Ältere Münsteranerinnen und Münsteraner wissen es und die jüngeren ahnen es vielleicht, wenn sie die Kneipe im Erdgeschoss betreten, das Haus mit der Nummer 24 in Münsters Frauenstraße ist keines wie jedes andere. Tatsächlich spielte sich hier in der westfälischen Provinz 1973 eine der ersten Hausbesetzungen Deutschlands ab. Das Buch „Frauenstraße 24 – Geschichte einer erfolgreichen Besetzung“ erzählt die Geschichte des schmucken Gebäudes zwischen Schloss und Überwasserkirche.
Das konservative Münster der beginnenden 1970er Jahre. Gesittet, katholisch, CDU-regiert. Und mittendrin die vielen Studierenden, die damals wie heute ein zentrales Thema umtrieb, die Wohnungsnot. Günstiger Wohnraum war knapp und wenn dann auch noch bewohnte Gebäude abgerissen werden sollten, um durch rentablere Bürogebäude ersetzt zu werden, kochte die Stimmung hoch. Es folgte die Besetzung und Renovierung des Wohnhauses Frauenstraße 24 durch eine handvoll Studierende, die dadurch nicht nur in Münster Geschichte geschrieben haben.
Das Buch „Frauenstraße 24 – Geschichte einer erfolgreichen Besetzung“ erzählt nicht nur die Vorgeschichte, die letzten Endes zur Besetzung führte und beschränkt sich auch nicht darauf, chronologisch die Ereignisse bis zur Rettung des Gebäudes im März 1983 aufzulisten. Es ist ein umfangreiches Werk, das mit unglaublicher Akribie erstellt wurde, an keiner Stelle langweilt und sich wie ein Handbuch des zivilen Ungehorsams liest. Es führt zurück in eine Zeit, in der die meistgehassten Menschen Spekulanten und Immobilienhaie waren, die möglicherweise nicht mal davor zurückschreckten, das Gebäude zu sprengen und damit den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen. Wäre das Gebäude seinerzeit der Abrissbirne zum Opfer gefallen, so mutmaßt einer der Autoren, gäbe es heute möglicherweise auch das Antiquariat Solder nicht, in dem regelmäßig die Folgen der Reihe Wilsberg gedreht werden. Denn der kapitalgetriebene Wunsch nach der Umwandlung von Wohn- in Bürogebäude, hätte vermutlich damals nicht an der Frauenstraße 24 Halt gemacht.
Am meisten verwundert, wie groß der Rückhalt der Besetzerinnen und Besetzer in der Bevölkerung, in Teilen der Politik und sogar der Kirche war. Viele ehemalige Bewohnerinnen und Bewohner kommen zu Wort und berichten aus ihrem jeweiligen Blickwinkel über die Zeit in der „F24“. Dass dieses spannende, umfangreiche und mit sehr vielen Fotos ausgestattete Buch keine 20 Euro kostet, ist ein weiterer bemerkenswerter Umstand, der wohl auch den Herausgeberinnen und Herausgebern Rita Weißenberg, Bernd Uppena und Joachim Hetscher zu verdanken ist. Wer wissen möchte, wie Münster zu der weltoffenen und lebenswerten Stadt wurde, die sie heute ist, sollte dieses Buch lesen!
Das Stadtmuseum Münster beleuchtet aktuell die Hintergründe dieser aufsehenerregenden Besetzung bis zum 4. Februar 2024 in der Ausstellung „F24 – besetzt – Geschichte der Frauenstraße 24“ und thematisiert die Auseinandersetzungen mit dubiosen Maklern und kommunaler Politik mit einer eigenen Ausstellung. Die Ausstellung gibt Einblicke in die Lebenswelten der Hausbewohnerinnen und Hausbewohner. Mit Inszenierungen, Zeitzeuginnen- und Zeitzeugen-Interviews sowie Fotos und Dokumenten zeichnet sie den langen Weg von der ersten Besetzung bis zum Erwerb des Gebäudes durch die damals noch landeseigene Entwicklungsgesellschaft LEG im Jahr 1981 nach.
Das Buch der Herausgeber Rita Weißenberg, Bernd Uppena und Joachim Hetscher "Frauenstraße 24 – Geschichte einer erfolgreichen Besetzung" ist im Unrast-Verlag erschienen und kostet 19,80 Euro. ISBN: 978-3-89771-359-8. 352 Seiten, Softcover, Großformat B5, mit zahlreichen Fotos und Illustrationen.
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