich. Selbstverständlich unter Mitwirkung von Posaunen und Pauke. Die Inszenierung kommt fast ganz ohne Worte aus. Umso eindringlicher ist die Videosequenz, die riesengroß an die Wand projiziert, einen Mund zeigt, der spricht. Man hört nichts, aber man sieht die Zähne und sich bewegende Lippen. Wird die Geschichte der Familien erzählt oder ist das eine Anklage?
Ein fantastischer Tanzabend mit einem tollen Tanzensemble, wunderbarer Choreografie und einem erfrischenden Sinfonieorchester unter der Leitung von Stefan Veselka.
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