Unter dem staatlich verordneten Lockdown leidet wohl kaum eine Branche so stark wie die Gastronomie. Wie in vielen Städten im Land wollten auch Gastwirte aus Münster an der „Leere Stühle Aktion“ des Hotel- und Gaststättenverbands (DeHoGa) teilnehmen. Dafür wollten sie letzten Freitag von sieben bis neun Uhr morgens 2000 leere Stühle aus ihren Restaurants auf einen Teil des Prinzipalmarkts stellen und so auf ihre Forderungen aufmerksam machen. So haben es ihre Kollegen unter anderem in Düsseldorf, Köln, Dortmund oder Bielefeld an ebenfalls prägnanten Plätzen ihrer Städte getan – aber in Münster wurde dies nicht gestattet. Das hat am Wochenende für einigen Wirbel gesorgt.
Was war passiert? Die Gastronomen der Stadt wollten sich am Freitag der bundesweiten „Leere Stühle“-Aktion anschließen und als 78. deutsche Stadt auch in Münster auf ihre missliche Lage aufmerksam machen. Doch daraus wurde nichts: Eine Genehmigung für ihre Mahnwache auf dem Prinzipalmarkt erhielten die Wirte nicht. „Eine offizielle Begründung liegt mir nicht vor. In Gesprächen mit dem Ordnungsamt und der telefonisch zugestellten Polizei wurde uns von der Polizei eigentlich keine Chance eingeräumt, in der jetzigen Situation eine Veranstaltung oder Versammlung durchzuführen“, beklagt Hendrik Eggert, Vorsitzender der DeHoGa in Münster. „Ein wohlwollendes Gespräch war quasi nach fünf Minuten nicht mehr zu erwarten und hat die anfangs sehr positive Bereitschaft der Verwaltung auch unsicher werden lassen.“ Die Signale des Ordnungsamtes seien von Beginn an positiv, wohlwollend und unterstützend gewesen, betont Eggert. „Daher umso mehr unsere Irritation, Verwunderung und dann auch der Frust, als die Polizei uns quasi wie aufmüpfige Rechtsverdreher abservierte.
Wer letztendlich den Strich durch die Rechnung gemacht hat, lässt sich derzeit nicht sagen. Die Polizei jedenfalls weist jegliche Zuständigkeit von sich: „Die Polizei Münster hat bei dieser Aktion keine Karten im Spiel! Deshalb hat sie auch nichts entschieden“, heißt es in einem entsprechenden Twitter-Post aus dem Polizeipräsidium. Wenn man leere Stühle in Münster auf die Straße stellen will, handele es sich um eine Sondernutzung der Straße, über die immer die Stadt entscheide. Die Absage der Mahnwache wurde dann schlussendlich vom Ordnungsamt überbracht.
Hallo, die Behauptung ist falsch. Die Polizei Münster hat bei dieser Aktion keine Karten im Spiel! Deshalb hat sie auch nichts entschieden!
— Polizei NRW MS (@Polizei_nrw_ms) April 24, 2020
Das ganze Thema nahm schließlich ordentlich Fahrt auf, als am Freitagmorgen Vertreter von Stadtverwaltung, Polizei und Feuerwehr an der Lambertikirche zusammenkamen und Bläser des Musikkorps der Freiwilligen Feuerwehr mit der „Ode an die Freude“ ein Zeichen für den Zusammenhalt in Münster setzten. Die Wirte in Münster reagierten mit absolutem Unverständnis. „Wenn wir dann aber (…) sehen, wie 13 Personen von Ordnungsbehörden auf unserem angemeldeten Platz zu gleicher Uhrzeit posieren, bin ich sprachlos“, kommentierte beispielsweise Moritz Ludorf vom Kleinen Kiepenkerl.
Dieser Wirbel schien aber doch einigen Eindruck bei den Verantwortlichen der Stadt gemacht zu haben. Sie bemühten sich noch am Wochenende, die Wogen zu glätten. So rief Oberbürgermeister Markus Lewe einige der Gastronomen an und lud sie noch am Samstagabend (!) zu einem „Gastro-Gipfel“ ins Rathaus ein. „Es ist nicht absehbar, wie lange die Betreiber noch unter dieser drastischen Lage zu leiden haben. Wir müssen dem Gastgewerbe helfen“, ließ Lewe sich in der städtischen Pressemeldung zitieren. An dem Gastro-Gipfel am Donnerstag soll neben Markus Lewe auch Krisenstabsleiter Wolfgang Heuer teilnehmen. Auf der Agenda steht nicht nur die Erarbeitung eines Lagebildes, sondern auch die Suche nach möglichen Auswegen über die bereits beschlossenen Erleichterungen bei der Gewerbesteuer hinaus. Lewe verspricht: „Wir können die Corona-Krise nicht wegzaubern. Aber was die Stadt tun kann, um ihrer Gastronomie zu helfen, werden wir unternehmen.“
Dass OB Lewe gleich mehrere Wirte anrief, nachdem er über Social Media von ihrem Unmut erfahren hat, beeindruckte auch Münsters DeHoGa-Vorsitzenden Hendrik Eggert: „In dem Gespräch mit mir hat er glaubhaftes und großes Bedauern ausgedrückt und sich über die Vorgehensweise des Ordnungsamtes und der Polizei erkundet. Zudem kam dann postwendend eine Einladung an uns Gastronomen, das Gespräch mit uns zu führen. Diese Reaktion war meiner Meinung nach wirklich vorbildlich. Die Polizei hat sich bis heute leider anders verhalten. Auf Onlinekanälen hat sie behauptet, ‚keine Karten im Spiel gehabt zu haben‘. Dieses ist definitiv eine Lüge und ich bin darüber sehr erschrocken und finde diese Art sehr bedenklich.“ Auch andere Wirte der Stadt begrüßen diese schnelle Reaktion: „Es war gut, dass sich der OB so fix gekümmert hat. Sonst wäre der Shitstorm größer geworden“, vermutet Erkan Ular (Weinbar Ideal, Smells Like).
„Das Angebot ist ein gutes Statement der Verwaltung und aus Gesprächen vor dieser Posse der Absage unserer Veranstaltung weiß ich, dass er unsere Probleme sehr ernst nimmt und sich auch bundespolitisch im Rahmen seiner Möglichkeiten für uns eingesetzt hat. Wir wissen alle, dass die Hauptansprechpartner für unsere Probleme im Land und im Bund sind“, dämpft Hendrik Eggert die Erwartungen ein wenig. Marcus Geßler (Enchilada, Aposto …), DeHoGa-Sprecher der Innenstadtgastronomie, baut darauf, dass so auf indirektem Weg auch die Entscheider in Düsseldorf und Berlin erreicht werden: „Ich erhoffe mir ein klares Bekenntnis zur Erhaltung der gastronomischen Vielfalt in unserer Stadt. Einen Einsatz unseres Oberbürgermeisters bei Landes- und Bundesregierung für wirkliche Hilfen für die ganze Branche und lokal einen Verzicht auf Gewerbesteuer und Sonderabgaben, bis sich die Branche wieder so weit erholt hat, dass sie nicht nur lebensfähig ist, sondern auch die Macher wieder anständig davon leben und langfristig Arbeitsplätze garantieren können.“
Hendrik Eggert weist darauf hin, welche wenigen Dinge die Stadt selbst in der Hand hat: „Die Stadt Münster ist uns bezüglich der Außengastronomie von den Kosten und der Fläche schon sehr entgegengekommen. Hier werden wir gemeinsam schauen, mit welchen weiteren Hilfestellungen sie uns noch unterstützen kann. Wir müssen bei unseren Kommunalpolitikern im Land und Bund vorsprechen und deutlich mitteilen, dass es an der Basis wirklich brennt. So richtig ist es weder in Düsseldorf noch in Berlin angekommen. So waren die beschlossenen Hilfeleistungen für unsere Branche ein neuer Schlag ins Gesicht. Da schaue ich neidisch nach Bayern und Sachsen, wo unsere Branche politisch einen ganz anderen Stellenwert hat.“
Wir haben den Vorsitzenden des DeHoGa in Münster gefragt, wer nun zu dem Gastro-Gipfel eingeladen ist und an wen sich andere Gastronomen, die nicht an den Runden Tisch eingeladen sind, mit ihren Ideen, Wünschen und Sorgen wenden können. „Aufgrund des Versammlungsverbotes können natürlich nicht so viele Gastronomen teilnehmen“, stellt Eggert klar. „Wir werden aber mit Repräsentanten vieler unterschiedlicher Bereiche unserer Branche am Gespräch teilnehmen. Jeder Gastronom kann sich unter der bekannten Mailadresse unseres Verbandes einbringen. Natürlich werden hier Kollegen eher berücksichtigt, die sich schon längerfristig freiwillig für unseren Berufsstand eingesetzt haben. Jetzt mal kommen und motzen und dann wieder seinen eigenen Brei anrühren, brauchen wir auch nicht.“
Zum Abschluss unseres Gesprächs baten wir Hendrik Eggert um eine Einschätzung, wie angespannt die Situation bei ihm ist: „Wenn wir nun zum zweiten Mal die vollen Löhne bezahlen müssen und, wie bei mir, bis heute noch kein Cent Hilfe angekommen ist, wird die Lage immer kritischer und deshalb werden wir wirklich unruhig“, bekannte der Hotelier vom Landhaus Eggert in der Haskenau. „Wir hätten uns nie vorstellen können, in diesem Staat so vergessen zu werden. Und das nach den vollmundigen Ankündigungen von Unterstützung und Hilfe. Ich weiß, dass hier enorme Summen im Raum stehen und an allen Ecken geschrien und gefordert wird. Aber wenn ich Unternehmen und Mitarbeitern ein Beschäftigungsverbot auferlege, dann muss ich mich zumindest so weit am wirtschaftlichen Schaden beteiligen, dass ein Überleben gesichert wird.“
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